Ob 2.5 oder 3G: Handys und PDAs sind in erster Linie Modeprodukte

12.07.2001
Nach dem WAP-Flop werden Hersteller wie Anbieter nicht müde, die Vorzüge der neuen Mobilfunktechnologien GPRS und UMTS (2.5 - und 3G-Handys) zu preisen. Dabei vergessen die meisten von ihnen aber laut Gartner, dass Handys in erster Linie Modeprodukte sind und als solche vermarket werden sollten.

Oft und gerne falsch zitiert: "Rom sehen und sterben". Schon seit Jahrtausenden gilt die Ewige Stadt als Reiseziel, das in keiner Sammlung eines Weltenbummlers fehlen sollte. Es kam vielleicht auch nicht von ungefähr, dass Marktforscher Gartner zur Konferenz über "Mobile Business: From the Mobile Internet to the Supranet" am 28. und 29. Juni nach Rom eingeladen hatte. Denn frei nach dem Soziopsychologen Abraham Maslow rührt die Stadt am Tiber genauso an die Grundbedürfnisse des Menschen wie das Handy, so eine der wichtigsten Botschaften der Gartner-Analysten an die Mobilfunkbetreiber und Handy-Hersteller, die sich bei ihren Vermarktungs-strategien derzeit vornehmlich auf die Technologien konzentrieren.

"Im Consumer-Markt ist das der falsche Ansatz", erklärte Nick Jones, Spezialist für mobile Anwendungen. Statt immer nur mit technischen Spezifikationen um sich zu werfen, sollten die Anbieter zunächst an den Grundfesten der menschlichen Seele rütteln. Dazu gehören Sex, Angst, Gier und Selbstwertgefühl. "Handys und PDAs sind in erster Linie Modeprodukte", betont denn auch Kenneth Dulaney, Spezialist für mobile Geräte. Als Maslow 1954 "Motivation und Persönlichkeit" schrieb, konnte er den Handy-Boom natürlich nicht vorausahnen. Aber wenn ein Teenager sein ganzes Taschengeld opfert, um sein Kontakt- und Geltungsbedürfnis zu stillen, ent- spricht das denselben Gesetzen. Um die sozialen oder psychischen Saiten im Menschen zum Klingen zu bringen, müssen aber auch die technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen stimmen.

WAP macht einen sicherlich nicht reicher, schöner oder sexy - dafür ist die Technologie zu langsam, zu umständlich und letztendlich auch zu teuer. Mobile Shopping als eine der Anwendungen, auf die viele Betreiber ihre Hoffnungen setzen, verspricht dagegen laut Jones sehr viel mehr Erfolg, da mindestens zwei Bedürfnisse befriedigt werden: die Gier als Verlangen danach, Geld zu sparen, und das Selbstwertgefühl, vom Händler nicht über den Tisch gezogen zu werden. Hinzu kommt Bequemlichkeit. Während werbefinanzierte Services bei Berufstätigen kaum ankommen, kann man sie Jugendlichen und jungen Leuten unter dem Aspekt der Kostenersparnis sehr wohl schmackhaft machen.

Dass die technischen Voraussetzungen für die Verbreitung von Handys nicht ganz unwichtig sind, zeigt auch das Negativbeispiel der USA (siehe Grafik), wo es selbst in den Großstädten kaum ein flächendeckendes Netz gibt. Ein anderes Credo der Gartner-Analysten lautet: "Eine sich schnell vorwärts bewegende Technologie erfordert einen schnellen Return on Invest- ment (ROI)." Fünf- oder gar ZehnJahres-Pläne zu machen sei geradezu selbstmörderisch. Flexibilität ist gefordert. Mobilfunknutzer wie -anbieter müssen sich auf kurzlebige Produkte und Services einstellen. Die Killerapplikation und die Eier legende Wollmilchsau wird es bei den Geräten auch in Zukunft nicht geben.

P-Welt und E-Weltwachsen zusammen

Gartner geht davon aus, dass bis 2003 rund 50 Prozent der Außendienstler mindestens zwei mobile Geräte mit sich führen werden. Mehr als eine Milliarde Menschen weltweit werden bis dahin über ein Handy verfügen. Mehr als 65 Prozent der westeuropäischen Bevölkerung werden bis 2004 ein datenfähiges Mobiltelefon besitzen.

Was WAP und PC-Internet nicht vollbrachten: Durch die mobilen Services per GPRS, UMTS, Blue-tooth und Java (Java Phones gibt es in Japan schon seit Anfang 2001) wird sich unser Leben ändern. 75 Prozent der Europäer werden bis 2007 in 80 Prozent ihrer Freizeit sofortigen Zugang zu E-Services haben. Derzeit sind es noch nicht mal zehn Prozent. Die physische ("P-Welt") und die elektronische Welt ("E-Welt") werden im mobilen Zeitalter zu einem Supernet zusammenwachsen. Szenarien für künftige Anwendungen gibt es viele: vom Preisvergleich per Barcode-Reader bis hin zur intelligenten Waschmaschine, die den Kundenservice bei einem Defekt selbständig "anruft".

Video-Streaming, von den Betreibern und Handy-Herstellern gerne als Argument für UMTS ins Feld geführt, wird sich laut Gartner kaum durchsetzen. Denn wer will schon ständig mit einem Knopf am Ohr herumlaufen? Beste Chancen hätten dagegen Bildübertragung, Lokalisierungsdienste und das Herunterladen von Musik - alles Anwendungen, die auch mit dem Paketdatendienst GPRS (2.5-Handys) zu bewältigen sind. Was den ROI für die 3G-Technologie UMTS angeht, sind die Gartner-Analys-ten mehr als skeptisch. Über 145 Milliarden Euro haben die Betreiber in Europa allein für die Lizenzen ausgegeben. Hinzu kämen nochmalige Kosten in Höhe von 400 Milliarden Euro für den Aufbau der Netze. Gartner geht nicht davon aus, dass die Europäer, wenn sie die Wahl zwischen GPRS und UMTS haben, in Zukunft mehr für mobile Services bezahlen werden - im Gegenteil: In dem zu erwartenden Preiskrieg um 3G-Services am ehesten überlebensfähig sein werden Netzbetreiber mit geringer Verschuldung wie etwa die Gewinner des Lizenz-"Beauty Contest" in Spanien und netzlose Anbieter (Mobile Virtual Network Operators) wie Mobilcom.

www.gartner.com

ComputerPartner-Meinung:

So aufregend die neuen mobilen Technologien und vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten sein mögen, sie bergen auch jede Menge Risiken. Und das gilt nicht nur für die Netzbetreiber, die sich angesichts der hohen Kosten für UMTS ernsthafte Sorgen um den Return on Investment machen müssen. Leid-tragende dieser Entwicklung dürften darüber hinaus sich auch die kleinen Ladengeschäfte, wenn ihnen die Kunden massenweise abwandern, weil ihr Handy ihnen sagt, wo sie denselben Artikel viel günstiger bekommen können. Eines ist Sicher: In einer totalen mobilen Welt wird sich unser Leben ändern. Ob zum Guten oder zum Schlechten, das wird sich allerdings erst noch zeigen müssen. (kh)

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