Oracle gibt kontrolliert Gas im Mittelstand

12.12.2002

Aus einem Omnibus wird kein Zweisitzer-Coupé, nur weil einige Sitze rausmontiert werden. Einerseits. Andererseits lassen sich diese aber schnell wieder einbauen. Damit bietet die neue "Special-Edition" von Oracle prosperierenden Unternehmen im Mittelstand problemlos die Möglichkeit, die Light-Version von "11i" für ihre wachsenden Bedürfnisse zu erweitern.

Doch wächst mit den Ansprüchen auch die Zahl der Benutzer beim Kunden, steigen die Preise ebenfalls: Ab 15 Anwender gelten die Konditionen der Enterprise-Edition. Mit einem Komplettpreis von 100.000 Euro für eine typische Installation mit 15 Anwendern, tritt der Datenbank-Spezialist jedoch von vorneherein in der "Formel Eins" des Mittelstands an, auch wenn Datenbank- und Application-Server-Lizenzen sowie Hardware, Support und Schulung inklusive sind. Bei der Mehrzahl des von der Ellison-Company in Europa mit 200.000 Unternehmen umrissenen Marktes wird der Oracle-Bus mit diesem Preis nicht als erster über die Ziellinie fahren.

Dennoch, das rote Team aus Redwood Shores geht im Mittelstand gerade noch rechtzeitig an den Start, um nicht den etablierten Wettbewerbern wie SAP oder Microsoft in diesem Segment hinterher zu fahren. Die Rivalen für die Special-Edition heißen jedoch "All-in-one" von SAP und "Axapta" von der Microsoft Business Solutions und nicht "Business One" beziehungsweise "Navision". Chancenlos ist der Ellison-Rennstall gegen sie nicht. Der Oracle-Bus verfügt im Gegensatz zum blauen Team aus Walldorf mit seiner Datenbank-Plattform "9i" über einen eignen Turbo-Lader und hat sich nie auf den Technologieausrüster Microsoft verlassen, als dieser noch nicht mit einem eigenen Rennwagen im ERP-Geschäft an den Start ging. Deshalb droht den Roten im Gegensatz zu den Blauen auch kein Punkteabzug aus Redmond, wenn sie das günstige und windschnittige Open-Source-Betriebssystem Linux als Fahrgestell benutzen.

Doch die beiden Boliden All-in-one von SAP und Axapta von Microsoft besitzen etwas, was dem Zweisitzer-Bus von Oracle noch fehlt: Eine Einspritzpumpe - auch Vertriebskanal genannt. Die Blauen haben in Deutschland ein Team von 32 Branchenspezialisten unter Vertrag, die 80 Lösungen auf Basis von "MySap-All-in-one" für vertikale Märkte entwickelt haben. Und der erst durch die Übernahmen von Great Plains und Navision mit einem eigenen Rennstall in der mittelständischen Formel-Eins vertretene Technologielieferant Microsoft verfügt hier zu Lande über eine Mannschaft von 45 Axapta-Häusern. Oracle unterstützen im Geschäft mit der Unternehmenssoftware E-Business-Suite im hiesigen Markt bislang nur neun Partner.

Um im Mittelstand vorne mitfahren zu können, müssen die Roten ihr Partnerteam aufstocken. Denn wer in allen Rennen dabei sein will, braucht ein großes Fahrerlager. Doch das kostet. Und das Ausfallrisiko trägt allein der Rennstallbesitzer. Die Entscheidung von Teamchef Larry Ellison, erstmals ein Produkt nur mit Vertriebspartnern am Steuer an den Start zu schicken, kommt deshalb nicht überraschend: Erst wenn diese Rennen gewinnen, muss er ihnen Preisgelder bezahlen. Dennoch, ambitionierte Piloten, die in den großen Rennställen nicht zum Zuge kommen, könnten die Farben wechseln. Und auch potenziellen Newcomern steht mit der Special-Edition eine Alternative zu den etablierten Marken offen.

Doch selbst wenn es gelingt, die von Teamchef Tony Mulligan, Senior Director EMEA Sales Channels bei Oracle, gewünschten zehn bis fünfzehn neuen Partner in Deutschland unter Vertrag zu bekommen, wird wohl eine weitere Saison vergehen, bis diese zusammen mit alten Hasen wie Primus und Opitz Consulting Umsätze für die Ellison-Company einfahren. Da wird es schwer, die im Mittelstand etablierten Nobel-Karossen Microsoft und SAP zu überholen, denn der Oracle-Bus hat zwar einen starken Motor, aber auch mit weniger Sitzen noch immer ein zu großes Gewicht.

Eberhard Heins

eheins@computerpartner.de

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