Nicht Zerstörung, sondern Stromausfall legt Produktion lahm

30.09.1999

MÜNCHEN: Die Fabriken der Computerindustrie in Taiwan stehen noch. Dennoch lassen sich die Folgen des Erdbebens für die IT-Branche kaum abschätzen. Stromausfall, Nachbeben und zerstörte Infrastruktur stellen Lieferungen jeglicher Art in Frage."Es ist gerade die Speicherproduktion für die heißeste Zeit im Jahr, die da den Bach runtergeht", erklärt Rainer Storz, Geschäftsführer der RSD-Bitware in Solingen. "Ich glaube auch, daß die Distis die Gelegenheit nutzen werden, eine künstliche Verknappung zu schaffen, um die Preise noch weiter in die Höhe zu treiben. Ein Problem werden auch irgendwo verborgene Billigchips sein, die kein anderer außer den Taiwanern mehr herstellt", ist sich der Notebook-Händler sicher.

Die Hersteller selber hüllen sich noch in Schweigen. Zum Teil, weil sie die Lage bis zum Redaktionschluß noch nicht abschätzen konnten. IBM, HP, Compaq, Dell, Gateway, Toshiba und Fujitsu fahren zumindest einen Teil ihrer Produktion in Kooperation mit taiwanischen Partnerfirmen. Daneben haben US-Hersteller von Spezialchips wie Broadcom, Galileo Technology, MMC Networks, PMC Sierra, S3,

3DFX Interactive, Altera Lattice Semiconductor und Xilinx ihre Chipproduktion weitgehend nach Taiwan ausgelagert.

Folgen des Stromausfalls

Doch die Komponenten-Produzenten ,hatten Glück im Unglück, denn die meisten Fabriken haben nur geringe Schäden davon getragen. Das große Problem ist der Stromausfall, der in 28 Wafer-Fabriken die Chipproduktion stoppte. Und ein Ende des Energiemangels ist nicht in Sicht: Der Strom muß voraussichtlich für drei bis vier Wochen rationiert werden.

Die meisten Produktionsstätten liegen im Norden Taiwans, das Epizentrum hingegen 200 Kilometer südlich von Taipeh. Doch selbst Hersteller, die gar nicht in dem asiatischen Land vertreten sind, müssen mit Lieferproblemen bei Komponenten rechnen. Bis sich die vollen Auswirkungen im Lieferkanal bemerkbar machen, können zwei bis sechs Wochen vergehen, heißt es von Branchenkennern.

Erst wenn der Strom wieder ausreichend fließt, können die Produzenten ersehen, ob die Unterbrechungen tatsächlich nur wenige Tage oder doch mehrere Wochen dauern werden. Von Herstellerseite ist meist zu hören, daß nach zwei bis drei Tagen die Produktion wieder starten konnte und sich nur Verzögerungen einstellten, die wieder aufgearbeitet werden könnten. "Wir haben nur kleine Schäden in unseren Fabriken. Zwar gab es in der Zentrale zwei Tage lang kein Strom, doch das ist teilweise behoben. Mit Sonderschichten holen wir das bis Oktober wieder ein. Probleme sehe ich eher bei den Zulieferern von Halbleitern", heißt es beispielsweise von Klaus Muuß, Europachef von Acer. Und Peter Hollmann, Deutschland-Geschäftsführer vom Monitorhersteller ADI: "Von unseren vier Fabriken befindet sich nur eine in Taiwan - und die ist nur leicht beschädigt. Wir können produzieren. Und Waren, die wir für das Weihnachtsgeschäft bestellt haben, sind bereits unterwegs."

Wirklich hart getroffen hat es AMD, allerdings nicht in der Chipproduktion selber: Zwei der drei taiwanischen Motherboard-Hersteller für den Athlon-Prozessor sind gänzlich ausgefallen. Bis sie wieder Ware verschiffen können, werde es wohl zwei bis drei Wochen dauern, hieß es am Freitag seitens eines AMD-Sprechers. Und der dritte Produzent hatte Ende letzter Woche nur noch eine Kapazität von 60 Prozent.

Aber auch die komplexe Chipproduktion selber dürfte auf jeden Fall allein durch den Stromausfall große Einbußen haben. Die meiste Zeit seiner Herstellung verbringt ein Chip in Reinsträumen, in denen seine Oberfläche offenliegt. In diesen Räumen wird der Luftdruck künstlich erhöht. Bei Stromausfall fällt dieser Überdruck flach - und mit ihm die Produktion von mindestens einer Woche. Zudem ist es eine schwierige Angelegenheit, die Reinsträume wieder herzustellen - und auch die Kalibrierung der Maschinen wird durch unregelmäßige Stromzufuhr sowie Nachbeben nicht gerade erleichtert.

Spannend ist es auch hinsichtlich der Chips von Winbond: Die Bios- und Super-I/0-Chips sowie der Baustein für Hardware-Monitoring dieses Herstellers befinden sich auf rund 80 Prozent aller Motherboards - und sind zum Teil konkurrenzlos. Ein Firmensprecher versichert zwar eine derzeitige Produktionskapazität von 70 bis 90 Prozent - allerdings liegen die Fabriken nur wenige Kilometer vom Epizentrum entfernt, so daß hier die Folgen von Nachbeben und Stromausfällen besonders schwer kalkulierbar sind.

