Oracle bringt ERP-Software für den Mittelstand

04.07.2002
IBM, Microsoft und SAP kämpfen mit Oracle in dessen zwei Produktbereichen Unternehmenssoftware und Datenbanken hart um jedes Promille Marktanteil. Jetzt wollen die Kalifornier auf die Aktivitäten der Wettbewerber aus Walldorf und Redmond im ERP-Mittelstandsgeschäft mit einer Cut-Down-Version ihrer E-Business-Suite antworten.

Der Begriff Killing Field hat für Amerikaner seit dem Vietnamkrieg eine besonders schmerzvolle Bedeutung. Wenn der Oracle Chairman and CEO, Lawrence J. Ellison, diesen auf die momentane Verfassung des IT-Marktes anwendet, zeigt das auch, wie brutal dort der Kampf um Marktanteile tobt.

Diesmal könnte dem amerikanischen Softwarehersteller Hilfe aus dem Land der aufgehenden Sonne zukommen. "In den nächsten Monaten bringen wir ein auf den Mittelstand ausgerichtetes Softwarepaket auf den Markt, das aus einigen Basis-Modulen der E-Business 11i besteht", ließ Alfonso Di Ianni, Senior Vice President Marketing bei Oracle, in Kopenhagen durchblicken. Das unter "E-Business-Works" firmierende Pa-ket sei vorkonfiguriert und ent-halte Basismodule von "11i" wie CRM, HR und Financials. Die Mittelstandslösung werde in China und auf den Philippinen bereits angeboten beziehungsweise steht vor dem Roll-out. Implementiert werde E-Business Works dort ausschließlich von Partnern.

Ein Omnibus mit zwei Sitzen macht noch kein Coupé

Der Experte für Unternehmens-Software Helmuth Gümbel, Managing Partner bei Strategy Partners, betrachtet das Vorhaben jedoch skeptisch: "Aus einem Omnibus wird kein Zweisitzer-Coupé, nur weil einige Sitze rausmontiert werden." Einzelheiten zur Preisgestaltung und den enthaltenen Modulen, beziehungsweise Business Flows verweigerte Di Ianni aber strikt. Aber auch er dürfte wissen, dass die Kosten bei mittelständischen Unternehmen ein K.-o.-Kriterium sind. Deshalb wünschen sich Oracle-Vertriebspartner eine für dieses Marktsegment niedrigere Einstiegshürde:"Das Preis-Leistungs-Verhältnis bei Oracle stimmt. Der Zugang zum Mittelstand ist aber mit etwas weniger Leistung zu günstigeren Preisen einfacher", berichtet Michael Paege, Geschäftsführer beim Oracle-Partner Opitz Consulting.

Aber selbst wenn die Light-Version der E-Business-Suite ein Erfolg werden sollte, macht eine Schwalbe noch keinen Sommer. Allein im vierten Quartal des Geschäftsjahres 2002, das am 31. Mai endete, brach der Gewinn bei Oracle im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 23 Prozent ein. Im Gesamtjahresvergleich verblieben unterm Strich nur noch 2,22 Milliarden im Jahr 2002 gegenüber 2,56 Milliarden Dollar im Jahr 2001.

Doch wer in diesen Zeiten überhaupt Gewinne ausweisen kann, zählt zu den erfolgreichen Unternehmen. Die allgemein schlechte wirtschaftliche Lage und natürlich der "11. September" dienen auch dem Softwarehersteller mit Hauptsitz in Redwood Shores als Erklärung für zurückgegangene Gewinne. Doch das alleine reicht nicht. Die Vietkongs für die Sunnyboys aus Kalifornien sind IBM, Microsoft und SAP. Big Blue attackiert Oracle bei Unix-Datenbanken, und Microsoft bietet, wie Oracle-Anwender auf der Openworld in Kopenhagen berichtet haben, alle Kräfte auf, um sie zu einem Wechsel auf den SQL-Datenbank-Server unter Windows-Betriebssystemen zu bewegen. Was der Gates-Company auch zunehmend gelingt: Auf 38 Prozent der Windows-Maschinen läuft der SQLServer, 37,3 Prozent sind es bei Oracle, wie das Marktforschungsunternehmen Gartner Dataquest ermittelte.

Mit den verbleibenden Unternehmensanwendungen, der "E-Business Suite 11i" und dem Application-Server "IAS" hat Oracle zwei Produkte im Portfolio, die die tragende Säule Datenbankgeschäft noch nicht wirklich unterstützen können. Rund 80 Prozent aus dem Verkauf neuer Lizenzen erwirtschaften die Kalifornier nach wie vor mit Datenbanken.

