Novell stellt sich Pinguin Suse auf den Tisch

13.11.2003
Für 210 Millionen US-Dollar in bar kauft Novell den Nürnberger Linux-Distributor Suse AG. Damit werde Novell zum führenden Komplettanbieter von Linux-Lösungen für Unternehmen, erklärte Novell-Boss Jack Messmann. Auch Suse-CEO Richard Seibt feierte die Übernahme als Beginn des weltweiten Vertriebs der Distribution aus Nürnberg. Dennoch: Es bleiben eine Menge Fragen offen. Von ComputerPartner-Redakteur Wolfgang Leierseder

In dieser Nacht liefen die Suse- und Novell-Foren heiß. Gerade hatten Novells CEO Jack Messmann und Suses CEO Richard Seibt bekannt gegeben, dass Novell nach langen Jahren verfehlter, von Kunden gnadenlos abgestrafter Investitionspolitik - zum Beispiel Wordperfekt und Unixware - den Linux-Distributor kaufen werde. Und vielleicht, so der Tenor in den Novell-Foren, im neuen Gewand eines Komplettanbieters von Enterprise-Linux-Software zu einstiger Stärke zurückfinden könnte.

210 Millionen US-Dollar in bar, zahlbar bis Ende Januar, ist Novell der Kauf des nach Red Hat mit geschätzten 40 Millionen Euro Jahresumsatz zweitgrößten Linux-Distributors wert - angesichts des 40-prozentigen Anstiegs von Novells Aktien am Übernahmetag war der Kaufpreis damit auch schon verdient.

Beflügelt durch die Ankündigung IBMs, des wichtigsten Suse-Partners, 50 Millionen US-Dollar zu dem Deal dadurch beizusteuern, dass Big Blue wandelbare Novell-Vorzugsaktien erstehen werde, feierte Messmann die Übernahme: "Zusammen sind wir die Nummer eins im Linux-Markt." Suse-CEO Seibt, der Zustimmung der Kapitalgeber von Suse sicher - die Risikokapital-Firma E-Millennium (32 Prozent), also unter anderem SAP und Deutsche Bank, sowie Apax (21) und Adastra (20), Intel Capital, IBM, Hewlett-Packard und SGI (insgesamt 12) sowie die Suse-Gründer und die Belegschaft -, schwärmte von Novells "globaler Präsenz und Marketingexpertise", mit denen Suses Angebote nun weltweit vertrieben werde.

Novell werde, unter Beibehaltung des Namens Suse und fast aller 399 Mitarbeiter, so Messmann, jetzt daran gehen, sich als "Lieferant kompletter Linux-Lösungen für Unternehmen" zu positionieren. Die Integration Suses in die noch rund 5.700 Mitarbeiter starke Company erscheine nicht als Problem. Im Gegenteil, versicherte Messmann doch "unseren Suse-Mitarbeitern", sie seien das wichtigste Kapital, das Novell erworben habe.

In Linux-Foren fanden diese Ankündigungen, wie zu erwarten war, keine ungeteilte Zustimmung. Zum einen wurde die fatale Novell-Akqusitionspolitik der vergangenen Jahre, ob DR DOS, Wordperfekt oder Unixware (mit dem Unix-Code, der mittlerweile an Linux-Grundherr SCO verkauft wurde), beißender Kritik unterzogen. Man sei gespannt, ob sich Novell wirklich so geändert habe, dass es die eher freien Linux-Geister, rund 150 Linux-Entwickler in Nürnberg, rund 50 im August eingekaufte Ximian-Entwickler, halten könne.

Linux-Basis: Push für Novell? Für Suse?

Diese Überlegung deckt sich mit der Aussage eines Suse-Kenners, der nicht genannt werden will, gegenüber ComputerPartner: "Viele Suse-Entwickler würden gehen, wenn der Arbeitsmarkt es zuließe." Aber er meinte auch, dass die "weit gehend von IBM bezahlten Entwickler" aus Nürnberg durch das Engagement des IT-Riesen"froh in die Zukunft blicken" könnten. "IBM braucht Linux als offenes Betriebssystem. Nur so kann es seine Plattformen gegenüber Microsoft und Intel verkaufen."

