Neue "Internet-Devices" rollen nach Expertenmeinung den Markt auf

20.03.1998

MüNCHEN: Die Computerindustrie bastelt fieberhaft an neuen Geräten zur Nutzung des Internets. Die Produkt-Designer können sich endlich wieder einmal richtig austoben und präsentieren immer neue Kreationen. Mit dem PC heutiger Bauart haben diese Systeme keine Ähnlichkeit mehr. Mobilität ist Trumpf. Und die einfache Bedienung. Experten schwärmen bereits heute von dem Massenmarkt von morgen.

Aufbruchstimmung hat im Silicon Valley schon immer geherrscht. Doch die Spannung, die über dem Zentrum der Computertechnologie liegt, ist größer denn je.

Fieberhaft wird in den Labors und Softwarefirmen an Konzepten gearbeitet, die Experten gern als "the next big thing" bezeichnen - der nächste Knüller im digitalen Milliardengeschäft. Und das ist ausnahmsweise einmal kaum übertrieben. Denn die Produkte, um die es geht, haben mit Computern nur noch wenig gemein.

Mit dem Internet entsteht eine ganz neue Kategorie intelligenter Geräte - sogenannte Information Appliances. Sie werden vielfältiger, meist billiger und auf jeden Fall bedienungsfreundlicher sein als ein Personalcomputer. Und alle werden Anschluß an das World Wide Web haben, die globale Informationsplattform, ohne die künftig nichts mehr geht.

Die ersten dieser Infoapparate sind bereits marktfähig. Viele weitere werden folgen. "Das ist keine Zukunftsmusik mehr", sagt Michael Kleeman, Vice-President von Boston Consulting. "Das ist bald ein Massengeschäft." Der IT-Experte, der die Entwicklungen im Silicon Valley von seinem Büro in San Franzisko aus verfolgt, kennt die Pläne für eine ganze Reihe unterschiedlicher Geräte: Web-Telephone, Web-Organizer, Web-Handys, Web-Drucker, Web-Fernseher.

Erst mit solchen Geräten, weiß Kleeman, erreicht die Vernetzung auch jene zwei Drittel der Haushalte, die bisher selbst in den USA noch von der digitalen Revolution unberührt geblieben sind. "Der PC schafft das nicht, selbst wenn er immer billiger wird", betont Kleeman. "Das ist ein furchtbar kompliziertes Ding."

Noch sind die klassischen Rechner de facto das einzige Vehikel für die Internet-Nutzung. Doch das wird sich schneller ändern, als viele glauben. Eine Prognose des Marktforschungsunternehmens IDC spricht bereits für dieses Jahr von einer "Invasion" einfacher Internet-Geräte. Langfristig könnten sie die Verkaufszahlen von Personalcomputern sogar bei weitem übertreffen - "mindestens um den Faktor zehn", wie die IDC-Analysten glauben.

Das ungeheure Marktpotential erklärt den Enthusiasmus, mit dem sich die IT-Industrie den neuen Geräten zuwendet. Kaum ein Hersteller, der nicht Designstudien oder Prototypen im Tresor hätte; kaum eine Venture-Capital-Firma, die nicht Millionen Dollar in das Zukunftsgeschäft stekken würde. Selbst Microsoft, für das sich lange Zeit alles nur um den PC drehte, orientiert sich nach unten und investiert seit kurzem massiv in einfache Internet-Apparate. Das weltgrößte Softwareunternehmen will unter anderem Autofahrer und Fernsehzuschauer an das Netz bringen - mit einem sprachgesteuerten CarPC und Set-Top-Boxen für Kabelnetzbetreiber.

Vom Sofa aus im Web surfen

Schon heute reicht in den USA ein Fernseher und ein 95 Dollar teurer Adapter, um in den Genuß von Web-TV zu kommen. Die gleichnamige Firma, von Microsoft im vergangenen Jahr für fast eine halbe Milliarde Dollar gekauft, gehört zu den Vorreitern auf dem neuen Markt. Sie bietet ein einfaches System für den Internet-Zugang via Fernseher - das World Wide Web für "Couch Potatoes".

Anders als beim Anschluß eines PC an das Netz muß der Web-TV-Benutzer keine Computerkenntnisse haben. Die Installation ist ein Kinderspiel. Und weil Web-TV die Funktionsvielfalt beschränkt, macht auch das Versenden von E-Mails oder das Surfen im Netz keine Probleme. Dank einer Infrarot-Tastatur muß man dazu noch nicht einmal den Fernsehsessel verlassen.

Sony und Philips gehören zu den Lizenznehmern und produzieren die Hardware. Sie rechnen für 1998 mit mehreren 100.000 Neukunden - nachdem die Verkaufszahlen im vergangenen Jahr unter den Erwartungen lagen. In Deutschland haben Loewe Opta und Dual bereits ähnliche Konzepte vorgestellt.

Welche Chancen im Prinzip der neuen Einfachheit liegen, zeigt auch das weltweit erste grafikfähige Web-Telefon. Das Cidco-iPhone kommt in diesen Tagen auf den US-Markt und ergänzt den Telefonapparat auf elegante Weise um ein Internet-Terminal und um E-Mail-Funktionen. Mit 500 Dollar kostet das Gerät nur halb soviel wie ein Basis-PC, braucht erheblich weniger Platz und ist - ähnlich wie Web-TV - ungleich einfacher in der Bedienung. Neue Softwareversionen etwa müssen nicht eigenhändig installiert werden; die iPhone-Kunden können ihr Gerät per Knopfdruck auf den neuesten Stand bringen.

