Novells letzte Chance

28.03.2002

Auf der vergangene Woche abgehaltenen "Brainshare" hat Novell nicht nur eine Reihe neuer Produkte angekündigt, sondern auch zahlreiche Fehler in der Vergangenheit zugegeben und eine Offensive in Richtung der so genannten Webservices angekündigt. Aber die herausragende Botschaft aus Utahs Hauptstadt lautet: "Netware 6 kostenlos" (siehe auch Artikel auf Seite 12).

Das ist wirklich revolutionär. Bisher mussten Partner für Novells Kernprodukt horrende Lizenzabgaben leisten, wie auch der neue Vizechef Chris Stone unumwunden zugab. Mit einer kostenlosen Version können Novell-Fachhändler nun weitaus aggressiver bei ihren Kunden auftreten. Zwar ist der Groupware-Markt weit gehend zwischen Microsoft und IBM aufgeteilt, doch die Sicherheitsmängel in Outlook, Microsofts undurchsichtige Lizenzpolitik sowie die Unhandlichkeit eines LotusNotes-Client liefern dem Vertriebspartner gute Argumente, Kunden Groupwise als Alternative zu empfehlen. Hier stellt sich nur die Frage: Wenn Netware 6 als kostenloses Zuckerl lockt, wie viel soll dann Groupwise kosten? Und womit sollen Vertriebspartner künftig ihr Geld verdienen? Etwa mit der Implementierung des Verzeichnisdienstes E-Directory? Oder wird Novells Consulting-Abteilung Cambridge Technology ab sofort die gesamten Beratungsdienste übernehmen?

Was die Zukunft betrifft, so setzt Novell all seine Hoffnung auf so genannte Webservices, also Dienste, die übers Web abrufbar sind, unabhängig davon, für welche Plattformen sie entwickelt wurden. Hier möchte Novell keinesfalls wie bei Java den Zug verpassen. Deshalb machen die Softwerker ihre Netware nun J2EE-fit (Java 2 Enterprise Edition) und setzen gleichzeitig auf Open-Source-Software wie die Datenbank My SQL, den Applikationsserver "Jboss" und den Webserver "Apache" mit der Java-Maschine "Tomcat". Ein so gebündeltes Paket soll in der ersten Jahreshälfte 2003 verfügbar sein.

Hoffentlich ist es dann nicht schon zu spät - zumindest Beta-Releases der "Nakoma" getauften Netware-Version sollten so rasch wie möglich erhältlich sein. Eine weitere Schwäche in Novells Strategie ist das fehlende Werkzeug zum Entwickeln von Webservices. Hier arbeitet das Unternehmen zwar mit Bea zusammen, aber so ganz sicher scheint diese Kooperation nicht zu sein. Auch hier sollte Stone bald für Klarheit sorgen. Denn eines bleibt sicher: Wenn das mit den Webservices nicht klappt, na dann gute Nacht!

Interessant erscheint in diesem Zusammenhang Novells Bekenntnis zu Linux. Lang genug haben die Netzwerker aus Utah diese Plattform vernachlässigt, nun wollen sie den eigenen Verzeichnisdienst darauf portieren. Dies soll dann sequentiell mit allen anderen Produkten ebenfalls geschehen.

Inwieweit aber die neue Strategie tatsächlich Früchte trägt, ist derzeit noch nicht abschätzbar. Erste Ergebnisse dieser Initiative werden aber bereits Anfang Mai zu begutachten sein, wenn Novell nach Barcelona zur europäischen Brainshare einlädt. Spätestes dann wird der Hersteller seinen Partnern Frage und Antwort stehen müssen.

Ronald Wiltscheck

rwiltscheck@computerpartner.de

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