Öffentliche Ausschreibungen: Vater Staat ist ein schwieriger Kunde

02.06.1998

MÜNCHEN: Ist schon mit Firmenkunden mühsam genug Geld zu verdienen, so läßt sich die öffentliche Hand besonders schwer ergreifen. Selbst kleine Gemeindeverwaltungen lassen für ein paar Tausender Deutschlands IT-Lieferanten zum gegenseitigen Unterbieten antreten. Doch der Staat hat auch in Krisenzeiten ein prall gefülltes Investitionssäckel. Wer kann dazu schon nein sagen?Das mache ich nicht mehr. Früher, ja, da habe ich in ganz Deutschland Universitäten, Schulen und Ministerien beliefert. Aber das habe ich aufgegeben. Nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ist das nicht mehr machbar." Frank P. Dietrich hat die Flinte ins Korn geworfen - zumindest, was das Geschäft mit verbeamteten Kunden angeht. Der Geschäftsführer der Münchner FD Computer sieht bei Geschäften mit Vater Staat einfach keine Verdienstmöglichkeiten für Fachhändler und kleinere Systemhäuser. "Selbst wenn man nur zehn Prozent Marge kalkuliert - von unten nach oben - lohnt sich der ganze Aufwand nicht", klagt Dietrich.

Mehr noch als Kunden aus der Wirtschaft sind die öffentlichen Einkäufer zum Sparen gehalten. Schließlich geben sie unser aller Steuergeld aus. Und anders als das Gros der EDV-bedürftigen Unternehmen steht ihnen mit der öffentlichen Ausschreibung auch ein Mittel zur Verfügung, möglichst viel für möglichst wenig zu bekommen. In Tageszeitungen, Amtsblättern und Fachzeitschriften rufen sie bundes- und bei Aufträgen ab 200.000 ECU gar europaweit nach allen, die sich berufen fühlen, auf daß sie ein gefälliges Angebot unterbreiten mögen. Zehn bis 25 Anbieter sind im Durchschnitt dabei.

Ausschreibung ist gut, Vertrauen ist besser

Am Ende macht natürlich immer nur einer das Rennen. Die, die leer ausgehen, bleiben auf den Kosten des Papierkrieges sitzen und wittern dann oftmals Inkompetenz oder gar Schiebung. Schlechte Verlierer? Nicht immer. Auch wenn das streng formalisierte Ausschreibungs-verfahren auf den ersten Blick absolut objektiv und gerecht erscheint (siehe Seite 90), gibt es in der Praxis doch mehr als genug Hintertürchen für das alte Spiel "Eine Hand wäscht die andere". Das muß nicht immer gleich Bestechung bedeuten. Zwar ist das Schmieren von Beamten in der Baubranche schon traurige Tradition. Angeblich ist bei der Hälfte aller öffentlichen Bauten Korruption im Spiel, wodurch sich die Leistungen um etwa 30 Prozent verteuern. Bei der IT habe Schmieren aber wegen der geringen Margen wohl keinen Sinn, behauptet zumindest Jean Wernstedt, Geschäftsführer der Potsdamer Systema GmbH.

Das deutsche Vergabewesen ist bisher vor allem von lokalem oder zumindest nationalem Klüngel geprägt. Die Steuern der Bürger sollen tunlichst im Lande, am besten in der Gemeinde bleiben. An diesem Provinzialismus haben sich ausländische Anbieter und die EU-Kommission jahrelang die Zähne ausgebissen. Inzwischen zeichnet sich aber eine Wende ab (siehe Seite 93).

