Navision mutiert zu einer Multi-Product-Company

28.02.2002
Navision Geschäftsführer Lars Damsgaard Andersen sprach mit ComputerPartner-Redakteur Eberhard Heins über die künftige Unternehmens-, Vertriebs- und Produktstrategie des ERP-Herstellers in Deutschland.

Gut 20 Prozent seines Gesamtumsatzes im Geschäftsjahr 2000/2001 erwirtschaftete Navision in Deutschland. Im August 2001 besetzten die Dänen die Führungsetage ihrer deutschen Niederlassung neu. Sie sind als einziger aus der alten Riege noch dabei? Wie entwickelt sich der Anteil seitdem?

Damsgaard Andersen: Der Wechsel an der Führungsspitze hat keine neue Ära eingeläutet, sondern wir gehen mit den beiden Nachfolgern aus den eigenen Reihen den eingeschlagenen Weg kontinuierlich weiter. Die prozentualen Anteile der Länder sind unverändert, aber weil alle Länder homogen zulegen, wachsen wir in absoluten Zahlen. Für die gesamte Navision-Gruppe rechnen wir mit 18 Prozent.

Seit der Übernahme von Greatplains durch Microsoft konkurriert Navision direkt mit dem weltweit größten Softwarehersteller. Hat das Auswirkungen auf Ihre Bilanz?

Damsgaard Andersen: Greatplains ist für uns im Wettbewerb in Deutschland überhaupt nicht präsent. Es tut sich was im Partnerumfeld. Wir wissen, dass sie unterwegs sind, um neue Fachhändler zu akquirieren.

Navision auch?

Damsgaard Andersen: Unsere Ressourcen in Deutschland reichen nicht aus. Das bremst unser Wachstum. Deshalb haben wir ein Programm eingeführt, um die Speziallösungen unserer Partner zu zertifizieren und damit zu multiplizieren. Wir wollen aber nicht nur mit unseren bestehenden Solution Centern wachsen, sondern auch neue dazugewinnen.

Wie viele Neue möchten Sie gewinnen?

Damsgaard Andersen: Das hängt stark mit der Vertikalisierung zusammen. Wir wollen so viele Branchen abdecken wie möglich. Zurzeit bieten wir 43 Speziallösungen an, einige davon sind sehr spezifisch. Aber ohne Profil für eine bestimmte Branche oder ein bestimmtes Kundensegment haben Sie es im Mittelstand schwer. Vorkonfigurierte Branchenlösungen erleichtern das Geschäft, weil damit Aufträge effizienter erfüllt werden können.

Heißt das, wer heute Navision Solution Center werden möchte, muss bereits über Know-how in einem vertikalen Markt verfügen?

Damsgaard Andersen: Ja, wir wenden uns nicht an den typischen Fachhändler, sondern an kleine Softwarehäuser. Sie verfügen über Branchen-Expertise, aber nicht über das Geld, ihre Speziallösung weiterzuentwickeln. Wir übernehmen den Technologie-Part und sichern die Standardfunktionalität, während der Partner sein Wissen über seinen vertikalen Markt einbringt.

Welche Anforderungen stellen Sie konkret?

Damsgaard Andersen: Fünf abgeschlossene Projekte in einer Branche sind Pflicht.

Navision hat Ende 2000 den Konkurrenten Damgaard übernommen. Wie hat sich die Struktur ihrer Partnerlandschaft in Deutschland seitdem verändert?

Damsgaard Andersen: Zum Zeitpunkt des Mergers mit Damgaard hatten wir 200, jetzt 170 Solution-Center. Davon sind 50 ehemalige Daamgaard-Partner. Die eine Hälfte von ihnen sind Fachhändler für das Einsteigerpaket "XAL", ehemals "Concorde", die anderen vertreiben die Produktlinie für den gehobenen Mittelstand "Axapta" oder beide Produkte.

XAL-Fachhändler benötigen kein dediziertes Branchen-Know-how. Wie wird Navision mit ihnen weiter sein Geschäft betreiben?

Damsgaard Andersen: Wir haben für das Produkt etwas über 1.000 Kunden in Deutschland und pflegen die Software für diese weiter. In unserer Wachstumsstrategie hat XAL aber keine Bedeutung.

Welche Rolle spielen die 25 auf XAL spezialisierten Navision-Partner?

