Cloud@Customer als Managed Service

Oracle will in der Cloud gegen SAP punkten

Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Mit einem integrierten Cloud-Stack von der Hardware über die Datenbank bis zu den Applikationen will Oracle sein Cloud-Geschäft ins Rollen bringen. Doch ohne Offenheit funktioniert es nicht, wie die Kooperation mit Microsoft zeigt.

Glaubt man den Verantwortlichen in der Oracle-Zentrale in Redwood Shores, nimmt die Cloud-Reise des Datenbankspezialisten allmählich Fahrt auf. "Wir hatten ein weiteres starkes Quartal in unseren Cloud-Applikationsgeschäften", verkündete Oracle-CEO Safra Catz anlässlich der Vorstellung der jüngsten Quartalszahlen. Das Wachstum mit "Fusion ERP" bezifferte sie auf 37 Prozent. Die Geschäfte mit NetSuite hätten um 29 Prozent zugelegt. Konkrete Umsatzzahlen blieb die Managerin allerdings schuldig.

Oracle will mit seiner Cloud-Strategie neue Akzente für sein Business setzen.
Oracle will mit seiner Cloud-Strategie neue Akzente für sein Business setzen.

Oracle-Gründer und Chief Technology Officer (CTO) Larry Ellison sprach derweil von Tausenden Kunden, die bereits die Autonomous Database in der Gen2 Public Cloud von Oracle nutzten. Zwar stecke dieses Geschäft noch in den Anfängen, es wachse derzeit jedoch um über 100 Prozent. Ellison geht davon aus, dass sich das Wachstumstempo in den nächsten Quartalen noch beschleunigen wird.

Die Cloud im Data Center der Kunden

Großen Anteil daran soll die Cloud@Customer haben. Diese Infrastruktur-Variante basiert auf dem gleichen Technologie-Stack wie die Public Cloud von Oracle, läuft jedoch in den Rechenzentren der Anwenderunternehmen. Kunden mieten diese Systeme, die weiterhin Oracle gehören und auch von Oracle betrieben und gemanagt werden. Andrew Sutherland, Senior Vice President für den Bereich Systems and Technology in den Regionen Europa, Afrika und Asien, verglich dieses Cloud-Modell mit einer Pizza. "Schneidet man aus der Cloud ein Stück heraus und packt es hinter die Firewall in das Data Center des Kunden, dann ist es dort die Cloud@Customer."

Anwender behielten dabei einen einheitlichen Blick auf ihre Cloud-Infrastruktur, erläuterte der Manager auf dem Modern Cloud Day von Oracle am 11. Dezember in Darmstadt. Anwendungen und Daten, die Unternehmen noch nicht der Public Cloud anvertrauen wollten, könnten im eigenen Rechenzentrum verbleiben, während andere Teile der IT-Landschaft bereits in der Public Cloud liefen. In der Anwendung würden die Nutzer jedoch keinen Unterschied bemerken, welchen Teil der Cloud sie gerade verwendeten.

Oracles Cloud-Stack mit festen Abhängigkeiten

Oracles Cloud-Stack - Public wie @Customer - präsentiert sich als weitgehend geschlossene Welt. Hardwaregrundlage sind die Engineered Systems der Exadata-Familie. Oracle baut diese Rechner selbst. Grundlage bildet die mit der Akquisition von Sun Microsystems zugekaufte Server-Technik. Die im vergangenen Jahr vorgestellte Autonomous Database läuft ausschließlich auf diesen Exadata-Maschinen in der Cloud - momentan nur in der Public-Variante. Eine Version für die kommende Gen2 Cloud@Customer soll in den nächsten Monaten folgen, kündigte Ellison an. Pläne, die Autonomous Database wie die früheren Releases der Oracle-Datenbank hardwareneutral anzubieten, sind nicht bekannt.

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Auch die Applikationen sind fest mit der Oracle-Infrastruktur verdrahtet. Die Fusion-Applikationsfamilie, an der der Konzern seit rund zehn Jahren entwickelt, sind speziell für den Betrieb in der Cloud ausgelegt. Eine On-Premise-Variante gibt es nicht. Als Basis für den Fusion-Betrieb ist eine Autonomous Datenbank erforderlich. Ein ähnliches Konstrukt gibt es bei SAP. Der deutsche Softwarehersteller hat seine neue ERP-Linie S/4HANA allein für den Betrieb mit der selbst entwickelten HANA-Datenbank ausgelegt.