Die Hersteller und Händler, die es geschafft haben, ein solches Hoflieferantenverhältnis zu einem Abnehmer aufzubauen, profitieren von dieser Mentalität. Deshalb schwärmt Tulip-Partner Wernstedt auch ganz offen von den Vorzügen dieses Systems: "Potsdam ist eine Beamtenstadt. Wir machen die Hälfte unseres Umsatzes mit dieser Klientel. Es gibt über 100 öffentliche Auftraggeber. Wir haben vier oder fünf - und das ist nicht viel -, mit denen wir gut zusammenarbeiten, auch ohne jeden Auftrag zu kriegen. Bei denen wissen wir aber: Da wird Kontinuität geschätzt." Wie aber deckt sich diese "Kontinuität" mit dem grundsätzlich offenen Ausgang von Ausschreibungen und dem Gebot, daß nur das wirtschaftlichste Angebot den Zuschlag bekommt? Wernstedt sieht da keinen Widerspruch: "Langfristige Beziehungen sind auch für den Steuerzahler sinnvoll. Es gibt auch bei uns Bereiche, da will der Kunde einfach, daß nur wir das machen. Wir haben das zehnmal gemacht, das läuft seit Jahren, und das Risiko, da jetzt mit einer anderen Firma oder anderen Produkten einzusteigen, ist einfach zu groß. Wenn sich etwas bewährt und im Nachhinein als wirtschaftlich erwiesen hat, dann gibt es keinen Grund, zu wechseln. Ich weiß auch von anderen, wo wir nie reinkommen, weil die eben auch ihre festen Partnerschaften haben. Aber auf diese Behörden bin ich überhaupt nicht sauer, weil ich weiß, daß das in Ordnung ist."

Glaubt man dem Brandenburger, dann sind Erbhöfe im öffentlichen Beschaffungswesen also keine verschwenderische Pfründenwirtschaft, sondern die wirtschaftlichste Lösung. Für den Beschaffer bedeutet dies, daß er bei der Formulierung der Ausschreibung kreativ sein muß. Will er bei "seinem" Lieferanten bleiben, muß er ihm ein maßgeschneidertes Pflichtenheft liefern. Eine Gradwanderung, denn schließlich dürfen bei einer Ausschreibung zwecks Chancengleichheit keine Hersteller- oder Produktnamen, sondern nur Leistungen und Konfigurationen genannt werden. Tatsächlich werden in der Praxis ständig HP-Drucker, Compaq-Server oder Cisco-Router ausgeschrieben - in der Regel ohne Konsequenzen, denn: Wo kein Kläger, da kein Richter.

Keine Regel ohne Ausnahme

Wie alle Gesetzlichkeiten sind auch die Ausschreibungsbedingungen sehr weit dehnbar. Wenn man will, kann man alles als wirtschaftlich begründen, und das haben wir auch so erlebt", erklärt Wernstedt gelassen. Wütend machen ihn nur solche Einkäufer, die ohne lange zu fackeln einfach nur das billigste kaufen. Nach seiner Erfahrung sind die "verantwortungsvollen Beschaffer" in der Minderheit. "Die wenigsten machen sich die Mühe, die Wirtschaftlichkeit ordentlich zu definieren.

Diese Kriterien sind natürlich angreifbarer als der blanke Einkaufs-preis, und davor scheuen sich viele Beschaffer. Die fürchten um ihre eigene Position", weiß der Systemhäusler. Auch sein Münchner Kollege Dietrich pflichtet bei: "Die meisten Einkaufsabteilungen haben doch gar keine Ahnung. So etwas wie Wirtschaftlichkeit können die doch gar nicht prüfen. Die schmeißen alles in ein Sieb, und der kleinste fällt durch."

Große Auftraggeber oft sehr anspruchsvoll

Als vorbildlicher Beschaffer präsentiert sich Wilhelm Hoegner, Leiter des Amts für Informations- und Datenverarbeitung der Stadt München. Er koordiniert einen "Arbeitskreis Informationsmanagement", in dem alle DV-Verantwortlichen der Münchner Verwaltung über zukünftige Systemstrategien und Anschaffungen beraten. Zusätzlich führt Hoegner in seinem Amt auch umfangreiche Produkttests durch, um die bestmögliche Lösung für die spätere Ausschreibung zu ermitteln. Diese Teststellungen müssen interessierte Anbieter übrigens je nach Projektart und -größe ebenfalls anbieten, und zwar kostenlos. So ist es dann beispielsweise zu erklären, daß die Münchner Beamten weiterhin auf UNIX statt Windows NT als Datenbankbetriebssystem setzen. Gleichzeitig weigern sich Hoegner und Kollegen, ihre PC-Clients von Windows 3.1 auf Windows 95 aufzurüsten und statten die Arbeitsplätze lieber irgendwann mit NT aus. Selbstverständlich kann nicht jede Gemeindeverwaltung so einen Aufwand treiben. So erklärt sich auch die von Wernstedt beobachtete Tendenz, daß die Ausschreibungsunterlagen schlechter werden, je kleiner die Auftrag-geber sind.

