Noch liegen PCs und Porno vor WWW-Food

07.11.1997
MÜNCHEN: Zwei Meldungen von Anfang Juni: IBM gibt seine Internet-Shopping-Mall mangels Umsätzen auf. Microsoft will einer der führenden Inhalte-Anbieter im Internet Commerce werden. Genauso widersprüchlich stellt sich der Rest des Electronic Commerce im Online-Land USA dar. Trotzdem drängen immer mehr US-Händler ins Netz, verstärkt auch im Lebensmittelbereich.Die Meldung des Wall Street Journal (WSJ) war ein Schlag ins Gesicht aller Internet-Enthusiasten: Die Computerfirma IBM schließt ihre vor einem Jahr mit viel Rummel eröffnete virtuelle Einkaufszone "World Avenue" am 9. Juli - mangels Umsätzen. Trotz Untermietern wie dem Fotohändler Waxman oder dem Kaufhaus Gottschalks hatten sich zu wenig Surfer auf die Mall verirrt.

MÜNCHEN: Zwei Meldungen von Anfang Juni: IBM gibt seine Internet-Shopping-Mall mangels Umsätzen auf. Microsoft will einer der führenden Inhalte-Anbieter im Internet Commerce werden. Genauso widersprüchlich stellt sich der Rest des Electronic Commerce im Online-Land USA dar. Trotzdem drängen immer mehr US-Händler ins Netz, verstärkt auch im Lebensmittelbereich.Die Meldung des Wall Street Journal (WSJ) war ein Schlag ins Gesicht aller Internet-Enthusiasten: Die Computerfirma IBM schließt ihre vor einem Jahr mit viel Rummel eröffnete virtuelle Einkaufszone "World Avenue" am 9. Juli - mangels Umsätzen. Trotz Untermietern wie dem Fotohändler Waxman oder dem Kaufhaus Gottschalks hatten sich zu wenig Surfer auf die Mall verirrt.

Omaha Steaks, ein Fleisch- und Spezialitätenversand, der seine Ware mit Hilfe von Trockeneis, Isolierboxen und Federal Express verschickt, macht die Konstruktion des virtuellen Einkaufszentrums unter dem Namen IBM für den Flop verantwortlich. Das Versandhaus macht nach WSJ-Angaben einen Online-Umsatz von über einer Million Dollar pro Jahr, zu 75 Prozent mit dem Online-Dienst AOL, zu über 20 Prozent über die eigene Internetseite "www.

omaha-steaks.com". Über World Avenue kam kaum eine Bestellung.

Genau eine Woche vorher hatte die Online-Ausgabe des Wall Street Journal die amerikanische Handelslandschaft mit der Meldung geschockt, daß der Software-Gigant Microsoft "auf dem Weg ist, den Commerce im Internet zu beherrschen". Das WSJ zitierte aus einem internen "Strategy Memo" des finanzkräftigsten Unternehmens der Welt, wonach Microsoft an den Online-Märkten für Flugtickets, Online-Autoverkäufe und Retail Goods partizipieren will. "Wir müssen uns Wege überlegen, mit ihnen zusammen zu arbeiten oder ihre Kunden und Gewinn-Ströme zu gewinnen", beschreibt das interne Papier das Verhältnis zu WWW-Händlern.

Über Joint-ventures mit etablierten Händlern zählt Microsoft bereits zu den größten Reise- und Neuwagenverkäufern im Netz. Doch das WSJ vermutet, daß Regional-Angebote im Rahmen von "www.sidewalk.com" zum eigentlichen Einfallstor des Software-Giganten in den Handel werden. Sidewalk existiert bereits als Mall mit redaktionellem Angebot für Seattle und New York, acht weitere Großstadt-Guides sollen folgen.

Eine Bedrohung etablierter Handelsfirmen ist auch der nach Angaben des Internet-Newsdienstes MSNBC umsatzstärkste Online-Verkäufer, CUC International Inc. in Stamford mit seinen Diensten "Shoppers Advantage" und neuerdings "NetMarket" (www.netmarket.com). Auf über eine Milliarde Dollar Jahresumsatz kommt der "König des E-Commerce" nach MSNBC-Angaben. CUC ist durch Konsumentenclubs mit Schnäppchen-Angeboten gewachsen und bietet auch im Internet als eine Art Preisagentur besonders günstig an. Die Firma braucht kein Lager, sondern läßt die Hersteller direkt an die Mitglieder von Netmarket schicken.

Auf den Internet-Umsatzplätzen zwei bis fünf sieht MSNBC typische Unternehmen des PC-Zeitalters: den Netzwerk- und Software-Anbieter Cisco Systems mit einer Milliarde Dollar, den im Direktvertrieb starken PC-Hersteller Dell mit 364 Millionen Dollar und den Online-Dienst AOL mit 356 Millionen Dollar hochgerechnetem Jahresumsatz.

Doch bereits auf Platz sechs folgt ein Handelsunternehmen: Amazon.com, ein Buchhändler, der nur per Internet verkauft, mit 63 Millionen Dollar Umsatz. Amazon.com wirbt mit 20 bis 40 Prozent niedrigeren Preisen, aber einem mindestens zwölfmal so großen Angebot wie seine stationären Konkurrenten. Als profitträchtig werten US-Spezialisten auch den CD-Versender CD Now und die Internet-Abteilung des Blumenversands 1800-Flowers. Zu den Verkaufsrennern zählt die Zeitung Economist noch ein weiteres "Boy Toy": Porno. Zehn bis 30 Prozent aller US-Internet-Umsätze werden mit schlüpfrigen Pixel-Bildchen erzielt, schätzt der Economist.

Bei so vielen Gewinnern des Net Commerce ist es kein Wunder, daß es zur Zeit eine wahre Gründungswelle von Internet-Supermärkten gibt, die Food zum Kunden nach Hause liefern.

Im Schatten der Neugründungen stehen diejenigen Retailer, die Lehrgeld bezahlt haben und sich aus dem Homedelivery wieder zurückziehen mußten. Zu den gescheiterten Experimenten zählen zwei Anläufe der Tengelmann-Tochter A&P in New York, Shaws Supermarket in Boston und der Lieferservice der Telefongesellschaft MCI. Kroger, Pionier beim WWW-Lieferservice in Eigenregie, hat den Dienst aus Kostengründen an Peapod übertragen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Lebensmittel Zeitung 24 vom 13. Juni 1997.

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