Ohne Moos nix los - die Auswirkungen der IT-Krise auf die kostenlosen Services der Distributoren

06.02.2003
Je härter der Markt, desto weniger können Fachhändler auf die Kulanz ihrer Lieferanten vertrauen. Nicht anders läuft es mit den Distributoren. Beim ComputerPartner-Roundtable diskutierten Händler mit Geschäftsführern aus der Distribution über Standardleistungen, künftige Finanzierungsmodelle und Berechnung von Transaktionskosten.

Das Thema des heutigen Roundtable ist: Ohne Moos nix los - die Auswirkungen der IT-Krise auf die kostenlosen Services der Distributoren. Herr Schulz, welche kostenlosen Leistungen haben Sie 2002 gestrichen?

Gerhard Schulz: Wir haben keine Leistungen gestrichen; und wir haben auch nicht vor, welche zu streichen. Wir versuchen, Services qualifizierter aufzustellen. Beispiel: verlängerte Gewährleistung. Hier regiert jetzt das Prinzip Großzügigkeit und Kulanz. Auf der einen Seite haben wir Kunden, die vernünftig mit uns zusammenarbeiten und Austauschware in einem vernünftigen zeitlichen Rahmen zurückgeben. Auf der anderen Seite arbeiten wir aber auch mit Händlern, bei denen die Abwicklung Dimensionen angenommen hat, die nicht mehr zu verkraften sind. In der Vergangenheit haben wir beide Gruppen gleich behandelt. Mittlerweile haben wir aber Systeme entwickelt, die es uns ermöglichen, Retourenmuster von Kunden zu analysieren und schwarze Schafe zu identifizieren.

Ein anderes Beispiel sind die Aufschläge für so genannte Mindestbestellungen, die Sie und auch Ihre Wettbewerber eingeführt haben.

Schulz: Ja, aber das ist nichts Neues. Schließlich sind wir Großhändler und keine Einzelhändler. Sieht man sich die Prozesskosten in der Logistik an, dann ist einer der Hauptkostentreiber die Auftragsgröße. Wenn ein Händler nur eine einzelne Druckerkartusche einkauft, dann kostet uns die Abwicklung dieser Bestellung ein Vielfaches des Warenwerts. Wir haben den Betrag für Mindermengenbestellungen von 250 Euro auf 100 Euro reduziert - und dabei soll es auch bleiben.

Herr Furuseth, wie sieht es mit den kostenlosen Dienstleis-tungen bei Tech Data aus?

Martin Furuseth: Im vierten Quartal haben wir alle Zusatzleistungen angeboten, um das Weihnachtsgeschäft anzukurbeln, beispielsweise keine Aufschläge für kleine Bestellungen oder frachtfreie Lieferung, wenn der Kunde am Wochenende bestellt. Ansonsten sind unsere Lieferungen aber nicht mehr frachtfrei, weil wir dieses Rennen nicht mehr mitmachen wollen.

Sie haben in Gesprächen bereits öfter erwähnt, dass die großen Distributoren die Aufgabe haben, den Handel zu erziehen. Beispielsweise, dass frachtfreie Lieferung ein Auslaufmodell sei.

Furuseth: Das ist unterschiedlich und kommt auf die jeweiligen Kundenverträge an. Es gibt auch bei uns noch viele Händler, denen wir vertraglich frachtfreie Lieferung zusichern. Dennoch sollte man sich gemeinsam mit dem Kunden die gesamte Kostenstruktur ansehen. Seit einem knappen Jahr setzen wir pro Kunde auf Vollkostenrechnung. Das heißt, gemeinsam sieht man sich an, welchen Produktmix der Kunde braucht und sein Bestellverhalten: Ordert er manuell oder online? Dagegen halten wir, zu welchen Pack- and Ship-Mustern das bei uns im Logis-tikzentrum führt. Über diese Auf-listung wird dann mit dem jeweiligen Kunden geredet und wie man hier Einsparungen vornehmen kann. Auch im kommenden Jahr werden unsere Außendienstmitarbeiter mit diesem Thema stark beschäftigt sein - oder wie Sie es nennen: Erziehungsarbeit leisten. Denn Kosten sparen und Geld verdienen, steht für Handel und Distribution an erster Stelle.

Herr Apelt, bei COS ist die Kosten- und Kundenstruktur eine andere als bei den Broadlinern. Sie bedienen fast ausschließlich mittelständische Händler und SMB-Kunden. Wie verkaufen Sie Ihren Kunden Maßnahmen der Kostenreduzierung - oder ist das bei Ihren Kunden gar nicht möglich?