Kurseinbrüche an der Börse

Die Börsen reagierten sofort auf die Katastrophe. Vergangenen Donnerstag verzeichnete der Dow-Jones-Index für 30 Industriewerte ein Minus von zwei Prozent. Das Abrutschen der Technologiewerte habe den letzten Aufwärtsschwung aus dem Markt genommen, so ein Börsianer. Betroffene Hersteller sind unter anderem Micron Technologie, Hewlett-Packard, Gateway, Texas Instruments, Cisco Systems, Sun Microsystems und Oracle. Auch die Aktien von Motorola, National Semiconductor sowie Broadcom brachen ein.

Speicherpreise steigen weiter

Aus den Fugen sind vor allem die Speicherpreise geraten, die bereits vor dem Erdbeben um bis zu 50 Prozent gestiegen waren (siehe Kasten). 15 Prozent aller DRAMs werden in Taiwan produziert. Branchenkenner schätzten Ende der vergangenen Woche den Schaden für die taiwanische Halbleiterindustrie auf 200 bis 300 Millionen Dollar. "Die Preise für Datenspeicher werden binnen kurzem auf das Zwei- bis Dreifache steigen", prophezeite ein Unternehmenssprecher von Soyo, einem taiwanischen Hersteller von Computerplatinen. Am Montag betrug der Preis für 64 Mbit-SDRAMs bereits stolze 19 Dollar. Die Herstellungskosten belaufen sich auf etwa sechs Dollar.

Stimmen von Distis

Walter Daguhn, Geschäftsführer von RFI Elektronik, beschreibt seine aktuelle Lage wie folgt: "Wir beziehen 50 Prozent unserer Speicher aus Taiwan. Der Rest kommt aus den USA, allerdings sind das auch oft nur Broker, die wiederum aus Taiwan beziehen. Am Freitag haben wir unsere 128-MB-SDRAM um 20 Prozent von 500 aus 600 Mark verteuert. Noch viel weniger als die Speicherpreisentwicklung ist aber abzuschätzen, inwieweit die Infrastruktur der Herstellerlieferanten, beispielsweise für die benötigten Chemikalien, betroffen ist. Unsere Notebook-Händler jedenfalls können nur abwarten. Denn sie können sich nicht im voraus mit Speicherbausteinen eindecken, weil diese für Notebooks sehr unterschiedlich sind und sie nicht wissen können, was nachgefragt wird."

Und von Rainer Kozlik, Managing-Direktor Components & Private Label bei Macrotron, ist zu hören: "Die Memory-Bausteine sind sehr knapp - und das wird auch bis zum Ende des Jahres so bleiben. Die Händler kaufen uns bereits die Lager leer, aber wir können nach wie vor liefern. Bei Mainboards wird wohl alles geliefert, nur bei Herstellern wie Asus Gigabyte ist die Produktion für eine Woche ausgefallen - und bis die Kalibrierung durchgeführt ist, kann es ein bis zwei Wochen dauern. Bei Monitoren sehen wir kein Problem, obwohl die Lieferanten das Ausmaß auch noch nicht genau abschätzen können."

Harald Philipp, European Director & Marketing Targa/OEM bei Actebis, erklärt folgendes: "Viele unserer Komponenten werden von AID in Taiwan hergestellt. Doch die Situation ist noch unklar. Wir erwarten aber einen Preisanstieg bei Komponenten, auch bei ganzen PC-Systemen und Notebooks, möglicherweise auch bei Monitoren. Für Targa und unsere OEM-Geschäft versuchen wir, die Ver- fügbarkeit zu erhalten. Bei einem allgemeinen Preisanstieg sind auch wir gezwungen, unsere Preise zu erhöhen."

Die Händlerseite

"Das Erdbeben ist die Gelegenheit für das Preiskartell, die Muskeln spielen zu lassen. Die Lager sind knüppeldick gefüllt und in Taiwan werden ja nur etwa zehn Prozent aller Speicherbausteine hergestellt, der Rest in den USA. Die Katastrophe", meint Frank Roebers von PC-Spezialist weiter, "wird sich auf die Preise bis in den Dezember hinein auswirken. Speicher zu bekommen ist nicht das Problem - aber günstige Teile zu bekommen, da wird es schwieriger. In der Vergangenheit reichte ja bereits ein Werkbrand aus, um die Preise steigen zu lassen. Dabei brannte nur vielleicht bloß ein Mülleimer aus. Jedenfalls beruhigen uns die Lieferanten, daß sie liefern können."

Darius Zwaka, Einkaufsleiter bei Atelco, schätzt die Lage so ein: "Auch die Röhrenherstellung von Monitoren liegt flach. Man munkelt, daß sich alles drei bis vier Wochen nach hinten ziehen könnte - wir glauben, daß die Auswirkungen noch länger zu spüren sein werden. Die Anwender machen jetzt schon Hamsterkäufe. Wir rechnen mit dem Schlimmsten. Wir kaufen, was wir kriegen können. Es läßt sich ja kaum sagen, wer eigentlich alles in Taiwan produziert, denn die Wege von der Produktion in den Laden sind doch häufig sehr verschlungen." (via)

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