Neun CPUs auf einem Chip

24.03.2006
Nicht als Weiterentwicklung bestehender Technologie, sondern als Revolution in der Mikroprozessortechnik bezeichnen selbst Außenstehende den Cell-Chip. IBM will nun den ersten Blade-Server gegen Ende des Jahres mit diesem Chip auf den Markt bringen.

Von Hans-Jürgen Humbert

Pro Sekunde 200 Milliarden Rechenschritte - Sony, Toshiba und IBM haben 2005 den Cell-Chip der Öffentlichkeit vorgestellt. Er ist ein Hochleistungschip einer völlig neuen Generation, der sich von heutigen Massenprozessoren durch hohe Leistung, große Speicherbandbreite und ein ungewöhnliches Design unterscheidet. Insgesamt fünf Jahre und rund 400 Millionen US-Dollar haben sich die Unternehmen die Entwicklung kosten lassen.

Physikalische Grenzen erreicht

Bei herkömmlicher Prozessortechnologie wird höhere Leistung durch kleinere Strukturen und höhere Taktraten erzielt. Dieser Ansatz stößt aber langsam an seine Grenzen. Den größeren Stromverbrauch bei schnelleren Taktraten versucht man durch eine geringere Versorgungsspannung in den Griff zu bekommen. Zu gering darf die Versorgungsspannung aber auch nicht gewählt werden, denn dann ist der Signal-Rauschabstand (Verhältnis Datensignale zu Störsignalen) auf dem Chip zu klein. Es kommt zu Datenverlusten.

Weiterhin steigt bei höheren Taktraten auch die Verlustleistung auf dem Chip überproportional an. Schon heute übertrifft die Leistungsaufnahme eines Prozessors die einer elektrischen Herdplatte. Im Gegensatz zu einer Herdplatte führen Datenströme keine Wärme ab, und Silizium darf im Betrieb nicht heißer als 150 Grad Celsius werden. Mit aufwändigen Kühlmaßnahmen muss diese so genannte Verlustleistung abgeführt werden.

Das Ende von Single-Core

Bei Rechnern mit einem Prozessorkern arbeitet die CPU alle Rechenschritte nacheinander ab. Wird die Taktfrequenz erhöht, erhöht sich auch die Rechenleistung, da jetzt die Rechenschritte schneller abgearbeitet werden.

Mit dem Cell-Chip beschreiten die Entwickler ganz neue Wege: Sie setzen auf massive Parallelverarbeitung der Daten. Während Intel und AMD ähnliche Lösungen anstreben und zwei CPU-Kerne auf einem Chip anbieten, haben die Entwickler dem Cell gleich neun parallele Recheneinheiten spendiert. Er soll damit ein Vielfaches an Leistung herkömmlicher Prozessoren erzielen, ohne erheblich mehr Strom zu verbrauchen. Theoretisch bieten die neuen parallel geschalteten CPUs eine Rechenleistung von 200 Gigaflops - also 200 Milliarden Gleitkomma-Operationen pro Sekunde.

Technische Details

Auf dem briefmarkengroßen Cell-Chip befinden sich 234 Millionen Transistoren. Eine Taktfrequenz von bis zu 4,6 GHz wollen die Entwickler in der ersten Stufe erreichen. Der Cell ist ein auf IBMs Power-Architektur basierender heterogener 64-Bit-Multi-Prozessor. Der Chip beinhaltet insgesamt neun Prozessorkerne: eine 64-Bit-Power-CPU sowie acht so genannte Synergistic Processing Units (SPE). Weiterhin verfügt der Cell über 2,5 Megabyte internen Speicher, auf den die CPU-Kerne sehr schnell zugreifen können. Gefertigt wird der Chip in 90-Nanometer-Technologie bei IBM in East Fishkill, USA. Kupfertechnologie und der Silicon-on-Insulator-Prozess sollen die Verlustleistung des Chips gering halten.

Cell-basierte Computersysteme sollen sich für alle extrem datenintensiven Anwendungen - Medizin, Luftfahrt, Aufarbeitung von seismischen Daten und Telekommunikation - eignen.

Aber auch in Multimedia-Geräten kann dieser neue Prozessortyp seine hohe Rechenleistung einbringen. Besonders rechenintensive oder breitbandige Media-Anwendungen wie Simulationen, Videospiele oder komplexe Trickfilme sowie Hochleistungsgeräte für den digitalen Heimbereich wie HDTV-Fernseher oder Spielekonsolen sollen davon profitieren.

Problemkind Nummer 1: die Software

Bei aller Euphorie über die vielfältigen Möglichkeiten und die hohe Rechenleistung des Cell-Chips darf eine Frage nicht vergessen werden: Welche Software unterstützt die neue CPU?

Bei herkömmlichen Prozessoren werden alle Rechenschritte nacheinander abgearbeitet. Beim Cell geht das nicht. Er läuft erst dann zur Hochform auf, wenn alle Recheneinheiten parallel nebeneinander voll ausgelastet sind. Das wird aber von heutiger Software nicht unterstützt - völlig neue Routinen müssen her. Diese Problematik hat das Entwicklertrio Sony, Toshiba und IBM auch erkannt. Deshalb legten sie die Cell-Architektur offen.

Diese Veröffentlichung liefert einer Vielzahl von Softwareentwicklern weltweit die Grundlage, Applikationen auf den Cell-Chip zu portieren. Nach dem Vorbild von Open Source ist geplant, die Cell-Plattform in gleichem Maße zu öffnen wie die Power-Architektur.

IBMs Entwickler haben es als Erste geschafft, das Betriebssystem Linux auf Cell zu portieren. Dazu wurde der Linux-Kernel erweitert. Er kann damit Ressourcen des Cell-Prozessors ausnutzen und Programme auf den Prozessorkernen (SPEs) steuern. Der Cell-Code wird im Linux-Kernel 2.6.13 integriert.

Kühl und schnell

IBM will gegen Ende dieses Jahres die ersten Blade-Server mit Cell-Chip auf den Markt bringen. Dabei spielt neben der hohen Rechenleistung auch der geringe Leistungsbedarf der Cell-Chips eine entscheidende Rolle. Ohne komplexe Kühlsysteme sollen diese Blades eine enorme Rechenleistung erzielen. Besonders stolz ist IBM auf die Kommunikationsfähigkeit der Cell-Blades untereinander. Mit bis zu 40 GB/s sollen die einzelnen Blades ihre Daten gegenseitig austauschen können. Preise für die Geräte stehen allerdings noch nicht fest.

Sony will mit dem Cell-Chip in den Consumer-Markt und rüstet seine Spielekonsole Playstation 3, die Ende 2006 in den Läden stehen soll, mit einem Cell-Chip aus. Die Konsole soll mit 3,2 GHz getaktet werden und eine Rechenleistung von bis zu zwei Teraflops erreichen.

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