Das US-Unternehmen sieht als Zielgruppe nicht nur Endkunden. Auch Banken oder Versandhändler, die Online-Geschäfte abwickeln, zählen zu den Interessenten. Einige US-Firmen überlegen bereits, ob sie das Gerät nicht von sich aus ihren Kunden anbieten sollen; auf diese Weise könnten sie Kosten im Vertrieb senken.

Schon jetzt zeichnet sich ab, daß in Zukunft weitere Geräte webfähig werden. Das erste Internet-Handy, der Nokia Communicator 9000, ist seit über einem Jahr auf dem Markt. Nun folgt eine ganze Reihe von Mobilfunkgeräten mit Internet-Anschluß, die zumindest E-Mails senden und empfangen können. Kurt Sibold, Vertriebsdirektor in der deutschen Niederlassung von Hewlett-Packard, prophezeit: "In fünf Jahren hängt alles am Netz - vom Personalcomputer bis zur Heizungssteuerung."

Rechner in allen Farben und Formen

Privathaushalte werden dann im Keller einen zentralen Server mit Internet-Anschluß haben, an dem "alle möglichen Geräte hängen". Eines davon, da ist sich Sibold sicher, wird ein Drucker sein. Derzeit arbeitet Weltmarktführer HP heftig daran, seine Printer zu Internet-Apparaten umzufunktionieren. Auch Canon und Xerox wollen noch in diesem Jahr Geräte vorstellen, die Internet-Seiten oder E-Mails direkt aus dem Netz heraus ausdrucken oder als E-Mail online versenden. Sie könnten über kurz oder lang das Fax überflüssig machen.

Die Ära der Web-Geräte stellt nicht nur die Ingenieure vor neue Herausforderungen. Auch die Industriedesigner müssen umdenken. Yves Béhar von Frogdesign, der viele Zukunftsstudien für IT-Kunden wie Apple entworfen hat, sieht das Ende der öden Rechteck-Rechner nahen. "Künftig werden Produkte in ganz unterschiedlichen Größen und Formen kommen", sagt Béhar, "nicht mehr in diesem frustrierenden Mikrowellen-Look heutiger PCs."

Wie sich der Designer die Internet-Apparate von morgen vorstellt, zeigt seine Konzeptstudie "AvoPhone" - ein Handy, das ganz im Gegensatz zu der Wegwerfphilosophie der innovationsfreudigen High-Tech-Branche erweiterbar sein soll. So läßt sich das Gerät später zum Videotelefon mit Internet-Anbindung aufrüsten, wenn die Technik reif dafür ist. E-Mails gibt das AvoPhone nicht in Textform wieder; es liest sie einfach laut vor.

Internet-Geräte für die Jackentasche

Der Vorteil dieses Konzepts ist für Béhar, daß der Benutzer sich nicht immer wieder auf neue Apparate einstellen muß, die er dann doch nur zu einem Bruchteil nutzt. "Das ist doch das Problem bei Produkten, die über mehrere Funktionen verfügen." Integration müsse logisch und unkompliziert sein, sagt der Designer. "Wer will schon einen PC für die Hosentasche?"

Bruce Nelson jedenfalls nicht. Der Chief Science Officer, der sich für den Netzwerkgiganten Cisco hauptamtlich mit der Zukunft beschäftigt, hat eine andere Vision. Nelson wünscht sich ein kleines Gerät für die Jackentasche, das über Mobilfunk permanent mit dem Internet verbunden ist und ihm dank Satellitennavigation genau den Weg weisen kann. "Weil das Ding meine Termine und Adressen kennt, erinnert es mich rechtzeitig an mein Meeting - und lotst mich auch noch hin", schwärmt Nelson.

Spinnerei? "Bestimmt nicht", sagt der oberste Cisco-Vordenker. "Die Technologie und die Netzinfrastruktur haben wir im wesentlichen heute schon." Weil sich die Intelligenz von den Endgeräten immer mehr in Richtung Internet verlagere, könnten künftig auch Miniaturgeräte "bislang Undenkbares leisten". Spätestens in drei Jahren, glaubt Nelson, wird er einen solchen Alleskönner bei sich tragen. "Der einzige Nachteil ist, daß wir dann überhaupt keine Ausreden mehr haben, wenn wir mal zu spät kommen."

(Dieser Beitrag erschien erstmals in der März-Ausgabe des manager magazins)

HP-Manager Kurt Sibold: "In fünf Jahren hängt alles am Netz - vom Personalcomputer bis zur Heizungssteuerung."

Der PC, ob mit oder ohne Ohren, bekommt als Internet-Zugangsmedium Konkurrenz.

Im letzten James-Bond-Film zu sehen, in fünf Jahren zu kaufen: multifunktionales Video-Handy von Ericsson

Ein Handy, das sich über die Jahre erweitern läßt: Avophone-Studie von Frogdesign.

Für 500 Dollar ein Telephon mit Web-Anschluß: iPhone von Cidco.

Macht den Fernseher für 95 Dollar zum Surfgerät: Web-TV-Box von Philips.

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