Zarte Cloud-Bande zwischen Oracle und Microsoft Azure

Von einer geschlossenen Plattform wollen die Oracle-Verantwortlichen indes nicht sprechen. Jürgen Kunz, verantwortlich für das Nordeuropa-Geschäft von Oracle und nach dem Wechsel von Kenneth Johansen nach Japan Interims-Chef der deutschen Oracle-Organisation, verwies auf die Öffnung in Richtung Microsoft Azure. Im Juni 2019 hatten Oracle und Microsoft eine Cloud-Interoperabilitäts-Partnerschaft bekannt gegeben. Demzufolge könnten Anwender Azure-Services wie Analytics und KI in der Microsoft-Cloud nahtlos mit Oracle-Cloud-Diensten wie der Autonomous Database verbinden. Außerdem soll es künftig möglich sein, Business-Anwendungen auf Azure und die Oracle-Cloud zu verteilen.

Oracle-Kunden begrüßen die Öffnung in Richtung Microsoft Azure, sagt Jürgen Kunz, verantwortlich für das Nordeuropa-Geschäft von Oracle und Interims-Chef in Deutschland.
Oracle-Kunden begrüßen die Öffnung in Richtung Microsoft Azure, sagt Jürgen Kunz, verantwortlich für das Nordeuropa-Geschäft von Oracle und Interims-Chef in Deutschland.
Foto: Oracle

Neben der Verbindung zwischen den Cloud-Infrastrukturen beider Anbieter sollen Nutzer auf ein einheitliches Identity- und Access-Management via Single-Sign-on, ein automatisiertes User-Provisioning für die Azure- und Oracle-Cloud sowie ein Cloud-übergreifendes Ressourcen-Management zurückgreifen können. Beide Anbieter sprachen ferner von einem One-Stop-Shopping-Modell für alle Cloud-Services und -Anwendungen, die Kunden für ihre Geschäftsanforderungen benötigten, sowie von einem kollaborativen Supportmodell unter Nutzung bestehender Supportkontakte und -prozesse.

Diese Öffnung werde von Kunden begrüßt, zog Kunz in Darmstadt eine erste Bilanz dieser Kooperation. Die Verlinkung der Cloud-Plattformen sorge schließlich für eine bessere Interoperabilität. "Wir wollen uns nicht isoliert im Markt positionieren", so der Oracle-Manager. "Wir wollen die Plattform auch dazu nutzen, um zu integrieren."

Die Verbindung zwischen der Oracle-Cloud und Microsoft Azure funktioniere derzeit in den USA und Großbritannien. Im kommenden Jahr würden die Rechenzentren in Amsterdam, Zürich und Frankfurt folgen. Kunz kündigte "immense" Investitionen in die eigene Data-Center-Infrastruktur an. Bis Ende kommenden Jahres soll sich die Zahl von Oracles Cloud-Rechenzentren von derzeit 19 auf dann 36 fast verdoppeln. "Dann hat Oracle mehr Rechenzentren als AWS", so Kunz. "Das ist ein klares Signal an den Markt, wie wichtig uns das Thema globale Abdeckung ist."

Oracle im IaaS-Markt unter ferner liefen

Im Markt hat Oracle allerdings noch einiges aufzuholen. Das Geschäft mit Infrastructure as a Service (IaaS) dominieren derzeit andere Anbieter. Weltweit setzten die Provider im vergangenen Jahr 32,4 Milliarden Dollar um, meldete Gartner im Sommer 2019. Das war fast ein Drittel mehr als im Jahr zuvor. An der Spitze im Ranking der führenden IaaS-Anbieter steht mit großen Abstand Amazon Web Services (AWS). Mit Einnahmen von 15,5 Milliarden Dollar kam die Amazon-Tochter auf knapp 48 Prozent Marktanteil. Es folgen Microsoft (15,5 Prozent), Alibaba (7,7 Prozent), Google (vier Prozent) und IBM (1,8 Prozent).

Oracle taucht nicht unter den Top Five auf, die zusammen mehr als drei Viertel des globalen IaaS-Geschäfts unter sich aufteilen - Tendenz weiter steigend. Gartner zufolge geht der Trend hin zu einer weiteren Konsolidierung und Konzentration im Markt. Kleinere und Nischen-Anbieter werden Anteile verlieren, prognostizierte Sid Nag, Research Vice President von Gartner. Während die Top-Provider von 2017 auf 2018 auf ein durchschnittliches Wachstum von 39 Prozent kamen, betrug das Plus bei allen anderen im Durchschnitt gerade einmal elf Prozent.

