Oracle startet kontrollierte Offensiveim Mittelstandsmarkt

12.12.2002
Mit einer abgespeckten Edition seiner ERP-Suite "11i" antwortet Oracle auf die Initiativen seiner Wettbewerber Microsoft und SAP im Mittelstand. Um im Konkurrenzkampf zu bestehen, räumt der Datenbank-Spezialist das Vertriebsrecht an diesem Produkt ausschließlich seinen Channel-Partnern ein.

Aus einem Omnibus wird kein Zweisitzer-Coupé, nur weil einige Sitze rausmontiert werden", äußerte sich der Experte für Unternehmens-Software Helmuth Gümbel, Managing Partner bei Strategy Partners, skeptisch, als er im Juli erstmals von ComputerPartner von den Plänen Oracles zu ERP-Lösungen für den Mittelstand hörte. Doch die deutsche Partnergemeinde des Datenbank-Spezialisten fordert schon lange eine wettbewerbsfähige Software-Suite für diese Klientel: "Das Paket entstand auf Druck der Partner", betont Horst Huber, Vertriebsleiter bei Primus Solutions.

Jetzt hat der von Larry Ellison gegründete Softwarehersteller dieser Forderung Rechnung getragen und Details seiner Gegenoffensive zu den Begehrlichkeiten von SAP und Microsoft im mittelständischen ERP-Markt preisgegeben.

Special Edition läuft unter Linux

Die Light-Suite "Special Editon" enthält Anwendungen wie Buchhaltung, Verkaufs- und Bestellwesen, Rechnungserstellung und Einkauf (Details siehe Tabelle). Um nicht den Wettbewerber Microsoft Business Solutions (MBS) indirekt durch den Verkauf von Windows-Lizenzen zu unterstützen, bietet Oracle die Light-Version der Enterprise-Lösung "11i" nur auf dem Open-Source-Betriebssystem Linux an. Das Oracle-Mittelstandspaket enthält außerdem Runtime-Lizenzen der eigenen Datenbank "9i" sowie des Application Servers "9ias". "Wir wollen dem Mittelstand ein günstiges Komplettangebot machen", erläutert Tony Mulligan, Senior Director EMEA Sales Channels bei Oracle.

Als Michael Paege, Geschäftsführer beim Oracle-Partner Opitz Consulting, im Juli erstmals von ComputerPartner von diesem Vorhaben gehört hatte, teilte er damals mit: "Das Preis-Leistungs-Verhältnis bei Oracle stimmt", schränkte jedoch ein: "Der Zugang zum Mittelstand ist aber mit etwas weniger Leis-tung zu günstigeren Preisen einfacher." Dem versucht der Datenbank-Spezialist jetzt gerecht zu werden. Doch eine typische Installation der Special Edition für 15 Anwender kostet laut Mulligan immerhin noch 100.000 Euro. Dafür erhält der Kunde Lizenz, Support, Schulung und Hardware. Kunden müssen mindestens 10 Lizenzen abnehmen und können zum Paketpreis höchstens 15 erwerben. Benötigt das Unternehmen später mehr Anwenderlizenzen, muss es die regulären Modulpreise bezahlen. "Wir rechnen aber die Kosten für die Special-Edition an", betont Mulligan.

Vertriebspartner verkaufen Special-Edition exklusiv

Oracle visiert mit dem Softwarepaket den mittelständischen Kunden an. Doch Mittelstand ist nicht gleich Mittelstand. Das angepeilte Marktsegment der Ellison-Company liegt bei Betrieben, die zwischen 100 und 500 Mitarbeiter beschäftigen oder einen Umsatz zwischen 20 und 250 Millionen Dollar erwirtschaften. "Dazu zählen in Europa 200.000 Unternehmen", berichtet Alfonso Di Ianni, Senior Vice President, Marketing, Alliances und Channels bei Oracle.

Nach dieser Marktdefinition konkurriert die Special-Edition von Oracle jedoch eher mit den Produkten "Axapta" von MBS und "All-in-one" von SAP als beispielsweise mit dem ERP-Paket "Business One" der Walldorfer. Doch von der Angebotsform her, einem Komplettpaket, ähnelt die Special-Edi-tion eher der neuesten Offerte des ERP-Marktführers. Die Light-Version von 11i liefert Oracle vorkonfiguriert und vorinstalliert aus. "Ein Vertrag mit Hewlett-Packard ist unterzeichnet", berichtet Mulligan. Verhandlungen führt der Datenbank-Spezialist aber auch mit Sun und Fujitsu Siemens, während der direkte Wettbewerber IBM zunächst außen vor bleibt.

Wie Business One soll die Special-Edition außerdem ausschließlich durch Vertriebspartner vermarktet werden. Doch da geht es Oracle nicht anders als SAP. Wer jahrelang seinen Schwerpunkt auf den Direktvertrieb gelegt hat, dem fehlen heute, im Gegensatz zu Microsoft und Sage KHK, qualifizierte Wiederverkäufer. Oracle hat zwar alleine in Deutschland 1.200 Partner unter Vertrag, aber gerade mal 34 kann die Ellison-Company für ihre Anwendungsprodukte in Europa aufweisen. "Wir wollen keinen Massen-Channel, sondern Qualität", erklärt Mulligan dazu. In Deutschland sollen es deshalb auch in den nächsten Monaten nicht mehr als zehn bis fünfzehn werden. Bestehende ERP-Partner wie Primus oder Opitz, die mindestens über den Certified-Status verfügen, dürfen die Special-Edition sofort anbieten. "Wir starten Anfang 2003", versichert Primus-Vertriebsleiter Huber. Neue Wiederverkäufer müssen dagegen laut dem Oracle-Manager ein Accelerate-Programm durchlaufen, bevor sie mit dem Mittelstandspaket an den Markt gehen dürfen.