Damsgaard Andersen: Mehrere Zertifizierungsstufen für Vertriebspartner verwirren nur den Kunden. Deshalb werden wir eine Einheitliche für alle beibehalten, die Mindestqualitätsanforderungen gewährleistet. Wir möchten gerne alle Partner dahin bringen, aber das zu schaffen ist unwahrscheinlich.

Welche Anstrengungen unternimmt Navision, um die kleineren Händler auf das geforderte Niveau zu bringen?

Damsgaard Andersen: Wir versuchen, sie zu bündeln, sowohl durch die Kooperation beziehungsweise Fusion mehrerer Kleiner als auch durch die Übernahme eines Kleinen durch einen Großen. Wir wollen die Ressourcen in unserem Channel halten.

Die Konkurrenz ist hier zu Lande besonders zahlreich, auch wenn sich der Shake-out unter den mittelständischen ERP-Herstellern in vollem Gange befindet. Viele Softwarehersteller bessern ihre Kasse deshalb mit Dienstleistungen auf. Wird Navision dieser Strategie folgen oder weiterhin ausschließlich indirekt vertreiben?

Damsgaard Andersen: Wir werden an unserer indirekten Vertriebsstrategie nichts ändern.

Ihre Solution-Center loben die konsequente Vertriebsstrategie und die Beständigkeit von Navision. Die kleineren Systemhäusern wünschen sich allerdings ein wenig mehr Marketingunterstützung. Werden Sie in dieser Hinsicht mehr tun?

Damsgaard Andersen: Wir stellen Marketinggelder bereit, über deren Verteilung nicht alleine die Größe der Partner entscheidet.

Nach welchen Kriterien vergeben Sie die finanziellen Mittel?

Damsgaard Andersen: Wie sie sagten, die Marktanteile werden gerade neu vergeben. Das heißt, wir unterstützen alle Partner, die ihre Weichen auf Wachstum stellen.

Was sind Indikatoren dafür?

Damsgaard Andersen: Beispielsweise Investitionen in Mitarbeiter, Marketing, Produkte, vertriebliche Aktivitäten oder Präsenz auf Messen.

Das Navision-Produkt-Flaggschiff "Attain", ehemals "Financials", trägt den größten Teil zum Gesamtumsatz bei, 63 Prozent im Geschäftsjahr 2000/01. Dagegen verlor das durch den Merger mit Damgaard erworbene Einsteigerpaket XAL Marktanteile, von 14 Prozent im Geschäftsjahr 1999/2000 auf zehn Prozent im Geschäftjahr 2000/01. Das ebenfalls von Damgaard erworbene "Axapta" legte im selben Zeitraum von acht auf 13 Prozent zu. Wie sieht Ihre künftige Produktstrategie ob dieser Zahlen aus?

Damsgaard Andersen: Navision war über viele Jahre eine "One-Product-Company". Ich würde nicht ausschließen, dass wir eine "Multi-Product-Company" werden. Bei XAL erwarten wir, wie gesagt, keinen signifikanten Zuwachs bei Neukunden. Da setzen wir auf Attain oder Axapta. Diese sind als Produktlinien unsterblich.

Gilt das auch für XAL?

Damsgaard Andersen: XAL ist keine Produktlinie.

Neukundengeschäft generieren Sie mit XAL nicht. Wird eine kritische Masse bei den Altkunden erreicht, macht es wirtschaftlich keinen Sinn mehr, diese weiterzupflegen. Also ist es nur ein Frage der Zeit, bis das Produkt eingestellt wird?

Damsgaard Andersen: Das stimmt. Das gilt auch für die "blaue Version", also den Vorgänger von Financials, das jetzt Attain heißt.

Wo liegt die kritische Masse?

Damsgaard Andersen: Wir haben uns mit der Entscheidung für die ERP-Suiten Axapta und Attain auch für ein Marktsegment entschieden. Aber solange Bedarf besteht, pflegen wir XAL und die blaue Version weiter.

Seit November 2000 arbeitet Navision an dem neuen XAL-Release 3.5. Wird es wie angekündigt im zweiten Quartal 2002 verfügbar sein?

Damsgaard Andersen: Ja.

In Dänemark vertreiben Sie das Lowend-Produkt "C5" über den Retail. Diese Software bieten Sie in Deutschland derzeit nicht an. Bleibt es dabei?

Damsgaard Andersen: Wir denken darüber nach, aber es gibt keinen festen Zeitplan dafür.