Zum Zweiten diskutierte man in Linux-Kreisen, wie die von Netware-Erfolgen bestimmt nicht verwöhnten Novell-Vertriebsleute mit der neuen Aufgabe umgehen werden, demnächst Linux-Betriebssysteme verkaufen zu müssen. Eine Meinung war, dass die Novell-VBler jetzt endlich etwas Neues verkaufen können - etwas, was ihnen "nach der langen Durststrecke", während der Netware zu einem Ladenhüter wurde, wieder "Auftrieb" geben könnte. "Novells tote Produktpalette", fasste einer zusammen, "ist auf einmal wieder lebendig. Jetzt können die VBler wieder an den Unternehmenstüren anklopfen, die ihnen seit Jahren verschlossen blieben."

Dieser Aspekt wurde auch unter dem Vorzeichen Suse AG diskutiert. Da viele Unternehmen, trotz veralteter Netware-Versionen, auf den Namen und die Support-Kapazitäten Novells Wert legten, stelle der Kauf durch Novell "den Türöffner schlechthin" für Linux in Unternehmen dar. "Jetzt kann sich Suse der Ressourcen bedienen, die es braucht, um bei großen Unternehmen zum Zug zu kommen."

Ist Novell reif für Linux?

Ebenso wurde überlegt, ob "die bis heute arrogante Haltung Novells" sich durch den Suse-Kauf ändern werde. Novell müsse aufpassen, dass es nicht die Suse-Entwickler durch strenge Hierarchien, die erfahrungsgemäß zu Lasten der Entwickler gingen, verjagt. "Novell selbst hat nicht das Know-how, um eine Linux-Distribution zu bauen. Es ist auf ein gutes Verhältnis zu den Entwicklern angewiesen, nicht umgekehrt", legte sich übrigens der Suse-Kenner fest.

Ferner wurde das bei Übernahmen entstehende kulturelle Problem diskutiert. Ärger sei vorprogrammiert, wenn deutsche Entwickler amerikanischen Marketiers vorschreiben, wann eine neue Distribution erscheine.

Zum Beispiel besitze Novell mit dem Kauf von Ximian und Suse jetzt zwei konkurrierende Linux-Desktop-Systeme. Wer nun glaube, der Einfluss der Nürnberger in Sachen grafische Oberfläche KDE werde im Novell-Hauptquartier in Provo, Utah, größer sein als der der mit Gnome arbeitenden Ximian-Leute, irre sich. Zwar baue Suse Linux-Distribution für Server, während Ximian Desktops adressiert, doch Novell werde um eine Vereinheitlichung der Oberflächen nicht umhinkommen. "Wir werden weiter beide Produkte in unseren Distributionen unterstützen. KDE hat so viele Vorteile, die in Europa geschätzt werden, dass wir auch weiterhin unseren Fokus auf KDE behalten werden", versprach zwar Seibt gegenüber unserer Schwesterzeitschrift "Computerwoche". Doch in Linux-Kreisen antwortet man darauf mit der Überlegung, wie lange Seibt bei Suse bleiben werde.

Schließlich bezweifeln viele, dass Novell sich an die Regeln von Open Source halten werde. Messmann habe in seiner Pressekonferenz nicht ein Mal den Begriff verwendet, und da auchSeibt es nicht tat, müsse man damit rechnen, dass auch in Zukunft Open Source zuallerletzt bei den Novell-Überlegungen eine Rolle spielen werde.

Meinung des Redakteurs

Für Novell könnte der Suse-Kauf der ersehnte Befreiungsschlag sein. Raus aus der Netware-Ecke, weg von den NDS-Splittern - mit der Linux-Positionierung und der weltweiten Channel-Präsenz ist da sicher viel zu machen. Doch dafür muss Novell sich intern einen Ruck geben: Es muss frischer, freier, überzeugter agieren. Was Suse angeht, so erscheint die Übernahme im Moment wie eine Umarmung, bei der man noch nicht weiß, ob sie dem kleinen Unternehmen angemessen ist oder ob sie es erdrückt. Fest steht: Der Kauf wird die Stellung von Linux im B2B-Geschäft verändern. Wie, steht noch dahin.

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