Deepfakes und digitales Anti-Aging

Netflix setzt mit „The Irishman“ neue Maßstäbe



Simon Lohmann ist Freier Autor bei macwelt.de.
Mit dem neuesten Werk des US-amerikanischen Regisseurs Martin Scorsese zeigt der Streaming-Dienst Netflix, was heutzutage in Sachen Technik so möglich ist und setzt dabei ganz neue Maßstäbe. Denn das Netflix-Original „The Irishman“ ist mit rund dreieinhalb Stunden Spielfilmlänge nicht nur deutlich länger als die meisten aktuellen Blockbuster. Darüber hinaus beweist „The Irishman“, wie realistisch „Digital De-Aging“ mittlerweile aussieht.

Mit Robert De Niro, Al Pacino und Joe Pesci hat sich Regisseur Martin Scorsese drei waschechte Hollywood-Stars vor die Kamera geholt, die aber mittlerweile schon zum alten Eisen zählen. De Niro und Pesci sind beide 76 Jahre alt, Al Pacino feiert dieses Jahr bereits seinen 80. Geburtstag.

Bei den Dreharbeiten für das Netflix-Original „The Irishman“, ein 209 Minuten langer Kriminal-Thriller über den Auftragsmörder Frank „The Irishman“ Sheeran, stellte das hohe Alter der Schauspieler jedoch ein recht großes Problem dar. Der Handlungsstrang der Geschichte erstreckt sich nämlich von 1949 bis 2000 und die Zeiten springen im Film immer wieder hin und her.

Robert De Niro als jüngere Version seiner selbst.
Robert De Niro als jüngere Version seiner selbst.
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De Niro, Pacino, und Pesci mussten in vielen Szenen demnach ihre Rolle spielen, die gerade mal halb so alt ist, wie die Schauspieler im echten Leben. Eine gute Maske und Make-Up können diesbezüglich natürlich hilfreich sein, bei so einem aufwendigen Projekt musste aber auch die entsprechende Technik mitwirken, um unter anderem den 76 Jahre alten De Niro wieder wie 50 aussehen zu lassen.

Zusammen mit Netflix, ILM (Industrial Light & Magic) und seiner Film-Crew entwickelte Martin Scorsese eine neue Filmtechnik, um die Schauspieler einer deutlichen (digitalen) Verjüngung, Digital De-Aging genannt, zu unterziehen.

Scorsese wollte von Beginn an vermeiden, dass die Schauspieler mit vielen blauen Punkten im Gesicht vor der Kamera schauspielern müssten. Die blauen Punkte dienen in der Post Produktion als Referenzen, sodass die Gesichtszüge auf digitalem Wege verändert werden können. Eine einfachere Lösung musste also her.

Blaue Punkte im Gesicht: Auf diese Technik wollte Scorsese verzichten.
Blaue Punkte im Gesicht: Auf diese Technik wollte Scorsese verzichten.
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Mit der Entwicklung war natürlich auch ein hohes Risiko verbunden, wie Rob Bredow (Head of Industrial Light & Magic) betonte. Dennoch wagte sich das Team an die Entwicklung einer neuen Technologie. Was, wenn sie ein System entwickeln könnten, welches die wichtigen Bildinformationen einfängt, ohne dass die Gesichter der Schauspieler mit dutzenden Punkten bemalt werden müssen?

In einer ersten Testaufnahme, die das Können der neuen Technik unter Beweis stellen sollte, spielte Robert De Niro eine Szene aus „Goodfellas“ nach. Anhand dieser Aufnahme wollte man zeigen, wie gut das De-Aging für den restlichen Film funktionieren könnte.

Während sich ein Teil der Film-Crew mit der Entwicklung des Kamera-Systems beschäftigte, arbeitete der Rest an der Software. Ein wichtiger Aspekt bei der Entwicklung war die Bedingung, dass sich Scorsese durch das neue System nicht eingeschränkt fühlte.

Infrarot und jede Menge Kameras: So gelang Netflix das Digital De-Aging

Das Endergebnis ist eine Kamera, die von zwei zusätzlichen, sogenannten Witness-Kameras umgeben war. Bei den Witness-Kameras handelt sich um Infrarot-Kameras, auf deren Aufnahmen man keinerlei Schatten in den Gesichtern der Schauspieler sieht.

Die Witness-Kameras zeichnen Infrarot-Aufnahmen auf.
Die Witness-Kameras zeichnen Infrarot-Aufnahmen auf.
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Die Witness-Kameras helfen dabei, die Gesichtszüge besser zu erkennen.
Die Witness-Kameras helfen dabei, die Gesichtszüge besser zu erkennen.
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Darüber hinaus bekommen die Filmemacher verschiedene Blickwinkel und erhalten somit mehr Bildinformationen, wodurch wiederum am Computer ein besseres 3D-Modell der Schauspieler entworfen werden kann.

Gleich drei Kameras auf einem Stativ: Hauptkamera + zwei Witness-Kameras (links und rechts)
Gleich drei Kameras auf einem Stativ: Hauptkamera + zwei Witness-Kameras (links und rechts)
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Eine weitere Herausforderung der Digital Artists bestand wohl darin, sich eine jüngere Version der Schauspieler vorzustellen. Über zwei Jahre hinweg recherchierten die Producer nach geeignetem Material und bedienten sich dabei an den Filmen, in denen die drei Hauptdarsteller in der Vergangenheit bereits mitspielten.

Eine 3D-Modell von Al Pacinos Gesicht, oben Referenzen alter Filme.
Eine 3D-Modell von Al Pacinos Gesicht, oben Referenzen alter Filme.
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Am Ende entschieden sie sich jedoch dafür, nicht eine jüngere Version der Schauspieler zu kreieren, sondern eine des Charakters, den sie spielen.

In einem YouTube-Video verrät Netflix noch weitere spannende Details über die Entstehung des Films:

Nicht alle Fans sind begeistert

Unter dem YouTube-Video beklagten sich viele Zuschauer, die nicht ganz von der neuen Technik überzeugt sind. So schreibt ein Nutzer etwa: „Pacino und Pesci haben sie wirklich gut hinbekommen. Aber De Niro…Sein Charakter soll zu Beginn des Films 28 sein […]. Das habe ich nicht eine Sekunde lang abgekauft. Er wirkte eher wie ein Mann Mitte 40.“ Dieser Kommentar erhielt rund 5000 Likes. Ein anderer Nutzer kommentierte dagegen trocken: „Also haben sie jetzt die Technologie, um eine Han-Solo-Trilogie mit Harrison Ford zu machen“.

Joe Pesci: Links im Original, rechts die bearbeitete, jüngere Version
Joe Pesci: Links im Original, rechts die bearbeitete, jüngere Version
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Viele Kommentare unter dem Video beklagen vor allem, dass sie die jüngere Version von De Niro nicht überzeugte. Der YouTube-Account „iFake“ hat sich diesem Problem angenommen. In dem Video „The Irishman De-Aging: Netflix Millions VS. Free Software“ zeigen die Macher eine Version, in der zugegebenermaßen De Niro deutlich jünger aussieht als die Version im Netflix-Original. Gänzlich perfekt ist auch dieses nicht, doch die Resonanz fällt deutlich besser aus. „Überarbeite den ganzen Film und veröffentliche ihn“, lautet der Top-Kommentar mit rund 3600 Likes.

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