PC-Industrie stürzt sich auf Mittelstand: Händler als Freund

03.07.1997
MÜNCHEN: Eine Umfrage des Marktforschungsunternehmens TechConsult förderte interessante Ergebnisse zutage. Der deutsche Mittelstand deckt seinen IT-Bedarf zwar beim Fachhändler, greift aber wegen des günstigen Preis-Leistungsverhältnisses gern auf die selbst zusammengebauten Kisten der PC-Bastler zurück. Der Industrie ist das ein Dorn im Auge. Sie versuchen, mit neuen Ideen und Konzepten den Schraubern eine Alternative zum Schrauben zu bieten.Dr. Jürgen Kindermann ist der Alptraum jedes Computerherstellers. In seiner Düsseldorfer Arztpraxis finden sich ausschließlich No-name-Produkte. Die kleine Netzwerk-Lösung in den Behandlungsräumen "hat der Fachhändler um die Ecke zusammengebastelt", wie Kindermann erklärt. Auf Rechner mit klangvollen Markennamen kann der EDV-Kunde seiner Ansicht nach getrost verzichten: "Die sind einfach nur teurer, andere Komponenten sind da aber auch nicht drin", ist sich der westfälische Mediziner sicher.

MÜNCHEN: Eine Umfrage des Marktforschungsunternehmens TechConsult förderte interessante Ergebnisse zutage. Der deutsche Mittelstand deckt seinen IT-Bedarf zwar beim Fachhändler, greift aber wegen des günstigen Preis-Leistungsverhältnisses gern auf die selbst zusammengebauten Kisten der PC-Bastler zurück. Der Industrie ist das ein Dorn im Auge. Sie versuchen, mit neuen Ideen und Konzepten den Schraubern eine Alternative zum Schrauben zu bieten.Dr. Jürgen Kindermann ist der Alptraum jedes Computerherstellers. In seiner Düsseldorfer Arztpraxis finden sich ausschließlich No-name-Produkte. Die kleine Netzwerk-Lösung in den Behandlungsräumen "hat der Fachhändler um die Ecke zusammengebastelt", wie Kindermann erklärt. Auf Rechner mit klangvollen Markennamen kann der EDV-Kunde seiner Ansicht nach getrost verzichten: "Die sind einfach nur teurer, andere Komponenten sind da aber auch nicht drin", ist sich der westfälische Mediziner sicher.

So wie Kindermann denken offenbar viele Freiberufler und Mittelständler. Eine Ende letzten Jahres vom Kasseler Marktforschungsunternehmen TechConsult erstellte Studie bestätigt diesen Trend. Mehr als ein Viertel der befragten Kleinunternehmen gaben in der im Auftrag von Hewlett-Packard durchgeführten Untersuchung an, direkt beim Anbieter zu kaufen. Soll heißen: Sie haben sich für das Produkt der Marke "Eigenbau" ihres Computerhändlers entschieden (siehe Grafik).

Für Norbert Gelse, Leiter Vertriebsmarketing Handel bei der Hewlett-Packard GmbH in Böblingen, ist dieses Ergebnis wenig überraschend: "Dem Endkunden ist die Marke gar nicht so wichtig. Bei mehreren gleichwertigen Produkten ist für ihn meist nur eins entscheidend: der Preis." Die Vertriebspartner verhalten sich dementsprechend.

Schrauber erzielen höhere Marge

Zumeist bietet der Händler alternativ zum Markengerät seine selbst zusammengeschraubte Kiste an und freut sich, wenn der Kunde sich für die Eigenbau-Variante entscheidet. "Da sind die Margen einfach interessanter", erklärt Hanno Wintzen, Einkaufsleiter bei der Laptop Partner GmbH in Düsseldorf.

Doch genau diese Verhaltensweise wollen die Hersteller den Händlern schnellstmöglich abgewöhnen. "Wir müssen den traditionellen Handel davon überzeugen, daß man mit Marken Geld machen kann", erklärt HP-Manager Gelse. Genau wie Hewlett-Packard versuchen momentan alle großen Anbieter geeignete Fachhandelskonzepte zu entwickeln. Der Grund dafür ist simpel: Die Computerindustrie hat den Mittelstand als lukrativen Kundenkreis für sich entdeckt. Nachdem die Marktforscher dem Großkundenbereich für die nähere Zukunft keine nennenswerten Wachstumschancen einräumen und im Privatkundensegment der erhoffte Kaufrausch von Otto Normalverbraucher ausgeblieben ist, stürzt sich die Branche jetzt auf kleine und mittlere Unternehmen. "Small to medium business boomt", schwärmt HP-Mann Gelse. "Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern machen 80 bis 85 Prozent des Gesamtmarktes aus. Da liegt gewaltiges Potential vor allem auch am unteren Ende der Skala", erklärt Norbert Hendel, zuständig für Channel Development bei der Compaq Computer GmbH in München. Auch Peter Eßer, Leiter der Geschäftseinheit PC bei der Siemens- Nixdorf Informationssysteme AG in Augsburg, sieht für seine Vertriebspartner auf diesem Sektor noch jede Menge Wachstumschancen. "Mit lediglich acht Prozent", so Eßer unlängst auf einer Fachhandelstagung, sei SNI im Segment der kleinen Unternehmen "noch zu schwach vertreten". Aus diesem Grunde hört man von allen etablierten Rechner-Produzenten auf einmal ganz andere Töne in bezug auf ihre umsatzschwächeren Vertriebspartner.