Konfliktpotenzial in Vertriebskanal bereinigt

Um diesen die Entscheidung für Oracle zu erleichtern, flankiert der Softwarehersteller seine Produktoffensive im Mittelstand durch ein neues Vertriebsmodell. Dieses soll allen Vertriebspartnern Gleichheit gegenüber dem traditionell starken Direktvertrieb des Softwareherstellers verschaffen. "Es kam immer wieder zu Konflikten zwischen den beiden Vertriebskanälen", räumt Swantje Rosenboom, Director Channel Sales bei Oracle, ein. Sie weiß, wovon sie spricht. Die ehemalige Leiterin des Oracle-Direktvertriebs für die Branchen Telco, Medien und Versorger schaffte jetzt in ihrer seit Juni bekleideten Position zumindest formal Gleichberechtigung. "Wir verkaufen künftig an alle Kunden direkt und indirekt", stellt Rosenboom heraus und ergänzt: "Alle Vertriebspartner verkaufen alle Oracle-Produkte in alle Zielmärkte."

Doch die aus dem Direktvertrieb kommende Rosenboom kennt die Befindlichkeit des in Deutschland zirka 160 Mann starken Direktvertriebs des Datenbank-Spezialisten. Konfliktpotenzial zwischen den beiden Kanälen wollte sie deshalb von vorne herein ausräumen: "Wir bezahlen unsere Partner und unseren Account-Manager für den selben Auftrag." Die neue Gemeinsamkeit im Oracle-Channel scheint kein Lippenbekenntnis zu sein: "Bisher funktioniert das gut", bestätigt Paege. Allerdings hofft die Oracle-Partner-Gemeinde auch, dass das so bleibt. Nicht alle Key-Account-Manager hätten die neue Herangehensweise schon verinnerlicht, war zu hören.

Innerhalb des indirekten Vertriebskanals fasste Rosenboom die bislang getrennt betreuten Alliance- und Channel-Partner in der von ihr verantworteten Organisation Channel Sales zusammen. "Der jeweilige Partnerstatus Member, Certified oder Certified Advantage bleibt aber erhalten", erklärt die Channel-Managerin. Doch nur wer Mitglied im Oracle Partner Network (OPN) ist, den dafür seit Jahren geforderten Preis von jährlich 2.145 Euro bezahlt und einen Vertriebsvertrag unterzeichnet, darf künftig Oracle-Produkte verkaufen. "Früher konnte das jeder, der einen Gewerbeschein hat", räumt Rosenboom ein und stellt klar: "Heute darf das niemand mehr ohne Oracle-Partnerstatus."

Das OPN ist ein Netzwerk von rund 12.000 Unternehmen, die Lösungen auf Basis von Oracle-Software anbietet. Als Kommunikations-Plattform bietet ihnen Oracle ein Internetportal. Dort erhalten Vertriebspartner Zugang zu Oracle-Produkten, Schulungen, technischem Service sowie Marketing- und Vertriebsunterstützung. Laut Frank Lauer, Country-Manager OPN bei Oracle, überprüft die Ellison-Company jährlich die Mitgliedschaft und Zertifizierung der Vertriebspartner.

Die rund 1.200 in Deutschland im OPN vertretenen Oracle-Partner können ihre Ware sowohl über die Distribution als auch direkt vom Softwarehersteller beziehen. "Die Konditionen sind dieselben", betont die Channel-Managerin. Lieber sei es ihr aber schon, wenn der Partner beim Großhändler kauft. Damit diese das auch tun, zertifiziert die Ellison-Company nur Peacock und Tech Data für ihre Produkte: "So sichern wir die Qua- lität", betont Rosenboom.

Im Lizenzgeschäft setzt die Channel-Managerin auf wenige System-integratoren und viele unabhängige Softwarehäuser (ISVs). Entsprechend unterschiedlich sind die Vorgaben für deren Lizenzumsatz: Während Systemintegratoren mit Certified-Status für mindes-tens 350.000 Dollar und mit Certified-Advantage-Status für mindes-tens 1 Million Dollar Lizenzen verkaufen müssen, reichen bei ISVs in denselben Stufen 100.000 beziehungsweise 300.000 Dollar pro Jahr. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Mit jedem Softwarehaus, das seine Anwendungen beispielsweise auf der Datenbank-Plattform der Ellison-Company entwickelt und verkauft, zementiert Oracle seine Position beim Kunden des ISVs gegenüber Wettbewerbern wie Microsoft und IBM.

Diese "Platform Protection Strategy" lässt sich Oracle etwas kosten: ISVs erhalten 60 Prozent Rabatt auf den üblichen Preis. Allerdings darf auf der erhältlichen "Restricted-Use-Lizenz" auch nur die Anwendung des unabhängigen Softwarehauses laufen. Zum anderen versucht die Ellison-Company, ISVs anderer Datenbank-Hersteller durch Migrationsangebote dazu zu verlocken, ihre Anwendungen auf Oracle-Plattformen zu portieren: "Wir sponsern das auch", teilt Rosenboom mit.

www.oracle.de.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar auf Seite 8.

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