Es dürfte also schwierig werden für Oracle, hier Boden gut zu machen, zumal auch die Konkurrenten mehr und mehr das lukrative Enterprise-Geschäft ins Visier nehmen. Beispielsweise gelte es, das Cloud-Angebot von Google im Auge zu behalten, da sich die neue Führung rund um den Ex-Oracle-Manager Thomas Kurian stärker darauf fokussiert, besser auf Unternehmen zugeschnittene Angebote zu entwickeln, konstatierte Gartner-Analyst Nag.

Die Alibaba Cloud, die 2018 mit 92,6 Prozent das stärkste Wachstum unter den führenden Providern verzeichnete, hat Gartner zufolge ein Ökosystem aufgebaut, das aus Managed Service Providern (MSPs) und unabhängigen Softwareanbietern (ISVs) besteht. Aggressive F&E-Investitionen in das Angebotsportfolio sowie umfangreiche finanzielle Mittel, diesen Trend fortzusetzen, machten die Chinesen zu einem ernst zu nehmenden Wettbewerber.

Auch Marktführer AWS ist zuversichtlich, weiter zulegen zu können. Erst kürzlich stellte CEO Andy Jassy auf der Kundenkonferenz re:invent in Las Vegas fest, dass der überwiegende Teil der IT-Infrastrukturen immer noch lokal in den Rechenzentren der Anwenderunternehmen betrieben werde. "Das bedeutet für uns noch viel Luft nach oben."

Enterprise Workloads im Visier

Hier sieht auch Oracle seine Chance. Oracle-Manager Sutherland sagte ebenfalls, dass Enterprise Workloads zum größten Teil noch On-Premise liefen. Vor allem die Kernsysteme hätten sich noch nicht in Richtung Cloud bewegt. Dafür benötigten Anwender allerdings eine leistungsstarke, skalierbare und vor allem auch sichere Cloud, wirbt Sutherland für die eigene Oracle-Infrastruktur, inklusive einer performanten Datenbank. Das könnten die Wettbewerber derzeit nicht bieten. Wenn bei einer Fluglinie das Buchungssystem nur eine halbe Minute ausfalle, stehe man sofort in den Schlagzeilen, führte Sutherland als abschreckendes Beispiel an. Eine solche Infrastruktur zu entwickeln und aufzubauen, brauche allerdings seine Zeit.

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Zeit will Sutherland auch den Anwenderunternehmen geben. Kunden sollten diesen Weg nach ihrem eigenen Zeitplan gehen. Darüber hinaus gelte es, die Investments der Kunden in ihre bestehende Infrastruktur zu schützen und sie nicht dazu zu drängen, überstürzt etwas Neues in der Cloud zu entwickeln. Die eigenen Assets zu bewahren und darauf aufzubauen, stehe auf der Wunschliste vieler Betriebe ganz oben.

Gerade mittelständische Unternehmen wollten ihre Anwendungen in der Cloud nicht neu ent5wickeln, sagt Oracle-Manager Andrew Sutherland. Stattdessen würden sie erst einmal lieber ihre bewährten Applikationen dorthin mitnehmen.
Gerade mittelständische Unternehmen wollten ihre Anwendungen in der Cloud nicht neu ent5wickeln, sagt Oracle-Manager Andrew Sutherland. Stattdessen würden sie erst einmal lieber ihre bewährten Applikationen dorthin mitnehmen.
Foto: Oracle

Gerade in mittelständischen Betrieben liefen nach wie vor viele alte Systeme mit selbstgeschriebenen Anwendungen. Doch der Betrieb dieser in die Jahre gekommenen Infrastrukturen werde immer aufwendiger, beschrieb der Oracle-Mann die Situation. Andererseits wollten diese Unternehmen ihre Software nicht neu schreiben oder auf eine andere Datenbank umziehen. "Diese Applikationen lassen sich nehmen wie sie sind, und innerhalb weniger Tage in die Oracle-Cloud packen", skizzierte Sutherland ein mögliches Lift-and-Shift-Szenario. Von da aus könnten die Anwender weiter überlegen, ob und wann sie auf modernere Cloud-Anwendungen umsteigen möchten.

