Neue Markt: fit durch Schrumpfen

10.05.2000
Die Herbst-Rallye blieb bislang aus. Anstatt zu steigen, gingen die Technologie-Aktienkurse vor allem an den Wachstumsbörsen Neuer Markt und der amerikanischen Nasdaq nochmals zurück. So günstig wie im vorigen Jahr sind die Aussichten diesmal nicht. Der Aufschwung verzögert sich.

Im Herbst vorigen Jahres begann die bislang spektakulärste IT-Aktienhausse. Zwischen Oktober 1999 und März 2000 kletterte der Nemax-50-Aktienindex von 3.400 auf 9.500 Punkte, was einer Steigerung von rund 180 Prozent entsprach. Dann folgte der Absturz.

Nun schwankt der Index schon seit fünf Monaten zwischen 5.500 und 6.500 Punkten. Alle Versuche, darüber hinaus zu kommen, entpuppten sich als Strohfeuer. Das Vertrauen ist nach den herben Verlusten noch nicht wieder hergestellt.

Generell fehlt es am Aktienmarkt zur Zeit an der viel gerühmten "Leadership". Die Kurse von IBM, Hewlett-Packard, Microsoft, Intel, Cisco und anderen Technologie-Anführern driften richtungslos seitwärts. Und die meisten Internet-Papiere sind in Verruf geraten.

Stockender Geldfluss lässt IT-Aktienkurse stolpern

Die Perspektiven werden nicht mehr so optimistisch beurteilt wie Anfang des Jahres. Anscheinend müssen die Anleger umdenken. Im Schnitt seien insbesondere die New-Economy-Papiere noch zu teuer. Das hohe Niveau der Hightech-Titel begrenze derzeit ihr Steigerungspotential, erklärt ein Teil der Analysten. Zwei entscheidende Aspekte scheinen die mageren Aussichten zu bestätigen: Der Geldfluss in die Technologie-Aktienfonds hat deutlich nachgelassen, bei den Internet- und Telemedien-Aktienfonds zogen die Anleger letztens sogar mehr Geld ab, als sie neu investierten. Außerdem herrschte Ende vorigen Jahres durch die Bereitstellung von Liquidität seitens der Banken für das vermeintliche Y2K-Problem eine Geldschwemme, die in erster Linie den Wachstumsbörsen zugute kam. Die beiden Treibsätze entfallen dieses Jahr.

Schlechtes Image dank erster Konkurse

Seit längerem überraschen immer mehr New-Economy-Gesellschaften mit einer zum Teil unerwartet schlechten Geschäftsentwicklung, die zur Revision der Planzahlen führten. Mit Gigabell hat der Neue Markt auch seine erste Pleite. Infomatec stand wochenlang auf der Kippe. Eine ganze Reihe weiterer Gesellschaften krebst ohne klare Perspektive in den roten Zahlen herum. Auch in Sektoren, deren Wachstumsdynamik nachlässt, kommt es vermehrt zu Gewinnwarnungen. Beispiele dafür sind das IT-Service-Unternehmen Unisys, der Datenbankanbieter Informix oder BMC Software und Computer Associates, die Lösungen für Großrechner vertreiben.

Die amerikanischen Unternehmen leiden zudem unter dem hohen Dollarkurs. Die kürzliche Herabstufung der IBM-Aktie führten Analysten darauf zurück. Ein vereinfachtes Rechenexempel: Ein US-Computer-Fabrikant verkauft seine PCs in Deutschland für beispielsweise 3.500 Mark das Stück. Wenn dieser Betrag in Dollar umgetauscht wird, also jene Währung, in der der US-Fabrikant bilanziert, so kommen je nach Stand der D-Mark/Dollar-Parität sehr unterschiedliche Ergebnisse heraus. Bei 1,70 Mark pro Dollar, wie Anfang vorigen Jahres, erlöst der US-Fabrikant für 3.500 Mark rund 2.060 Dollar. Beim gegenwärtigen Umrechnungskurs von 2,26 Mark für einen Dollar sind es nur mehr 1.550 Dollar. Der gesamten exportlastigen US-Computerindustrie dürfte der Währungsaspekt zunehmend Probleme bereiten. Zwar kann man für die Produkte die Preise erhöhen und somit einen Teil des Währungsverlustes auffangen, aber das geht im internationalen Wettbewerb zu Lasten der Verkaufszahlen und damit der Marktanteile, so dass hier nur wenig Spielraum besteht.

Eine generelle Abkehr von Technologie-Aktien geht damit aber nicht einher. Unisono betonen die Geldanlageprofis die "positive Grundstimmung für die IT-Branche", und auch die Bedeutung des Internet wird allseits glaubhaft herausgestrichen. Effiziente Strukturen stellen in den meisten Wirtschaftszweigen einen kritischen Wettbewerbsfaktor dar, um die Zukunft unter Produktivitäts- und Kostengesichtspunkten sicherzustellen. Dies hat erhebliche Investitionen in IT-Systeme, Software und qualifiziertes Personal zur Folge, welche die Unternehmen auch unabhängig von der aktuellen Auftragslage tätigen. So wird für Computer-Power nach wie vor überdurchschnittlich viel Geld ausgegeben. Allerdings fallen die Zuwachsraten nicht mehr so üppig aus. In diesem Jahr kam das Geschäft relativ schleppend in Gang. Auch von daher rühren die Vorbehalte. Im nächsten Jahr dürfte die Situation jedoch deutlich besser werden.

Technologieunternehmen wachsen fünf- bis sechsmal schneller als die übrige Volkswirtschaft. Zum amerikanischen Bruttoinlandsprodukt steuert der Sektor an die neun Prozent bei, zum Wirtschaftswachstum sogar rund die Hälfte. Die Weltkonjunktur wird dieses und nächstes Jahr wahrscheinlich auf über vier Prozent Zuwachs kommen.

Die Bereinigung sei nun "sehr weit fortgeschritten", meinen die Experten, oder anders gesagt: Arg viel schlechter wird es bei IT-Aktien kaum mehr kommen. Als Trost kann man es empfinden, dass der September traditionell ein eher schwacher Börsenmonat war. Im vorigen Jahr begann der Aufschwung erst Ende November richtig. Nur mit 180 Prozent Plus rechnet derzeit niemand - die meisten wären schon mit 20 Prozent zufrieden. (kk)

Zur Startseite