Die dicken Fische fangen die Großen

Die öffentliche Hand hat im allgemeinen längere Abschreibungsfristen als die freie Wirtschaft. In München sind es zum Beispiel fünf Jahre. Das stellt natürlich auch besondere Anforderungen an die Dienstleistungen der Lieferanten. Standards wie lokaler Service und Support oder Garantieverlängerung reichen meist nicht aus. Die staatlichen Einkäufer richten sich beim Thema Gewährleistungs-konditionen nach der BVB (Besondere Vertragsbedingungen für die öffentliche Hand). Die "liegen oft über den sonst üblichen Vertragsbedingungen und sind auch bezüglich Vertragsstrafen, zum Beispiel bei Lieferverzug und Schlechtlieferung, deutlich schärfer als die Standardverträge, die im Industriebereich angewendet werden", hat SNI-Account Manager Jürgen Ermert erfahren. Ohnehin muß sich der, der Geschäfte mit der öffentlichen Hand macht, die Spielregeln einseitig vorschreiben lassen. "Nur bei Speziallösungen kann ich einen Teil der Geschäftsbedingungen diktieren, wenn die Behörde keine Wahl hat", erklärt Wernstedt.

Nicht nur, aber auch daran mag es liegen, daß kleinere Händler und Systemhäuser bei Ausschreibungen einen schweren Stand haben. Hoegner arbeitet zwar im Bereich Software überwiegend mit kleineren Firmen zusammen. Hardware bezieht er aber in erster Linie bei großen Markenherstellern und Systemhäusern. Nur die sind offenbar in der Lage, zu den Konditionen zu liefern, die der anspruchsvolle öffentliche Kunde erwartet. Hoegner gibt pro Jahr immerhin zehn bis 15 Millionen Mark aus. Da ist es kein Wunder, daß auch die Hersteller höchstselbst nach vorne drängeln, die ansonsten das hohe Lied des Partnervertriebs singen. "Da gibt es schon mal Reibereien, aber das kann mir als Kunde ja wurscht sein", schmunzelt Hoegner. Der Münchner gibt unumwunden zu, daß er lieber direkt mit den Herstellern Geschäfte macht als mit Vertriebspartnern: "Dann haben wir im Konfliktfall nur einen Ansprechpartner statt zwei." Das gelte allerdings vor allem für große Anschaffungen oder sogenannte Rahmenverträge. Letztere umfassen die kontinuierliche Belieferung mit Standardprodukten wie Textverarbeitungs-Software, PCs und Druckern samt Zubehör über einen Zeitraum von zum Beispiel zwei Jahren. Solch dicke Fische will sich natürlich kein Markenanbieter entgehen lassen - Partner hin oder her. "Alle Hersteller mit Key-Account-Betreuung gehen direkt ran. Die Systemhäuser und Fachhändler nehmen's zähneknirschend hin", bestätigt Robert Aderan, Projektbetreuer bei C2000. Ermert, der sich bei SNI um den Großkunden Bundesfinanzverwaltung kümmert, drückt es so aus: "Aufgrund der Marktsituation und des nachgefragten, spezifischen Know-hows bietet Siemens-Nixdorf häufig - meist federführend - mit Partnern gemeinsam an."

Ohne Spezialisierung und Marketing wenig Chancen

Als Mitbewerber bei Ausschreibungen genießt SNI in der Branche einen wenig schmeichelhaften Ruf. "Bei Beschaffungsmaßnahmen, wo Siemens mit im Spiel ist, werden oft Entscheidungen getroffen, die nicht nachvollziehbar sind. Die gehen einfach unfair vor", klagt ein Händler gegenüber Computerpartner. Und ein Kollege, der seinen Namen ebenfalls nicht genannt sehen will, stimmt zu: "Siemens ist ein deutscher Anbieter und ein großer Arbeitgeber. Was soll man sagen: Daran kommen viele Auftraggeber einfach nicht vorbei." Ermert dementiert erwartungsgemäß: "'Buy GermanÈ wird nicht praktiziert. Für inländische Unternehmen gibt es in dieser Hinsicht keinerlei Schutz."