Roland Apelt: Man muss die Handelsprozesse ganzheitlich betrachten. Und da sollte man sich überlegen, wo läuft die Bestellung auf? Und wie wird sie auf die Mitarbeiter übertragen? Wir alle stecken sehr viel Arbeit in die Entwicklung des E-Commerce-Bereichs. Wenn das richtig läuft, können Sie natürlich auch andere Kostenstrukturen abbilden. Und gerade, weil bei uns geringere Kosten als bei den Broadlinern auflaufen und COS ein sehr gutes Jahr hinter sich hat, können wir über ein paar Dinge wesentlich entspannter nachdenken.

Haben Sie denn schon über bestimmte Leistungen nachgedacht, die Sie streichen oder einschränken werden?

Apelt: Nachgedacht schon, aber wir werden nichts streichen. Allerdings haben auch wir im vergangenen halben Jahr die RMA-Abwicklung - Stichwort: Verlängerung der Gewährleistung - sehr genau analysiert. Denn hier kann es sehr schnell wehtun. Aber ich glaube, das hat sich mittlerweile sehr gut im Markt eingespielt.

Dann fragen wir jetzt mal Ihre Kunden, ob sie das genauso sehen. Herr Weinmann, bemerken Sie im Alltagsgeschäft das Kostenmanagement der Distributoren oder ist alles beim Alten?

Klaus Weinmann: Das ist schwer zu sagen, inwieweit wir das im Tagesgeschäft merken. Letztendlich sehen wir es immer an der Marge. Die ganzen, für uns verdeckten, Kosten und Umlagen der Distribution sehen wir nicht direkt, sondern erst in der Marge, die uns übrig bleibt. Insofern ist die Kalkulation des Großhandels nicht immer ganz transparent. Zu Herrn Furuseth und dem Punkt "gemeinsam Kosten sparen" sowie "Erziehungsarbeit" möchte ich noch sagen: Auch wenn man Ihnen die Erziehungsarbeit in den Mund gelegt hat (Gelächter), das ist genau der Punkt, den der Handel hasst. Denn das versuchen die Hersteller schon die ganze Zeit. Als Händler kommt man sich dann immer etwas minderbemittelt vor. Und schließlich sollte jeder sein Geschäft im Griff haben. Wenn Sie aber meinen, man müsse gemeinsame Win-Win-Situationen in puncto Kosten schaffen, gebe ich Ihnen vollkommen Recht. Aber es muss auch eine Win-Win-Situation für beide Seiten entstehen.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Weinmann: Das Thema frachtfreie Lieferung - ja oder nein - ist für alle Händler ein kritischer Punkt. Uns ist klar, dass die Kosten dafür gedeckt sein müssen. Nur in dem Moment, in dem die Distribution Lieferungen berechnet, bezieht der Handel seine Ware direkt über den Hersteller. Sonst zahle ich den Weg zweimal: vom Hersteller zum Distributor, von der Distribution zu mir. Dann entscheide ich mich lieber für die frachtfreie Lieferung des Herstellers. Die Distribution kann die Lieferung natürlich auch irgendwo in der Kalkulation verstecken, sodass sie für den Handel nicht auffällt.

Furuseth: Das kann ich nicht nachvollziehen. Wenn Sie die Ware frachtfrei vom Hersteller bekommen und dann auf eigene Kosten zum Kunden bringen müssen, können Sie doch gleich mit Ihrem Distributor vereinbaren, dass er die Lieferung direkt zu Ihrem Endkunden schafft ...

Weinmann: Ja sicher, aber das ist in unserem Geschäft nur schwer möglich. Denn wir sind nicht die alleinige Warensammelstelle verschiedener Hersteller. Das ist in meinen Augen die Aufgabe der Distribution.

Furuseth: Ich komme ja vom Hersteller. Und auch die Industrie überlegt sich, welcher Vertriebsweg für sie der effizienteste ist. Betrachtet man die Systemhauslandschaft, geht es darum, welche Doppelarbeiten in dieser Wertschöpfungskette gemacht werden und was man davon eliminieren kann.

