Pinnacle sucht sein Plätzchen im Wohnzimmer

09.12.2004
Binnen einiger Jahre haben sich die Kalifornier völlig gedreht: Waren früher Business-Lösungen angesagt, so spülen "Digital-Home"-Produkte heute bereits 60 Prozent der Einnahmen in die Kasse. Von ComputerPartner-Redakteur Christian Meyer

Wer hätte das gewusst? Das Unternehmen Pinnacle Systems wird gemeinhin als typisch amerikanische Company gehandelt. Stimmt eigentlich auch. Denn schließlich ist die börsennotierte Firma 1986 im kalifornischen Mountain View gegründet worden, und nach wie vor ist dort das Hauptquartier zu finden. Dennoch: Rund 300 der weltweit 860 beschäftigten Mitarbeiter haben ihren Arbeitsplatz in Deutschland, und die Hälfte des Umsatzes, der im Geschäftsjahr 2004 bei rund 335 Millionen Dollar lag, wird in Europa erwirtschaftet.

Die Erklärung dafür ist schnell gefunden, blickt man in die Annalen des Unternehmens. Pinnacle Systems ist mit professionellen Broadcast-Lösungen groß geworden. "Dem Unternehmen ist klar, dass in diesem Marktsegment kein großes Wachstum mehr zu erwarten ist. Ein Großteil des Umsatzes liegt im Ersatzgeschäft", klärt der seit 1. Mai 2004 tätige Regional-Manager Central & Eastern Europe Stefan Kühn auf. Die Frage lautet also: "Welches Geschäft machen wir in drei bis fünf Jahren?"

Seit dem Jahr 1996 auf Einkaufstour

Das Unternehmen hat sich beginnend im Jahr 1996 dazu entschlossen, sein Heil im Consumer-Markt zu finden und tätigte in diesem Jahr seine erste Akquisition: Die Kalifornier übernahmen die Video-Director-Produktreihe von Gold Disk. Damit war der Einstieg in dieses Marktsegment besiegelt; eine Geschäftsabteilung "Consumer" wurde gegründet. Bereits ein Jahr später machte das Unternehmen erneut durch eine Übernahme auf sich aufmerksam. Pinnacle Systems erwarb den Digital-Video-Bereich des Braunschweiger Herstellers Miro Computer Products AG.

1999 folgte der Kauf von Truevision. Damit sicherte sich das Unternehmen den Zugriff auf deren Chipentwicklung und damit die Möglichkeit, sich im HDTV-Markt zu engagieren. Im selben Jahr hatte sich Pinnacle Systems zudem die Video-Server-Sparte von Hewlett-Packard einverleibt.

Dann, im September 2001, schlugen die Kalifornier erneut in Deutschland zu und kündigten die Übernahme der Fast Multimedia AG an. Fast galt damals als führendes Unternehmen im Bereich der professionellen Videonachbearbeitung. Ein Jahr später wieder in Deutschland: Der Dortmunder Spezialist für die Erstellung von Videos auf CDs und DVDs wird aufgekauft. Und nur wenige Monate später schnappten sich die Amerikaner die Hamburger Steinberg Media Technologies AG.

Wer glaubt, der Kaufrausch habe damit sein Ende gefunden, irrt: 2003 ging die Einkaufstour munter weiter. In Japan wurde einer der größten Distributoren für Consumer-Software - Jungle KK - übernommen und fast gleichzeitig ein weiterer Spezialist in Sachen Videobearbeitung: Dazzle. Seitdem herrscht Ruhe. Nicht jedoch bei den Geschäften: Während viele Firmen oft schwer damit zu kämpfen haben, so viele Übernahmen zu verdauen, lief die Integration der Zukäufe nahezu unbemerkt ab, Pinnacle Systems warf nebenher munter ein Produkt nach dem anderen auf den Markt.

Erkennbar ist die neue strategische Ausrichtung des Unternehmens auch in der Umsatzstruktur: Die hat sich deutlich verändert. Rund 60 Prozent der Einnahmen stammen mittlerweile aus dem Consumer-Geschäft; 75 Prozent werden es laut Aussage von Kühn in absehbarer Zeit sein.

Keine Änderungen für Vertriebskanäle

Kaum spürbar war die mit der Neuausrichtung verbundene interne Umstrukturierung bei Pinnacle Systems. So wurden die bisher vier europäischen Vertriebsregionen zu zwei verschmolzen; Central & Eastern Europe wird jetzt eigenverantwortlich von Stefan Kühn verantwortet. Eigenverantwortlich heißt: Diese Vertriebsregion arbeitet wie ein Profit-Center und ist wirtschaftlich auf sich selbst gestellt.

Wichtig ist Kühn dabei, dass es in Sachen Handelsbetreuung keine Änderungen gibt. Nach wie vor betreibt das Unternehmen einen Web-Shop und verkauft dort seine Produkte direkt - zum Listenpreis, wie Kühn anmerkt. "Wenn wir Preisaktionen durchführen, geben wir die Konditionen selbstverständlich an den Fachhandel weiter", betont der Pinnacle-Manager. Ein wichtiges Standbein bleibt das OEM-Geschäft. Dabei handelt es sich um Bundle-Geschäfte mit Herstellern wie FSC und Acer oder dem Großflächenvermarkter Media-Markt. Der Fachhandel wird weiterhin über die Distribution bedient. Während Grossist Koch Media ausschließlich die Software vertreibt, bieten Actebis, COS, Tech Data, Ingram Micro und Comline auch die Hardwareprodukte an. Damit es innerhalb der einzelnen Vertriebskanäle und -regionen zu keinen Reibereien kommt, setzt Kühn auch auf eine europaweit einheitliche Preisgestaltung. "Ab 1. Juli 2005 sind wir soweit", so Kühn gegenüber ComputerPartner.

Schwierige Vermarktung von Digital-Home-Produkten

Insgesamt sind nach Einschätzung von Kühn nunmehr alle Voraussetzungen geschaffen, sich als Consumer Company den Weg in die heimischen Wohnzimmer zu ebnen. Neben der seiner Videoschnittsoftware-Serie setzt das Unternehmen vor allem auch auf seine TV-Karten. Hierbei läuft derzeit vor allem jenes Modell sehr gut, das sowohl den analogen Empfang als auch jenen via DVB-T beherrscht.

Zudem setzen die Münchener auf ihre Digital-Home-Lösung "Showcenter". Damit können jegliche multimedialen Inhalte, die sich auf einem PC befinden, via Kabel oder auch drahtlos auf den Fernseher gebracht werden.

Bei der Vermarktung eines derartigen Produktes werden sicherlich noch neue Wege beschritten werden müssen, und Kühn macht keinen Hehl daraus, dass der Massenmarkt frühestes in ein bis zwei Jahren erreicht werden wird. "Derzeit ist es schwer, ein derartiges Gerät richtig im Handel zu positionieren. Weder die IT- noch die UE-Verkaufsabteilung weiß damit so recht was anzufangen."

Meinung des Redakteurs

Ob und wie das Unternehmen mit den neuen Herausforderungen in diesem Marktsegment zurechtkommt, wird sich erst noch zeigen müssen. Bekanntlich drängen nicht nur Teile der IT-, sondern auch die UE-Industrie in die heimischen Wohnzimmer. Wer das dauerhaft bessere Konzept hat, ist noch lange nicht ausgemacht. Pinnacle ist derzeit sicherlich noch kein Unternehmen, das in diesem Markt in der ersten Liga spielt - der Wille, das zu tun, ist jedoch unverkennbar.

Zur Startseite