Ohne Konflikte wäre Ihr Unternehmen "tot"

19.09.2002
Woran denken Sie, wenn Sie das Wort "Konflikt" hören? An Unangenehmes? Ernst Frisse* fragt: Warum? Ohne Konflikte wäre Ihr Unternehmen "tot", denn ohne Konflikte gibt es keine Veränderung.

Wenn man die Mitarbeiter und Führungskräfte von Unternehmen fragt: "Woran denken Sie, wenn Sie das Wort Konflikt hören?", dann antworten sie meist: "Streit", "Stress", "offene Wunden" oder gar: "Da fließt Blut." In jedem Fall verbinden sie Konflikte mit etwas Negativem. Dabei sind Konflikte im Betrieb wie im Privatleben normal. Für Führungskräfte sollte das Fehlen von Konflikten sogar ein Alarmsignal sein. Denn dann sind ihre Mitarbeiter nicht mehr mit Herzblut bei der Sache. Ihnen ist "alles egal". Deshalb reiben sie sich nicht aneinander. Folglich findet auch keine Veränderung statt.

Doch was ist ein Konflikt? Ein Beispiel: Zwei Mitarbeiter in einem Unternehmen. Herr Andersen macht häufig Überstunden, Herr Bartels geht stets pünktlich um 16:30 Uhr nach Hause. Ist dies ein Konflikt? Nein, solange beide dies okay finden. Vielleicht möchte Herr Andersen Karriere machen, Herr Bartels nicht.

Nehmen wir nun an: Herr Andersen möchte auch früh nach Hause. Er kann dies aber nur, wenn ihn Herr Bartels stärker unterstützt. Darauf angesprochen sagt dieser: "Tut mir leid, geht nicht! Ich muss wegen meiner Kinder um 17 Uhr zu Hause sein." Auch jetzt haben wir noch keinen Konflikt - zumindest wenn Herr Andersen diese Begründung akzeptiert und seine Interessen zurückstellt. Zum Konflikt wird das Problem erst, wenn Herr Andersen stattdessen denkt: "Du Egoist, soll ich dir stets den Rücken freihalten? Du denkst wohl, mit mir kannst du es machen. Warte, das zahle ich dir heim." Jetzt haben wir einen Konflikt.

Verletzung des Selbstwertgefühls

Warum? Das Ziel von Herrn Bartels behindert das Ziel von Herrn Andersen - und umgekehrt. Und keiner von beiden ist bereit, seine Interessen zurückzustellen. Herr Andersen kann sein Ziel aber nur mit Unterstützung von Herrn Bartels erreichen. Er gewährt ihm diese aber nicht. Deshalb fühlt sich Herr Andersen nicht ernst genommen, und seine Gedanken spiegeln die Verletzung seines Selbstwertgefühls wider.

Jeden Konflikt kennzeichnen also drei Elemente:

- eine gegenseitige Zielbehinderung,

- eine Abhängigkeit der Beteiligten und

- eine Verletzung auf der Beziehungsebene.

In diesen drei Elementen liegen für Führungskräfte auch die Ansatzpunkte, um Konflikte zu steuern. Zum Beispiel, indem sie analysieren:

- Wer steht zu wem in welcher Abhängigkeit?

- Welche Mitarbeiter sind "geborene" Konfliktpartner? Für mich? Untereinander?

Bleibt die Frage: Sollen Führungskräfte in Konflikte zwischen Mitarbeitern eingreifen? Und wenn ja, in welche? Zur Erinnerung: Jede Führungskraft hat den Auftrag, Leistung ihrer Mitarbeiter zu erzeugen, zu sichern und zu steigern. Also lautet die Kontrollfrage für jede Führungsmaßnahme: Fördert oder mindert sie die Leistung? Dies gilt auch für Konflikte.

Mehr oder weniger Leistung?

Es gibt Konflikte, welche die Leis-tung fördern. Zum Beispiel, wenn zwei Verkäufer danach streben, mehr Abschlüsse als der Kollege zu erzielen. Hier wäre eine Führungskraft schlecht beraten, diesen Konflikt zu lösen. Im Gegenteil, hier sollte sie sogar prüfen: Wie kann ich den leistungsfördernden "Konflikt" am Leben halten? Zum Beispiel durch einen Verkäuferwettbewerb. Greifen Sie also nur in leistungsmindernde Konflikte ein! Aber wie? Um diese Fragen zu beantworten, wenden wir uns den drei Elementen jedes Konfliktes zu.

Verletzung der Beziehungsebene: Viele (Hobby-)Psychologen behaupten: Wenn die Betroffenen über ihre Gefühle reden, wird alles besser. Das mag für Liebesbeziehungen gelten, für die meisten Konflikte in Betrieben aber nicht. Stellen Sie sich vor, Herr Andersen hätte zu Herrn Bartels gesagt: "Du bist ein Egoist. Du denkst wohl ...". Dann wäre das Tischtuch zwischen ihnen endgültig zerschnitten. Eine Lösung des Konflikts zum Beispiel in der Form, dass Herr Bartels zwar Punkt 16:30 Uhr geht, aber dafür morgens früher kommt oder zu Hause weiterarbeitet oder die Arbeit anders organisiert wird, wäre nicht mehr möglich. Warum? Plötzlich säßen Sie zwei "verletzten Tigern" gegenüber.

Abhängigkeit der Beteiligten: Oft können Führungskräfte Konflikte auch steuern, indem sie die Abhängigkeit zwischen den Beteiligten lösen. Deshalb ein Tipp: Grenzen Sie die Arbeitsgebiete der Mitarbeiter so voneinander ab, dass sie sich nicht mehr beim Erreichen ihrer Ziele behindern, oder indem sie einen Mitarbeiter versetzen.

Gegenseitige Zielbehinderung: Der "Königsweg" der Konfliktsteuerung liegt aber im Auflösen der Blockaden, welche die Kontrahenten am Erreichen ihrer Ziele hindern. Verhindern Sie, dass sich die Kontrahenten auf ihre Zielformulierung, einen Forderungskatalog, festlegen. Versuchen Sie stattdessen, ihre wahren Interessen herauszufinden, und lenken Sie das Gespräch auf das "Wie", mit dem beide Seiten ihre Interessen weitest gehend verwirklichen können. Dann blockieren die Emotionen nicht mehr die Suche nach Lösungen. Machen dabei beide Seiten Abstriche, nennen wir dies einen Kompromiss. Erreichen beide voll ihr Ziel, ist dies ein Konsens.

Königsweg: Auflösung von Blockaden

Warum ist das Auflösen der Blockaden, die ein Erreichen der Ziele verhindern, der Königsweg? Die gemeinsame Suche nach einem neuen Weg führt oft zu ganz neuen, kreativen Lösungen. So entstehen zum Beispiel viele Verbesserungen im vertrieblichen Informationswesen und bei der Produktionssteuerung dadurch, dass sich die beiden klassischen Kontrahenten Vertrieb und Produktion zusammensetzen und über ihre Ziele und Zwänge sprechen.

Oft fällt es den Konfliktbeteiligten schwer, alleine einen Kompromiss oder Konsens zu finden. Warum? Beide beseelt der Wunsch, dem anderen endlich mal "die Wahrheit zu sagen". Dies führt meist zu noch tieferen Verletzungen auf der Beziehungsebene. Dies gilt es zu verhindern. Deshalb ist es oft nützlich, wenn ein neutraler Dritter den Konflikt moderiert und mit den Konfliktparteien eine Lösung aushandelt.

www.va-akademie.de

*Dr. Ernst Frisse ist Trainer bei der VA-Akademie in Sulzbach/Taunus.

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