Schulz: Ich möchte noch einmal kurz auf das Stichwort "Erziehungsarbeit" eingehen. Wir haben nicht vor, unsere Geschäftspartner zu erziehen, auch wenn die Diskussion bei uns - in der Regel von der Logistik - auch immer wieder angestoßen wird. Denn wenn in der Logistik nicht alles perfekt läuft, gehen die Mitarbeiter sofort in Arbeit unter. Ich sage dann den Leuten immer: Die Daseinsberechtigung der Distribution besteht ja unter anderem darin, die Ineffizienz der Hersteller und des Handels auszugleichen - und das in den unterschiedlichsten Formen. Es ist einfach eine Illusion zu glauben, dass ich einen Händler dazu erziehen kann, wie er zu bestellen hat, wann und in welcher Häufigkeit. Und es ist auch eine Illusion anzunehmen, dass ich 100 Prozent aller Ware von den verschiedenen Lieferanten punktgenau anvisieren kann.

Trotzdem träumen doch gerade die Broadliner davon, dass die meisten Kunden online Verfügbarkeiten sowie Preise überprüfen und dann übers Web bestellen.

Schulz: Das ist richtig. Aber ich muss dem Kunden die Option bieten, das auch telefonisch zu erledigen, wenn er das möchte. Sonst provoziere ich eine Gegenreaktion und verliere den Kunden am Ende sogar - und das ist das Letzte, was wir wollen.

Herr Paulus, welche Veränderungen fallen Ihnen in der Zusammenarbeit mit den Dis-tributoren auf?

Christian Paulus: Wir arbeiten viel mit Herstellern wie FSC oder Ricoh zusammen. Komponenten beziehen wir bei den Broadlinern oder bei COS. Zum Beispiel: Tech Data hatte seinen Händlern mit einer geringen Umsatzgröße gesagt, man könne nur noch online bestellen und es bestehe keine Möglichkeit mehr, den Vertrieb direkt anzusprechen ...

... eine Maßnahme, die Ende 2001 durchgeführt wurde, die Tech Data aber mittlerweile wieder revidiert hat ...

Paulus: ... was aber bei uns sofort dazu führte, dass wir das Geschäft mit Tech Data eingestellt haben. Und wir bestellen größtenteils nur online, weil wir gar nicht die Zeit haben, stundenlang in der Warteschleife zu hängen. Bei Ingram bestellen wir elektronisch - und zweimal im Jahr rufen wir mal an. Mehr nicht.

Haben Sie deswegen Aufträge zu Wettbewerbern verlagert?

Paulus: Nein, ab und zu brauchen wir auch Tech Data. Aber gerade am Ende des Jahres zieht man Bilanz: Mit wem hat man was und wie viel Umsatz gemacht? Wer war die Nummer eins? Bei uns war das klar Adiva, ein Spezialdistributor. Danach wohl Ingram. Mit Tech Data wollten wir uns Ende 2002 mal unterhalten, haben aber keinen Ansprechpartner bekommen. Dort hieß es, machen Sie mal Umsatz über das elektronische Bestellsystem und rufen Sie uns dann wieder an. Das ist der falsche Weg, mit seinen Kunden zu sprechen. Bei COS beispielsweise kommen wir viel schneller ans Ziel, auch in puncto Erreichbarkeit.

Im Produktportfolio und auch bei den Preisen unterscheiden sich weder Tech Data, Ingram noch Actebis. Und dann richtet man sich schon nach den kostenlosen Zusatzleistungen, kurzen Wegen und fähigen Ansprechpartnern.

Furuseth: Kurz zu dem Vorwurf, Basic Accounts könnten bei Tech Data nur noch online bestellen: Wir haben diese Maßnahme Anfang 2002 wieder rückgängig gemacht. Und wir haben zusätzlich den Vertrieb umgestellt, kleinere Teams gebildet, sodass auch kleinere und mittlere Kunden persönliche Ansprechpartner bei uns haben. Denn gerade bei diesen Kunden ist der Beratungsbedarf hoch.

Herr Schulz, Herr Weinmann hat von verdeckten Aufschlägen bei den Distributoren gesprochen. Gibt es die?

Schulz: Nein, das ist bei uns nicht der Fall. Wir setzen im Gegensatz zu Tech Data nicht auf Vollkostenkalkulation. Gerade bei einem Kunden wie Cancom - auch als Platzhalter für andere Händler dieser Größenordung - arbeiten wir mit Grenzkostenkalkulationen, die bis auf den letzten Punkt genau sind. Gerade weil hier die Margen so eng sind, ist eine Vollkostenkalkulation nicht möglich, eine Grenzkostenkalkulation sehr wohl. Mit den Kunden dieser Größe gehen wir auch in medias res und zeigen ihnen unsere Kosten: wo sie entstehen und wie die Preise genau kalkuliert sind. Außerdem sind die Einkaufspreise der Broadliner bei den größeren Händlern so oder so bekannt. Das heißt, wir können gar nicht mit verdeckten Aufschlägen arbeiten. Das würde den Einkäufern, die Herr Weinmann beschäftigt, auffallen.

