Digitale Produkte kundenzentriert entwickeln

Nehmen Sie Ihre Kunden von Anfang an mit



Dietmar Matzke ist Management Consultant bei Cassini Consulting. An der TU München studierte er Informatik. Seit über 15 Jahren arbeitete er immer sehr nah am Produkt, darum hat er sich als Berater auf das Produktmanagement fokussiert. Er verbindet die effektiven Methoden des Produktmanagements mit den agilen Methoden der Produktentwicklung – für eine kurze Time-to-Market.

Die Bind-Phase im digitalen Zeitalter

Eine besondere Rolle im Vertrieb und bei der Kundenanbahnung speziell bei komplexen Produkten ist die Bind-Phase. Deshalb will ich in diesem Artikel auf diese Phase tiefer eingehen. Komplexe Produkte oder Dienstleistungen, wie zum Beispiel der Kauf eines Privat- oder Firmenfahrzeugs, erfordern eine Reihe von Entscheidungen. Die Gefahr den Kunden auf dem langen Weg zur Kaufentscheidung zu verlieren ist groß. Deshalb ist die Bind-Phase und deren kundenorientierte Ausgestaltung essenziell für den Produkterfolg. Es ist die Phase, um Kunden für sein Produkt zu gewinnen und bereits an sich zu binden, bevor er das Produkt gekauft hat. Das klingt schwierig, ist aber mit einer sehr ausgewogenen Kommunikation zum Kunden möglich. Dennoch sollte man gerade auf die Bind-Phase ein besonderes Augenmerk legen.

Das erste Ziel ist es, einen direkten Kanal zum Kunden zu bekommen. Dazu muss jedoch soweit Vertrauen aufgebaut werden, dass der Kunde auch bereit ist, seine Identität preiszugeben. Da ein potenzieller Kunde nicht leichtfertig seine Mailadresse, die Telefonnummer oder die Postadresse offenbart, muss man bereits in der Customer Journey einen Wert schaffen, für den der Kunde bereit ist einen Kommunikationskanal in seine Richtung zu eröffnen. Erst dann können personalisierte Daten über den Kunden erhoben werden und damit auch individualisierte Empfehlungen für ihn ausgegeben werden. Ab diesem Zeitpunkt kann man den Kunden an die Hand nehmen und leiten. Ich nenne diesen Zeitpunkt Identity-Fetch es ist ein zentraler Wendepunkt im Ablauf der Kern Customer Journey.

Beispiel Identity-Fetch bei der Auto Konfiguration: Die Konfiguration eines Premium-Fahrzeugs erfordert viele Entscheidungen. Der Kunde muss eine Folge von vielen aufeinander aufbauenden Schritten mit vielen Abhängigkeiten durchlaufen. Die hohe Komplexität der Fahrzeugkonfiguration soll den Kunden nicht abschrecken, sondern sogar Spass machen.
Sollte der Prozess ins Stocken kommen, liegt es im Interesse des Automobilherstellers, Impulse zur Fortsetzung zu bieten. Hierfür ist ein Kommunikationskanal zum Kunden erstrebenswert. Folgende Gegenwerte kann man für die Eröffnung eines Accounts anbieten:

  • Speichern und zu einem anderen Zeitpunkt weiter bearbeiten

  • Versenden der Fahrzeugkonfiguration an Freunde

  • Ausdruck einer Konfiguration oder eines Angebotes

Viele der Entscheidungen, die im Prozess zur endgültigen Kaufentscheidung führen, sind für gleiche Personas ähnlich.

Nach dem Identity-Fetch kann man im Entscheidungsprozess Impulse setzen, um beispielsweise Up- oder Cross-Sellings zu gestalten. Hierzu kann aus den Erkenntnissen der Customer Insights - die zum Beispiel mit Big Data Anwendungen oder in Produktkliniken ermittelt wurden - eine Tendenz ermittelt werden, welche Entscheidungen zu welchen Ergebnissen geführt hat. Aus dem Nutzerverhalten von anderen Kunden abgeleitete Empfehlungen (Recommendations) können nun an den Kunden gegeben werden und wichtige Impulse bieten. Eine direkte Einordnung des Kunden in eine der Persona-Klassen ist möglich und man kann nun viel über das Verhalten dieses Kunden lernen.

Identity Fetch
Identity Fetch
Foto: Dietmar Matzke

In der Use-Phase gibt es weitere Aktivitäten, die im Business Development sehr wichtig sind. Eine davon ist die Kundenzufriedenheit hoch zu halten und die Kunden für das Produkt zu begeistern. Wer es hier schafft, die Kunden zu überraschen und mit nützlichen Funktionen zu versorgen, kann seine Kunden zu Promotoren machen. Wenn zum einen die bestehenden Kunden das Produkt erneut kaufen, zum anderen aber auch die Produkte weiterempfehlen und somit neue Kunden werben, dann befinden sie sich im sogenannten Loyality Loop. Die Maßnahmen, um möglichst viele Kunden im Loyality Loop zu halten sind nicht trivial und müssen geplant und implementiert werden. Begeisterungsmerkmale können gerade durch digitale Touchpoints geschaffen werden, da durch die Vielzahl von Daten, die mit digitalen Produkten gesammelt werden können, auch komfortable Funktionen entstehen können. Dies können mobile Anwendungsfälle sein wie z. B. im Car Sharing durch einfaches auffinden des nächstgelegenen Fahrzeugs oder ein Kundenbindungsprogramm.