IBM findet den richtigen Ton

Bereits auf der Systems im letzten Jahr stellte IBM mit dem "Business Circle" ein Vertriebskonzept vor, das speziell auf Händler zugeschnitten ist, die in diesem Marktsegment tätig sind (vgl. ComputerPartner Nr. 17/96, Seite 21). Offenbar mit gutem Erfolg. Bis jetzt konnte Ralf Dieter, Leiter Vertrieb Geschäftspartner bei der IBM in Stuttgart, bereits 1.000 Vertriebspartner für diese Idee gewinnen. Bis Ende dieses Jahres soll die Zahl der Partner verdoppelt werden.

Völlig klar daher, daß auch das Management der anderen PC-Hersteller darum bemüht ist, ihre Vertriebspartner gut zu behandeln und so bei der Stange zu halten.

Dicke Luft zwischen Herstellern und Händlern

Wie zum Beispiel SNI-Manager Eßer, der auch den kleinen Händlern verspricht, sie auf keinen Fall "zu Distributoren abzuschieben, wie es andere Hersteller tun". Hewlwett-Packard gründete vergangenen Dezember den "Small to Medium Business Club". Hewlwett-Packard-Managerin Petra Gronbach, die die frischgebackenen Hewlwett-Packard-Clubmitglieder betreut, findet die bunte Mischung ihrer Vereinsneugründung "wirklich sehr interessant". "In unseren eintägigen Schulungen sind größere Händler vertreten, aber vor allem auch die Ein- oder Zwei-Mann-Betriebe", erklärt sie.

Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich: Ausgerechnet die Spezies Kleinhändler hat es den Herstellern angetan. Jahrelang sind die Winzlinge mit Nichtachtung gestraft, schlecht bedient und an Distributoren weitergereicht. Ein Großteil des Fachhandels ist inzwischen so schlecht auf die Rechner-Produzenten zu sprechen, daß es schwer werden wird, sie als Partner für Mittelstandskonzepte ins Boot zu holen. "Einen regelrechten Haß" verspürt Laptop-Partner-Mitarbeiter Hanno Wintzen, wenn er an "manche Hersteller denkt". "Die wissen doch überhaupt nicht, wer unsere Kunden sind und was so ein selbständiger Handlungsreisender braucht, der zu mir in den Laden kommt, um einen mobilen Rechner zu kaufen".

Der Händler, das unbekannte Wesen

Auch Uwe Volberg, Organisationsleiter bei der Stratmann Datentechnik in Bergisch Gladbach, findet es "äußerst merkwürdig, daß jeder Privatkunde bei Compaq besser bedient wird als ich. Wenn ich mich als Privatperson melde, wird mir sofort geholfen, als Händler hänge ich stundenlang in Warteschleifen, bis sich endlich mal einer für mein Problem zuständig fühlt."

Die Hersteller haben dieses Problem durchaus erkannt und wollen "Vertrauen wieder aufbauen", wie Compaq-Manager Hendel erklärt. Und er räumt ein: "Wir wissen nicht, welches Know-how und welche Klientel unser Händler eigentlich hat." Mit einer Fragebogenaktion anläßlich der CeBIT will Hendel diese Wissenslücke schließen. Die Vertriebspartner sollen detailliert befragt werden. "Wir wollen die Guten rausfiltern, damit wir sie weiter fördern können", erläutert Hendel die selektive Vorgehensweise. Am Ende des Prozesses soll eine Datenbank stehen, "mit der wir auf Knopfdruck herausfinden können, welche unserer Händler zum Beispiel auf Ärzte spezialiert sind", gibt sich der Compaq-Mann optimistisch.

Auch HP-Managerin Gronbach träumt von dem Tag "an dem wir die optimal maßgeschneiderte Lösung für Rechtsanwälte, Ärzte oder Handwerker anbieten können." Mit dem ECTO-Vertriebskonzept (siehe Kasten) versucht HP, die ersten Schritte in Richtung größerer Flexibilität zu unternehmen. Denn die No-name-Kisten der Händler haben neben dem Preis noch einen anderen Vorteil für die Kunden: Sie sind speziell für ihre Wünsche hin zusammengebaut. "Unsere Software für den Apotheker-Bereich läuft auf einem maßgeschneiderten Server", erklärt Andreas Reifel, Vertriebsleiter bei der Hagedorn Bürotronic GmbH in Düsseldorf. Seinen Kunden "ist völlig egal, was auf dem Rechner draufsteht, Hauptsache er funktioniert. Die Interessenten kommen zu uns, weil wir das Software-Know-how haben". Armin Brunwinkel von Ansedo Anwendersysteme in Lage sieht das ähnlich: "Ich habe für eine Wäscherei eine simple Spezial-Software geschrieben. Da ist kein überflüssiger Schnickschnack drin. Die kann auch der dümmste in dem Laden noch bedienen und darauf kam es an", erklärt er.

So groß ist der Kuchen wieder nicht

Diese Kundennähe lassen etablierte Hersteller schmerzlich vermissen. Daß sie von ihren Partnern in vieler Hinsicht lernen können, haben sie inzwischen erkannt.

Doch es wird noch viel Nerven und vor allem Geld kosten, bis die Industrie dazugelernt hat. Und ob der erwartete Geldregen dann tatsächlich einsetzt, ist fraglich. Denn das IT-Budget der Mittelständler ist schmal. Bei der Marktuntersuchung durch TechConsult stellte sich heraus, daß fast 43 Prozent aller befragten Unternehmen weniger als 5.000 DM pro Jahr für EDV investieren (siehe Grafik). Das ist verdammt wenig. Man braucht daher kein Prophet zu sein, um vorherzusehen, daß viele Händler dieses ohnehin kleine Tortenstück allein aufessen.

Sie werden kein Interesse daran haben, der Industrie das Sahnehäubchen zu überlassen. (kg)

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