Sparpotenziale sind ja immer dort vorhanden, wo personalintensives Geschäft betrieben wird. Frage an die beiden Herren von der Handelsfront: Was ist mit dem technischen Support der Distributoren - ist es schwieriger geworden, den einzufordern?

Paulus: Als wir mit dem Systemhausgeschäft starteten, habe ich die Supportleistungen der Distributoren bereits kritisch betrachtet. Wir fordern technische Supportleis-tungen daher direkt beim Hersteller ein. Denn gerade die Broadliner sind personell bei der Produktbreite gar nicht in der Lage, qualifizierten Support zu liefern. Außerdem sehe ich Distributoren als reine Logistiker, den technischen Support holen wir uns woanders.

Weinmann: Technischer Support läuft auch bei uns hauptsächlich über den jeweiligen Hersteller. Allerdings brauchen wir die Distribution bei der Rücksendung und dem Austausch defekter Geräte.

Aber wenn die Distribution nicht 95 Prozent ihrer Dienstleistungen - zum Beispiel Ware pünktlich von A nach B zu liefern, was im Preis inbegriffen ist - gegenüber dem Handel richtig machen würde, dann würden wir nicht hier sitzen. Worüber wir hier reden, ist das bisschen obendrauf, das noch besser werden kann.

Schulz: An dieser Stelle möchte ich mich Herrn Weinmann anschließen. Wir sehen uns eigentlich ungern als Logistiker, sondern als Beschaffungsdienstleister für den Handel. Denn wir leisten wesentlich mehr, als Ware zu bevorraten und Speditionen zu beschäftigen. Wir arbeiten mit über 300 Lieferanten zusammen - nicht zu vergessen bei immer kürzeren Produktzyklen. Und hier sehen wir uns durchaus als Dienstleister für den Handel, dem wir in einer standardisierten Form diese Informationsvielfalt aktuell, vollständig und zeitnah zur Verfügung stellen. Aber das ist nur ein Beispiel. Außerdem übernimmt die Distribution Credit and Collection für die Lieferanten, und für den Händler garantiert sie die Verfügbarkeit der Produkte. Das heißt, die Dienstleis-tung, die die Distribution erbringt, ist in der Marge enthalten. Sie ist zwar nicht separat aufgeführt, aber dafür arbeiten wir auch nur mit einem Großprofit von ein paar Prozentpunkten. Irgendwann werden unsere Services sicher ein Format haben, das es uns erlaubt, so genannte Service-Level-Agreements mit den Kunden abzuschließen. Dann wird dem Kunden ein gewisses Leistungsspektrum vertraglich garantiert, aber so weit ist die Distribution heute noch nicht.

Herr Weinmann, welche Kriterien bestimmen für Sie die Zusammenarbeit mit einem Partner aus der Distribution - ist es der Preis oder sind es die besten Leistungen?

Weinmann: Die Grundsatzdienstleistungen wie pünktliche Lieferung, Verfügbarkeit et cetera müssen stimmen. Und dann entschei- det natürlich der Preis. Aber man muss auch die so genannten weichen Faktoren berücksichtigen: Ein Einkäufer ruft immer dort am liebsten an, wo er am schnellsten einen Ansprechpartner erreicht. Diesen Punkt darf man nicht unterschätzen.

Herr Apelt, Ihre Zielgruppe hat - wie Herr Furuseth bereits erwähnte - einen höheren Beratungsbedarf als die großen Sys-temhäuser. Wie kompensieren Sie das - auch über die Marge?

Apelt: Wir alle haben so genannte Transaktionskosten, die man nicht so einfach in der Marge unterbringen kann. Ich würde auch Beschaffungskosten anders definieren. Für mich bilden sie die Gesamtheit aus Einkaufs- plus Transportkos-ten, die anfallen, bis die Ware wirklich am Lager liegt. Und dann laufen Fragen auf wie: Ab wann zählt man die Marge? Wie viel wird am Schluss links unten oder rechts oben ausgerechnet? Das ist letztendlich Vereinbarungssache.

Finanzierung

Kommen wir zu einem anderen Thema, das als Serviceleistung wohl im laufenden Jahr auf Ihrer Prioritätenliste ganz oben stehen dürfte: Finanzierung. Die Kreditversicherer haben bereits Ende vergangenen Jahres angekündigt, ihre Beiträge zu erhöhen und die Risikoüberprüfung zu verschärfen. Wie werden Sie darauf reagieren?