Loyality Loop
Loyality Loop
Foto: Dietmar Matzke

Bei Freemium Produkten, die Kunden in einem reduzierten Funktionsumfang kostenlos zur Verfügung gestellt werden und erst dann kostenpflichtig werden, wenn der volle oder ein erweiterter Funktionsumfang benötigt wird, beginnt der Loyality Loop bereits in der Attract-Phase.

Die Customer Journey als Basis für Customer Experience

Mit dem Modell für die Customer Journey aus Personas, Touchpoints, Customer-Journey-Phasen und Interaktionen, kann die Kundensicht übersichtlich dargestellt und optimiert werden. Es ist jedoch wichtig zu erwähnen, dass in der Customer Journey die Sicht des Kunden die wichtigste Perspektive ist. Seine Erwartungen werden modelliert und mit Maßnahmen hinterlegt, wie diese befriedigt werden können.

In der Customer Journey werden nicht die Prozesse modelliert und optimiert. Dies geschieht in einem nachfolgenden Schritt. Sollte eine Customer Journey für ein bestehendes Produkt entwickelt werden, kann parallel zur Journey schon eine Ist-Prozess-Aufnahme erfolgen.

Die Ist-Prozesse können viele Prozessschritte enthalten, die im Rahmen der Customer Journey Abläufe wiederverwendet werden können. Meist werden die Soll-Prozesse zunächst komplexer, gerade wenn zusätzliche Schritte eingefügt werden, die es dem Kunden bequemer machen, das Produkt zu nutzen. Hier muss auf der Prozessseite dann oft Mehrarbeit geleistet werden. Doch bietet die Umsetzung mit der Customer Journey auch die Gelegenheit, überflüssige Schritten und umständliche Abläufe aufzuräumen.

Digitale Customer Journeys

Viele der Kontaktpunkte potenzieller oder bestehender Kunden sind heute digitaler Natur. Im Beispiel der Autokonfiguration ist dies der Car Configurator im Internetauftritt des Automobilherstellers. Darüber hinaus gibt es natürlich weitere digitale Touchpoints:

Attract Phase

  • Webauftritt des Unternehmens

  • Soziale Medien

  • Newsletter

  • Apps zur Markenbildung oder konkreten Produkten

Bind Phase

  • Individuelle eMails

  • Entscheidungshilfen durch digitale Trigger

  • Recommendations

Action Phase

  • Finalisierung der Kaufentscheidung durch den Abschluss (z. B. die Bestellung in einer App)

  • Bestätigung und Aktivierung des Produktes (z. B. die sofortige Nutzung einer Video on Demand App)

Use Phase

  • Self-Service im Internet oder durch Apps

  • Konfiguration von Produkten mit Apps

  • Komfortfunktionen für mobile Anwendungen

  • Individualisierte Recommendations

Prozesse gestalten mit der Customer Journey

Die Customer Journey beleuchtet die Kundenbedürfnisse und die "next Problems to Solve". Hiermit kann die Customer Experience gestaltet und optimiert werden. Doch die Customer Journey betrachtet nur die Schnittstelle zum Kunden und alle Schritte die der Kunde sieht. Die Prozesse mit denen diese Customer Journeys durch das Unternehmen gestaltet werden, können zum teil massiv von bestehenden Prozessen abweichen.

Es ist wichtig sich erst nach der Modellierung der Customer Journey daran zu machen, die Gap-Analyse zu bestehenden Prozessen zu erstellen. Das Vorgehen der Ist-Analyse und des Soll-Designs der Prozesse empfiehlt sich hier. Es muss jedoch stark darauf geachtet werden, die Customer Journey und die daran anschließenden Prozesse sauber zu trennen, denn andernfalls könnte die Customer Experience darunter leiden. Danach kann sukzessive die Roadmap zur Umsetzung entwickelt werden. Die Prozesse werden dann angepasst und über mehrere Iterationen in Hinsicht auf die Customer Experience optimiert.

Fazit

Mit der Customer Journey ist es möglich, die Kundenorientierung zu verbessern. Mit der Modellierung macht man sich die Kundenentscheidungen bewusst und analysiert, welche Informationen und Impulse zu welchem Zeitpunkt wichtig sind, um den Kunden zu einem Kauf des Produktes oder der Dienstleistung zu führen.

Hat man die Interaktionen der Kundengruppen einmal entwickelt, kann man mit Messungen und Auswertungen prüfen, ob man die richtigen Hypothesen aufgestellt hat und ob die Kunden darauf ansprechen. Kontinuierliche Verbesserungen können in der Customer Journey dokumentiert werden. Unternehmen, die ihre Produkte und die Marke mit Customer Journeys entwickeln stellen automatisch den Kunden in das Zentrum ihres Handelns und können somit erfolgreicher werden als der Wettbewerb. Wichtig ist dabei ein strukturiertes Vorgehen und die klare Trennung zwischen der Kundensicht in Form der Customer Journey und den Prozessen im Hintergrund, mit denen die Kundenbedürfnisse befriedigt werden.

Lesetipp: In 10 Schritten zur optimalen Customer Journey

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