Neben dem Retail bietet sich Application-Service-Providing (ASP) als Vertriebskanal für KMU an. Microsoft plant, Greatplains-Software als Bestandteil über seinen Online-Service B-Central anzubieten, wie man hört. Welche Rolle spielt das ASP-Geschäft für Navision?

Damsgaard Andersen: Im Mittelstand, wo wir unser Hauptgeschäft generieren, erkennen wir keine nennenswerte Nachfrage, deshalb forcieren wir das zurzeit nicht.

Navision-Software setzt ausschließlich auf Basistechnologie von Microsoft. Sehen sie darin nicht eine Gefahr seit der Übernahme von Greatplains durch die Redmonder?

Damsgaard Andersen: Wir fragten uns natürlich, was passieren wird, merken aber keine Veränderung in der Zusammenarbeit. Es wäre auch nicht besonders schlau von Microsoft, seine Independent Software Vendor auf ein Seitengleis zu führen.

Wird Navision seine Lösungen für andere Plattformen anbieten?

Damsgaard Andersen: Wir haben vergangene Woche eine Allianz mit IBM abgeschlossen. Demnach bieten wir Attain auf IBM "I-Series", ehemals AS-400, an.

Im Customer-Relationship-Management fährt Navision bereits eine zweigleisige Strategie. Zum einen unterhalten Sie mit dem Marktführer Siebel eine weltweite Vertriebspartnerschaft für dessen Midmarket Edition, und zum anderen statten Sie ihre ERP-Suite "Axapta" mit eigener CRM-Funktionalität aus.

Damsgaard Andersen: Der Softwarehersteller Celenia entwickelt die CRM-Funktionalität für Axapta. In puncto Attain hatten wir uns für eine Zusammenarbeit mit Siebel entschieden.

Sie adressieren mit Axapta ein Marktsegment, das über dem von Attain liegt, bieten diesem aber weniger CRM-Funktionalität. Beißt sich das nicht?

Damsgaard Andersen: Doch, das beißt sich.

Überlegen Sie, daran etwas zu ändern?

Damsgaard Andersen: Nein, nicht aktuell.

Aber es kann doch so nicht bleiben.

Damsgaard Andersen: Nein, es würde mich deshalb nicht wundern, wenn sich die Siebel-Strategie änderte.

In welche Richtung?

Damsgaard Andersen: Schauen wir mal.

Der ERP-Hersteller J. D. Edwards hatte ebenfalls eine Partnerschaft mit Siebel für dessen Mittelstandprodukt. Nach der Übernahme des CRM-Spezialisten Youcentric löste man diese Allianz. Navision hat sich vor kurzem mit zunächst 35 Prozent am in Dänemark beheimateten CRM-Spezialisten Celenia Software beteiligt, mit einer Option auf den Kauf der restlichen Anteile. Wird Navision die Option wahrnehmen und die Gelegenheit nutzen, sich von Siebel abzusetzen?

Damsgaard Andersen: Mit dem seit vergangenem Herbst verfügbaren Attain haben wir bereits ein Signal gegeben. Wir decken mit der in die ERP-Lösung integrierten CRM-Funtkionalität weitgehend das ab, was ein mittelständischer Kunde in diesem Bereich braucht.

Navision hat eine Menge Geld in den Siebel Connector investiert. Wie viele Projekte gibt es dafür in Deutschland?

Damsgaard Andersen: Drei.

Navision verlangt von seinem Vertriebspartnern für die Siebel Midmarket Editon umfangreiches Know-how, das mit hohen Ausbildungskosten verbunden ist. Wie viele Partner hat Navision für den Siebel Connector geschult?

Damsgaard Andersen: Sechs.

Die haben ebenfalls viel Geld investieren müssen. Wann wird sich ihre Investition amortisieren?

Damsgaard Andersen: Wir haben unseren Partnern immer gesagt, das dieser Weg eine strategische Entscheidung von ihnen ist. Wir haben Siebel nicht bei ihnen reingedrückt.

ComputerPartner-Meinung:

Die Vertriebsstrategie von Navision ist beispielhaft: klar ausgerichtet, offen kommuniziert, ohne Grauzonen und langfristig angelegt. Die Produktstrategie ist das genaue Gegenteil. Seit der Übernahme des Konkurrenten Damgaard schleppt der ERP-Hersteller einen Produkte-Bauchladen mit sich herum, der die Dänen unbeweglich macht. Die missglückte CRM-Strategie legt das Problem schonungslos offen. Deshalb gilt für alle Beteiligten, Hersteller, Partner und Kunden: lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. (hei)

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