Furuseth: Die große Veränderung wird sein, dass der Handel mehr Offenheit an den Tag legen muss. Aber durch neue Rating-Bestimmungen und größere Vorsicht der Kreditversicherer werden für uns nicht deutlich höhere Kosten entstehen.

Herr Weinmann, was sehen Sie da auf Ihr Unternehmen zukommen?

Weinmann: Als größerer Hermes-Kunde haben wir bereits die zunehmende Vorsicht im April/Mai 2002 zu spüren bekommen. Hermes hat unseren Beitrag bereits verdoppelt. Gleichzeitig ging die Leistung zurück: Statt 15 Prozent Abschlag waren es plötzlich 20 Prozent. Ich sehe zwei Probleme auf uns zukommen: Zum einen wird das Thema Finanzierung für die Distributoren teuer; zum anderen wird die Refinanzierung des Handelskanals das Thema der Zukunft. Und es besteht das Risiko, dass sich Hermes ganz aus der IT-Branche zurückzieht. Wenn das passieren sollte, steht plötzlich der IT-Markt ohne Finanzierung da. Aber je höher die Pleitewelle im laufenden Jahr wird, desto eher wird Hermes eine Entscheidung treffen. Das heißt, die Branche bräuchte eine neue Absicherung: Der Hersteller muss dann für den Distributor einspringen oder direkt für seine Kunden an der Handelsfront. Die Herausforderung für die Distribution ist es, in Zukunft dem Handel alternative Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Aber das wird noch ein großes Problem: Denn bei so geringen Margen kann sich niemand größere Ausfälle erlauben. Aber ohne Hermes werden die Ausfälle automatisch steigen, und der Aufwand für die Kreditprüfung wird deutlich zunehmen.

Herr Paulus, wie sehen Sie die Situation?

Paulus: Mit den Kreditversicherern hatten wir bisher keine Prob-leme. Mit langjährigen Geschäftspartnern haben wir immer sehr offen kommuniziert: Sie können auch gerne einen Blick in die Bilanz werfen - natürlich nicht jeder Lieferant, bei dem ich eine Tonerkartusche kaufe. Dementsprechend stelle ich auch Partnern aus der Distribution die benötigten Informationen zur Verfügung. Erwarte dann aber natürlich auch Kreditlinien, die über die Angebote der Kreditversicherer hinaus gehen.

Können Sie dazu ein konkretes Beispiel nennen?

Paulus: Ein sehr gutes Beispiel dafür ist Adiva. Das Unternehmen arbeitet mit keinem Kreditversicherer zusammen, sondern hat ein eigenes Credit-Controlling im Haus. Diese Abteilung bekommt von uns alle Informationen, spricht mit unserem Steuerberater, der Bank und richtet uns dann eine eigene Kreditlinie ein.

Herr Schulz, sollte das von Herrn Weinmann skizzierte Szenario eintreffen, wie wird dann Ingram Micro reagieren?

Schulz: Das Szenario ist nicht unwahrscheinlich. Ich persönlich gehe davon aus, dass das Thema Finanzierung im laufenden Jahr und 2004 unsere größte Herausforderung darstellt. Trotz aller Probleme, die da auf uns zukommen, ist es allerdings auch eine Riesenchance für die Distribution. Denn die Kompetenz, die notwendig ist, um Kreditlinien zu vergeben, liegt - zwar nicht alleine, aber zum größten Teil - beim Distributor. Die Hersteller werden sich dieses Risiko nicht aufbürden. Was auf uns zukommt, ist, dass der Vertrieb gemeinsam mit dem Kunden eine Risikoanalyse erstellen wird, damit Finanzierungsmöglichkeiten gemeinsam ausgelotet werden können. Das erfordert natürlich größtmögliche Offenheit von Seiten des Kunden. Wie gesagt, für die Distribution besteht hier die Chance, ihren Kunden und Lieferanten einen echten Mehrwert zu bieten.

Und was wird das alles kosten?

Schulz: Das Risiko wird sich sicher auf viele Distributoren verteilen. Die Kosten für den gesamten Kanal werden damit steigen, denn die Leistung muss ja erbracht werden. Ob und inwieweit das alles finanzierbar ist, inwieweit das in ausreichenden Qualitätsstandards darstellbar ist, inwieweit kritische Masse notwendig ist, um so eine Organisation überhaupt aufrecht zu erhalten, das wird sich erst noch zeigen ...