SAP-System in die Oracle-Cloud gepackt

Diesen Weg hat Matthias Killenberg, CIO der Schlüterschen Verlagsgesellschaft, eingeschlagen. Der IT-Verantwortliche stand vor dem Problem, sein SAP-System auf eine neue Hardware umziehen zu müssen. Passende Rechner, die zu seinen Lizenzen gepasst hätten, waren jedoch schwer zu finden. Killenberg begann, in Richtung Cloud zu überlegen. SAP wollte jedoch nicht so recht mitziehen, berichtete der Manager. Ganz anders Oracle. Gemeinsam mit DXC wurde ein Projekt aufgesetzt, SAP-6.0 mit FI/CO und HCM inklusive einer etwa 300 GB schweren Oracle-Datenbank und rund 70 Nutzern in die Oracle-Cloud umzuziehen.

Zwischen März und November 2019 wurde geplant, eine passende Architektur aufgesetzt, und nach einem Proof of Concept, der zur Zufriedenheit aller Beteiligten ablief, das Entwicklungs- und das Produktiv-System in die Cloud gehievt. Killenberg gab zu, dass er zum Umzugstermin etwas aufgeregter ins Wochenende gegangen ist.

Doch die Sorgen waren unbegründet. Das System sei von Tag eins an stabil gelaufen, berichtete der CIO. Ladeläufe funktionierten um den Faktor fünf bis sechs schneller, Backups sogar acht Mal flotter. Da die technische Basis schmaler dimensioniert werden konnte, lägen die Kosten in der Cloud deutlich unter denen des Eigenbetriebs, zieht er Bilanz. Insgesamt dürfe man den internen Aufwand zwar nicht unterschätzen, aber der Schritt in die Cloud sei richtig gewesen. Selbst bei seinem zunächst skeptischen Rechenzentrumsleiter hätte es Klick gemacht, erzählte Killenberg mit einem Schmunzeln. "Auch die Cloud kann Spaß machen."

Einen Umzug auf das neue S/4HANA-System von SAP hat der IT-Leiter noch nicht auf dem Schirm. Zumal der Betrieb einer SAP-Datenbank in einer Oracle-Cloud nicht einer gewissen Pikanterie entbehrt. Das Wartungsende für sein SAP-Release im Jahr 2025 sieht Killenberg entspannt. Aus seiner Sicht ist der Termin nicht in Stein gemeißelt. "Ich bin nicht mit SAP verheiratet", stellte der Manager klar. Er könne sich durchaus vorstellen, seine Finanzbuchhaltung, das Controlling und die Personalwirtschaft einmal mit anderen Services aus der Cloud abzuwickeln.

Letztlich müsse man sich auch ehrlich fragen, wie viel Differenzierung im Wettbewerb eigentlich in einem ERP-System steckt, relativierte auch Oracle-Manager Kunz. Im Financial Reporting und in der Abrechnung sei der Einfluss gering. Es komme auf die Daten-Intelligence aus dem System heraus an, die dann Entscheidungen auf der Business-Seite beeinflusse. "Das ist entscheidend", sagte Kunz. "Doch das bekommen Sie nicht bei SAP."

Im ERP-Markt rumort es

SAP-Kunden seien gerade in der jetzigen Situation, in der mit S/4HANA ein Umstieg auf ein neues System anstehe, offen für Gespräche. "Im ERP-Bereich rumort es schon ordentlich", konstatierte Kunz. Viele CFOs seien nicht mehr bereit, Unsummen zu zahlen, nur um ihr Financial Reporting compliant zu halten, aber keine Intelligenz aus den Systemen zu bekommen. Außerdem biete SAP keine echte Cloud-Lösung, sondern nur eine Hosting-Lösung an.

Doch auch wenn Oracles Führungsriege einstimmig das hohe Lied auf die Cloud singt: In den aktuellen Zahlen ist von einem Aufbruch noch wenig zu spüren. Im zweiten Quartal des laufenden Geschäftsjahrs 2020 verbesserte sich der Umsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum minimal um ein Prozent von 9,56 auf 9,61 Milliarden Dollar.

Der Gewinn ging um ein Prozent von 2,33 auf 2,31 Milliarden Dollar zurück. Den Löwenanteil im Oracle-Geschäft macht der Posten Cloud Services und Lizenz-Support - also das klassische Wartungsgeschäft - aus. Hier verbesserten sich die Einnahmen um drei Prozent auf 6,81 Milliarden Dollar. Dagegen ging der Lizenz-Umsatz, Cloud wie On-Premise, um sieben Prozent auf 1,12 Milliarden Dollar zurück. Da Oracle im Rahmen seiner Bilanzlegung Cloud- und On-Premise-Posten vermischt, ist es jedoch unmöglich, anhand der Zahlen abzulesen, wie gut oder schlecht das Cloud-Business läuft.

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