Oracle Deutschland setzt auf den Application-Server

Zwar stieg die Middleware IAS mit 13 Prozent Marktanteil weltweit kometenhaft auf. Nach der Ankündigung von Sun, die Basisversion seines Application-Servers zum kostenlosen Download im Internet freizugeben, könnte IAS aber bald im Orbit verglühen. Dennoch setzt Oliver Schwirz, Vorsitzender der Geschäftsführung Oracle Deutschland GmbH, auf den Internet-Application-Server: "In 12 bis 18 Monaten wollen wir in Deutschland Marktführer in diesem Bereich sein." Diese Hoffnung könnte dem unbestätigten Gerücht entspringen, demzufolge die Kalifornier überlegen, das nächste Release ihrer Datenbanksoftware direkt mit ihrem Application-Server zu verbinden. Viele Datenbankanwender von Oracle werden dann wohl kein Geld mehr für die Wettbewerbs-produkte "Websphere" von IBM und "Weblogic" von BEA ausge-ben wollen. Nach Angaben von Tim Payne, Director Oracle9i worldwide Marketing, setzen 72 Prozent der BEA-Anwender OracleDatenbanken ein.

Dennoch macht der Landesfürst Schwirz doch eher aus der Not eine Tugend. Im Heimatland von SAP, dem Marktführer von ERP-Lösungen, hat er mit Unternehmenssoftware einen schweren Stand. "Das Anwendungsgeschäft fiel nicht so hoch wie geplant aus", bestätigt Schwirz. Der Umsatz im App-lication Business fiel weltweit von 2,9 Milliarden im Geschäftsjahr 2001 auf 2,7 Milliarden Dollar 2002.

Die größten Umsatzchancen für Oracle liegen deshalb nach wie vor im Datenbankgeschäft. In Kopenhagen kündigten die Kalifornier an, dass SAP die Datenbank "Oracle9i RAC" vertreiben und unterstützen wird. Das Agreement erfolgte, obwohl die Walldorfer sich hin zu IBM als empfohlenen Datenbankanbieter für ihre Unternehmenssoftware wandten. Pikanterweise fließen damit auch Marketinggelder von Oracle an den Wettbewerber im Anwendungsgeschäft, wie Alfonso Di Ianni bestätigte.

E-Mail-Konsolidierung eröffnet Umsatzchancen

Deutschland-Chef Schwirz sieht auch in der Konsolidierung von E-Mail-Systemen ein sehr großes Umsatzpotenzial für Oracle. Gerüchten zufolge arbeitet Oracle zusammen mit McAffee und Computer Associates mit Hochdruck an einer Lösung, die elektronische Post in den Datenbanktabellen in einer Art Blackbox auf Viren und Würmer scannt, bevor diese über den E-Mail-Server auf dem E-Mail-Client des Anwenders erscheinen. Gelingt dieses Vorhaben, hätten die Kalifornier gegenüber den E-Mail-Servern "Exchange" und "Domino" der Konkurrenten Microsoft und IBM einen Wettbewerbsvorteil, wie Oracle-Partner und Anwender berichten.

www.oracle.de

www.ibm.de

ComputerPartner-Meinung:

Das Produktportfolio von Oracle, nach den Kriterien der Bos-ton Consulting Group analysiert, zeigt auf, dass dem Unternehmen harte Arbeit bevorsteht: Mit Datenbanken steht eine Cash-Cow auf der Weide, der das Kalb Microsoft und der Jungbulle IBM zunehmend das Futter streitig machen, und bei der E-Business-Suite "11i" und dem Application-Server "IAS" handelt es sich gerade in Deutschland wohl doch noch eher um Questionsmarks (Produkte mit geringem Marktanteil und hohem Finanzierungsbedarf) als um Stars. Denn nach der Freigabe der Basisversion des Application-Servers von Sun dürfte der Middleware dasselbe Schicksal wie dem Internet-Browser von Netscape beschieden sein, und bei den Unternehmensanwendungen hat Oracle vor allem hier zu Lande einen schweren Stand gegen SAP und künftig auch gegen Microsoft/Navision. Mit einer Cut-Down-Version der E-Business-Suite unternimmt der zweitgrößte Softwarehersteller jetzt einen wichtigen Schritt Richtung Mittelstand.

Im Bundle, beispielsweise mit der Standard-Edition der Datenbank "9i" unter dem Opensource-Betriebssystem Linux, hätte Oracle ein wettbewerbsfähiges Softwarepaket gegen Microsofts ERP-Produkte von Greatplains und Navision in Verbindung mit dem Datenbank-Server"SQL" sowie den Windows-Betriebssystemen. Und auch der von SAPangekündigten Mittelstandslösung"Business One" könnten die Kalifornier Paroli bieten. Wer von den drei Softwareriesen die Nase vorne haben wird, hängt allerdings davon ab, wer zuerst ein auf den Mittelstand zugeschnittenes Lösungs-Bundle zu einem für das Marktsegment angemessenen Preis über einen funktionierenden indirekten Vertriebskanal anbieten kann. Alle drei haben bei den genannten Punkten unterschiedliche Stärken und Schwächen. Für Oracle ist der Weg aus China und von den Philipinen nach Europa allerdings am weites-ten. Und wer zu spät kommt, den bestraft die Zeit. (hei)

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