Bei welchen Kunden ist denn das Risiko am größten?

Schulz: Wenn Sie sich ansehen, wie die Kreditversicherer heute organisiert sind, dann ist der Aufwand, den sie für den einzelnen, kleinen Händler betreiben, verschwindend gering. Wirklich Arbeit machen bei Hermes die Top 1.000 der Handelsszene. Und wenn ich mir unser Ausfallrisiko ansehe, das natürlich gerade im SMB-Umfeld existiert, dann verteilt sich dieses Risiko auf viele Tausende von Händlern. Im Einzelfall ist der Verlust so klein, dass Sie dieses Risiko in Summe kalkulieren können. Das Risiko fängt bei den M+Sen dieser Welt an.

Herr Apelt, als Nicht-Broadliner hier am Tisch, wie wird bei Ihnen über das Thema Finan-zierung nachgedacht?

Apelt: Wir werden versuchen, eine eigene Bonitätsprüfung auf die Beine zu stellen. Allerdings können wir sicher nicht als Versicherung am Markt agieren, sondern da muss man dann woanders Unterstützung suchen. Das hat aber nichts damit zu tun, dass es im Einzelfall - zum Beispiel bei der Finanzierung eines Projektes - ein Hauslimit geben kann.

Werden Sie die daraus entstehenden Kosten Ihren Kunden berechnen?

Apelt: In welcher Form man die Kosten weitergibt, ist noch nicht raus. Es ist ja auch vorstellbar, dass man - wenn man das Risiko für mehrere tausend SMB-Kunden trägt - mit seinen Lieferanten spricht. Nach dem Motto: Das tue ich für dich, was gibst du mir dafür? Trotzdem gehe ich davon aus, dass die Ware grundsätzlich teurer werden muss, weil die Kosten ja auch steigen werden. Und Hermes wird nicht deswegen vorsichtiger, weil sie mit diesem Kanal reich geworden sind.

Wäre der Handel denn überhaupt bereit, mehr für diesen Mehrwert der Distribution zu zahlen?

Paulus: Da unsere Margen immer geringer werden, wird es sehr schwierig, für die angesprochenen Leistungen noch extra zu zahlen. Da sollte sich die Distribution auch mal an den Hersteller wenden. Alle Kosten auf den Händler abzuwälzen, wird nicht die richtige Lösung sein. Dadurch beleben wir das eh schon schlechte Geschäft nicht.

Herr Weinmann, welche Konsequenzen sehen Sie auf die Branche zukommen?

Weinmann: Wir reden ja darüber, dass ein Rating, das von den Banken heute schon durchgeführt wird, und das sich je nach Bonität in besseren und schlechteren Zinssätzen ausdrückt, dann von Distributoren und Herstellern übernommen wird. Wobei dieses Rating dann nicht im Zinssatz, sondern in den Einkaufskonditionen zum Tragen kommt. Und damit wird das Thema Hermes die nächsten zwei Jahre die treibende Kraft für einen weiteren Konzentrationsprozess in der Branche sein. Sollte Hermes aus dem IT-Geschäft aussteigen, wird sich jeder Hersteller, Distributor, jeder Lieferant des Händlers seine Bonität ansehen. Wenn Sie dann schlecht abschneiden, gibt es keine Kreditlinie oder eine mit schlechten Konditionen. Und das wird die Marktbereinigung noch einmal deutlich beschleunigen.

Transaktionskosten

Fassen wir das Thema Services wieder allgemeiner. Für welchen Mehrwert wären Sie bereit zu zahlen?

Weinmann: Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass wir für alle Leis-tungen, die wir bekommen, bezahlen ... (Gelächter). In Form der Handelsmarge. Die Frage ist, was akzeptieren wir noch obendrauf? Grundsätzlich sind wir erst mal nicht bereit, uns irgendwelche Leistungen on Top berechnen zu lassen. Außerdem macht es keinen Sinn, mit jedem Distributor eine andere Vereinbarung zu haben: Der eine berechnet Frachtkosten, der nächste berechnet was für das Einräumen von Kreditlinien, der andere für die Datenaktualisierung, die wir in unserem Warenwirtschaftssystem verwenden. Für unseren Einkauf wären die Distributoren dann nicht mehr vergleichbar. Was dazu führt, dass Sie eine größere Einkaufsabteilung brauchen. Insofern sollten die Dienstleistungen in der Marge enthalten sein.