Für Fachhändler und Systemhäuser, die weder Zeit noch Geld haben, sich mit den Branchengrößen um die dicken Auftragsfische zu streiten, hat Wernstedt eine klassische Empfehlung parat: "Der öffentliche Auftraggeber ist dann interessant, wenn man nicht bei allem mitmacht, was ausgeschrieben wird, sondern sich spezialisiert. Man muß auf Nischen innerhalb der öffentlichen Hand achten. Wir bieten etwa Speziallösungen im Bereich elektronische Archivierung und aktive Netzwerkkomponenten beziehungsweise strukturierte Verkabelung an. Die gehen dann sogar über die freihändige Vergabe." Freihändig, also ohne Ausschreibung und Mitbewerber, bekommt der Systema-Chef denn auch geschätzte 30 Prozent seiner öffentlichen Aufträge. Das Umsatzvolumen dieser Geschäfte ist anteilsmäßig sogar noch höher. Nicht schlecht, wenn man sich vor Augen führt, daß laut Hoegner

95 Prozent der Aufträge in München öffentlich ausgeschrieben werden, gemessen sowohl an der Anzahl als auch an der Summe.

Um seinen Fuß so weit in die Amtsstubentür zu bekommen, braucht es natürlich ein gutes Marketing. Man muß sich bekannt machen. "Ich finde es immer gut, wenn kleine Anbieter, die eine interessante Lösung oder besondere Fähigkeiten haben, zu mir kommen und sich einfach mal vorstellen. Dafür nehme ich mir immer Zeit", rät auch Amtsleiter Hoegner.

Fußangeln überall: Ohne Rat und Hilfe geht's nicht

Inner- und außerhalb der Branche gibt es zudem viele, die das Geldverdienen mit Vater Staat mit Rat und Tat erleichtern wollen. So gibt es in jedem Bundesland von der IHK und anderen Trägern unterhaltene Auftragsberatungsstellen, die nicht nur den Paragraphendschungel erläutern, sondern auch über aktuelle Ausschreibungen informieren (siehe Liste auf Seite 93). Und beim Distributor C2000 beispielsweise kümmert sich ein fünfköpfiges Projektteam auch um das Thema öffentliche Ausschreibungen. "Wir bieten - falls nötig - Finanzierungshilfen, Leasing-Konzepte, helfen bei der Produktauswahl, vermitteln Herstellerkontakte und Einkaufsrabatte, unterstützen bei der logistischen Abwicklung eines Auftrages und geben Tips hinsichtlich der geforderten Service-Konzepte", umreißt Aderan, Leiter Presales und Projektteam bei der C2000 GmbH, seinen Job.

Fußangeln hält der Wettlauf um die IT-Budgets der öffentlichen Haushalte genug bereit (siehe Kasten zum Krypto-Chip). Immer noch nicht ausgestanden ist auch das Thema vergabefremder Kriterien. Idealistische Volksvertreter versuchen immer wieder, mit Hilfe der Ausschreibungen die Welt zu verbessern. Im Extremfall hätten dann nur die Bewerber eine Chance, die mittelständisch sind, aus den neuen Ländern kommen, Frauen fördern, Behinderte beschäftigen, viele Lehrlinge ausbilden, und natürlich immer brav Steuern und Sozialabgaben entrichtet haben. Ob es solche nach EU-Recht größtenteils unzulässigen Stolpersteine gibt und wie zahlreich sie sind, ist von Auftraggeber zu Auftraggeber und von Bundesland zu Bundesland verschieden.

Fazit: Die Trauben beim Geschäft mit Beamten hängen noch höher als bei privaten Kunden. "Eine seriös kalkulierende Firma hat's schwer im öffentlichen Bereich. Wenn ich könnte, würde ich auf diese Aufträge verzichten. Ich kann aber nicht", resümiert Wernstedt. Systemhauskollege Dietrich hat eben das getan: "Die Vertragsbedingungen sind undurchsichtig, der Aufwand hoch, die Margen mickrig. Kunden im Kleingewerbe sind mir da lieber. Die verstehen einen Kaufmann und denken ,Leben und leben lassen". (ld)

Der Staat greift seinen Bürgern oft und tief in die Tasche. Umgekehrt ist das viel schwieriger, zum Beispiel wenn man mit der Obrigkeit Geschäfte machen will.

C2000-Projektmanager Robert Aderan leistet Fachhändlern Hilfestellung beim Handel mit Beamten.

Systemhäusler Frank P. Dietrich ist die Lust am öffentlichen Auftraggeber vergangen.

Systema-Geschäftsführer Jean Wernstedt kann sich freuen: Er hat Stammkunden bei den Behörden.

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