Furuseth: Größtenteils sind die Services ja auch in der Marge enthalten. Nochmal zum Thema Finanzierung: Außer Kreditlinien bietet die Distribution auch alternative Finanzierungsformen wie Leasing oder als Dienstleistung, dass die Distribution im Namen des Händlers die Rechnungsstellung für den Endkunden übernimmt. Wir testen das gerade in einer Pilotphase mit einigen Kunden.

Herr Weinmann, würden Sie die Fakturierung an Tech Data abgeben?

Weinmann: Das ist ein Angebot, das wir auf keinen Fall in Anspruch nehmen würden. Wir wollen natürlich selbst der Geschäfts- und Ansprechpartner unseres Kunden bleiben.

Apelt: Trotzdem möchte ich den Satz, dass alle Leistungen in der Marge enthalten sein müssen, nicht so stehen lassen. Wir können die Augen vor den Transaktions-kosten nicht verschließen. Schließlich erbringen wir eine Leistung, die einen Wert darstellt: die Distributionsleistung. Und die kann man eben nicht immer in Prozenten am Produkt festmachen, sondern das ist ein fester Dienstleitungsbetrag, den man nicht immer zwanghaft in einer Marge unterbringen kann. Gerade wenn die Anforderungen an die Distribution von Seiten der Hersteller, des Handels oder der Versicherer immer höher werden, sollte man auch mal über die Umstellung von bestimmten Kostenstrukturmodellen nachdenken.

Schulz: Die Berechnung von Transaktionskosten wird bereits seit zehn Jahren diskutiert. Ich persönlich habe den Glauben daran verloren, Transaktionskosten gegenüber dem Handel fakturieren zu können. Unsere Branche ist eine Margen-basierende Branche, die in Prozent kalkuliert. Wenn ich mich in unsere Kunden, die Händler, hineinversetze, sehe ich die Probleme: Denn Transaktionskos-ten sind erstens nicht vergleich-bar und zweitens kann der Händler sie nicht auf den Warenwert umlegen, weil der Endkunde sich auch keine Transaktionskosten berechnen lässt. Außerdem sind sie für den Händler nicht überprüfbar. Unsere Kunden planen nach Umsatz, und der Handel plant Margen und deswegen muss sich die Distribution nach den Kundenbedürfnissen richten. Ich glaube auch nicht, dass wir dieses Modell irgendwann in der Zukunft umsetzen können. Die Distribution ist dazu verdammt, ihre Leistungen in Form von Margen darzustellen.

Herr Furuseth, glauben Sie, dass Sie Herrn Paulus oder Herrn Weinmann irgendwann Transaktionskosten berechnen können?

Furuseth: Die Fakturierung im Auftrag des Händlers werden wir berechnen. Einerseits stimme ich Herrn Schulz zu, auf der anderen Seite können wir aufgrund der Vollkostenkalkulation mit dem Kunden die Sachen anders besprechen - auch wie man gemeinsam Kosten sparen kann.

Schulz: Nehmen wir ein Extrembeispiel zum Thema Transaktionskosten. Unsere Warenwerte bewegen sich zwischen 20 Euro für eine Kartusche und 10.000 Euro für einen Router. Legen Sie die Kosten für Picking, Order und Faktura auf die Kartusche um, kann der Händler sie nicht mehr verkaufen. Und beim Server wäre die Marge verschwindend gering. Das heißt, der Händler kann so nicht kalkulieren.

Apelt: Es gibt dennoch heute schon Standardleistungen, die berechnet werden: der Mindermengenzuschlag, Frachtkostenpauschale, der Frühlieferzuschlag. Das sind Transaktionskosten, die vom Markt mehr und mehr akzeptiert werden. Denn sie sind vergleichbar, kalkulierbar und können als Beschaffungskosten umgelegt werden.

Fazit

Herr Paulus, wie gehen Sie mit dem Thema Dienstleistungen gegenüber Ihren Kunden um?

Paulus: Kostenlose Dienstleistung gibt es nicht. Denn kostenlos machen wir alle gar nichts. Das kann sich auch keiner leisten ...

Apelt: ... nicht mal das Rote Kreuz ... (Gelächter)

Paulus: Natürlich sieht man sich seinen jeweiligen Kunden genau an: Wie viel Marge lässt er bei mir? Ist er unkompliziert? Oder ruft er mich wegen jedem einzelnen Speicherbaustein an, den ich beschaffen soll, und zusätzlich will er den Auftrag auch noch schriftlich fixiert haben? Ein solcher Kunde kann von mir weniger erwarten als der andere. Wenn aber ein guter Kunde mal wegen einer Tonerkartusche anfragt, die er bei mir ausnahmsweise auf Rechnung bestellt, dann mache ich das auch. Obwohl die Marge einer Kartusche fünfmal durch Lieferschein- und Rechnungsstellung verschlungen ist. Support-Leistungen oder Eilzuschläge kann ich dagegen sehr einfach an den Kunden weitergeben. Trotzdem kann ich nicht einfach alle Transaktionskosten umschlagen; das funktioniert einfach nicht. Man kalkuliert es in der Marge.

Herr Furuseth, unter den Vorzeichen steigende Insolvenzen, Konjunkturflaute und sinkende Margen bei steigenden Kosten, wo ist da noch eine Zukunft für das Geschäftsmodell Distribution?

Furuseth: Unsere Hauptaufgabe sehe ich darin, Prozessabläufe weiter zu verbessern und Kosten gemeinsam zu reduzieren, damit dieser Vertriebskanal wettbewerbsfähig bleibt. Zum Beispiel die Optimierung und Automatisierung der Standardprozesse für Logistik, Bestellabläufe und so weiter. Das würde auch die Kosten der Wertschöpfungskette - Hersteller, Distributor, Handel - reduzieren und die Wettbewerbsfähigkeit des indirekten Kanals gegenüber alterna-tiven Vertriebsmodellen steigern.

Wie wird COS künftig Geld verdienen?

Apelt: Mit beständigem Fleiß ... (Gelächter). Distribution ist schließlich kein Zauberwerk. Distribution ist, täglich kleine Schritte zu machen. Und das kontinuierlich und berechenbar für die Kunden.

Herr Schulz, was meinen Sie?

Schulz: Die Revolution in der Distribution - im Sinne von neuen Geschäftsmodellen alles auf Transaktionskosten zu basieren oder als reiner Dienstleister aufzutreten - sehe ich nicht. Ich stimme Herrn Weinmann zu, dass unsere Branche vor einem bedeutenden Konsolidierungs- und Konzentrationsprozess steht. Das heißt, Partnerschaften werden künftig immer wichtiger. Wir sehen unsere Rolle darin, dem Händler und Lieferanten verlässlich dabei zu helfen, Kosten zu sparen, zum Beispiel durch zunehmende Vernetzung. Das Geschäftsmodell Distribution wird sich nicht drastisch ändern, sondern sich schrittweise, evolutionär weiterentwickeln. Das wird auch zu einer klareren Abgrenzung der Rollenverteilung zwischen Handel und Distribution führen.

Das Abschlusswort haben die Herren von der Handelsfront. Was wünschen Sie sich von der Distribution für eine künftige, fruchtbare und gut funktionierende Zusammenarbeit im laufenden Geschäftsjahr?

Weinmann: Wichtig ist für uns, dass eine weitere Effizienzsteigerung in der Logistik machbar ist - sprich: schnellere Lieferung. Dass die Distribution für uns den Umschlag erhöht, sodass wir den Lagerbestand weiter abbauen können. Ein weiterer Punkt wäre, die Prozesskosten zu optimieren. Außerdem ist es wünschenswert, wenn in diesem Jahr für den indirekten Kanal, die Finanzierung sichergestellt ist - so wie es auch 2002 war. Denn das ist eine Gewitterwolke, die ich auf uns zukommen sehe.

Herr Paulus, was sind Ihre Wünsche an die Herren aus der Distribution?

Paulus: Natürlich beste Preise. Außerdem, dass die Distribution weiter Kompetenz im Bereich Finanzierung aufbaut, soweit noch nicht geschehen, und uns Händlern gute Kreditlinien zur Verfügung stellt. Ausbau der logistischen Leistungen ist auch ein Thema: zum Beispiel Overnight-Lieferungen einführen. Das würde sich positiv auf unsere Lagerhaltung auswirken. Und für uns - wir sind ja nicht so groß wie Cancom - wären der Ausbau und die Verbesserung der elektronischen Bestellsysteme absolut wichtig, denn die Telefoniererei haben wir auf das Notwendigste eingeschränkt. Trotz-dem ist es wünschenswert, dass man, wenn's brennt, einen Ansprechpartner schnell erreichen kann und nicht erst in drei Tagen zum Zug kommt. (ch)

Lesen Sie bitte zum hier ange-sprochenen Thema Finanzierung auch den Gastkommentar auf Seite 8 dieser Ausgabe.

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