Preiserosion: Der Internethandel ist nicht das alleinige Übel

28.08.2003

Als Verantwortlicher eines Multi-Channel-Händlers kann ich die Aussagen im Artikel (Fuji-Manager Gansohr: "Wir müssen den Wildwuchs im Internethandel bekämpfen" in ComputerPartner 34/03, Seite 18; Anm. d. Red.) wie auch Ihren Kommentar hundertprozentig unterstützen. Ein wenig Bauchgrummeln bekomme ich jedoch bei der Formulierung: "Insbesondere der Verkauf über das Internet setzt den Anbietern wie auch dem stationären Handel arg zu."

Natürlich stimmt die alte BWL-Regel, dass bei mehr Wettbewerb auch die Erträge geringer werden, aber das ist sicher nicht gemeint. Insofern muss ich hier für den seriösen Internethandel sprechen, der unter den Preisen mancher Wettbewerber bei Preissuchmaschinen, den Powersellern bei Ebay mit gestohlener/unterschlagener Ware (wir konnten schon welche hochgehen lassen), mindestens genauso wie der stationäre Handel leidet. Anders als der stationäre Händler steht der Distanzhändler bundesweit im Wettbewerb, und leider gibt es für jede Warengruppe irgendwelche "Händler", die Preise und Margen verreißen.

Insofern liegt mir am Herzen, dass "der Internethandel" im Allgemeinen nicht regelmäßig als die Ursache von Übel, wenn nicht allen Übels dargestellt wird.

Es gibt natürlich etliche Ganoven, die mit den beschriebenen Plattformen nun eine größere Basis zur Hehlerei haben als vor Internetzeiten. Auch haben wir die Gewissheit, dass einige Anbieter systematisch angebotene Ware nicht haben und nie haben werden, da wir bei Beschaffungen regelmäßig mit Hinweis auf "leider aktuell nicht lieferbar" abblitzten. Das tut allen seriösen Händlern weh. Daher bearbeiten wir seit etlicher Zeit die Preissuchmaschinen, neben dem Preis auch Qualitätskriterien der Händler aufzunehmen. Ich lade Sie herzlich ein, dabei mitzuhelfen.

Unabhängig davon begrüßen wir das Vorgehen von Fuji, mit denen wir als eine unserer stärksten Digicam-Marken seit Jahren zur beiderseitigen Zufriedenheit zusammenarbeiten. Dennoch bin ich mir leider sicher, dass sich gerade im Retail die seit Jahrzehnten eingetrichterte Preisfokussierung der Konsumenten ("Geiz ist geil") durch solche Maßnahmen nicht ändern wird. Damit wird aber auch der Drang der Anbieter, sich der Massenbewegung "billig!!" nicht nur anzuschließen, sondern möglichst vorne wegzuschreiten, weiter fortbestehen.

Da ich aber schon einmal dabei bin, den "Wildwuchs" nicht nur im Internet, sondern etwas allgemeiner anzusprechen, lohnt sich - völlig losgelöst von Hersteller Fuji - auch der Blick auf die Hersteller unserer Branche, von denen manche ebenfalls erheblichen Nachholbedarf bei Grundtugenden des Handels haben, wenn man preiswürdig und seriös verkaufen will:

Verfügbarkeit: Da werden insbesondere Komponentenartikel (sogar mit Terminen) angekündigt, die das europäische Festland nie erreichen. Vorbestellungen muss man dann vertrösten und wieder vertrös-ten, dann wird der Artikel abgekündigt, und man darf den Kunden aufwändig auf den hoffentlich eintreffenden Nachfolger einschwören. Da bekommt jeder Kunde Zweifel an der Seriosität des Händlers.

Gewährleistung: Da reduzieren einige Hersteller ihre Gewährleistung und Garantie auf ein Jahr, wissend um deutsche Gesetze, die jeden Mitspieler im deutschen Handelsspiel auf die Spielregel von mindestens zwei Jahren Gewährleistung verpflichten. Frei nach dem Motto: Sollen die Deutschen doch mal einen Taiwanesen verklagen.

Sony macht es zum Beispiel vor, wie man Kundenzufriedenheit systematisch zerstört und den Handel sauer fährt. Beispielsweise gibt es auf Vaios nur ein Jahr Garantie. Der Händler darf keine Ware an Sony einsenden, der Kunde bekommt sie nach dem Jahr mit satter "Nicht"-Bearbeitungsgebühr (59 Euro) um die Ohren gehauen und ist sauer auf seinen Händler, von dem er nun die kostenfreie Reparatur oder Wandlung im Rahmen der zweijährigen Gewährleistung verlangt.

Preise: Auch hier sind es nicht nur die bösen Internethändler, die die Preise verreißen. Solange die Hersteller die Kanäle nicht in den Griff bekommen und re-importierte Drucker aus Holland aus geplatzten Projekten, Digicams von sonst woher, Scanner & Co. als Posten hier angeboten werden, werden wir Händler uns auch bei Reduzierung der kriminellen Elemente immer wieder mal die Augen reiben über Brutto-VKs, die unter unseren Netto-EKs liegen. Und dann werden wir trotz aller guten Vorsätze angesichts der kurzen Lebenszyklen der Produkte wieder schwach und steigen alle miteinander auf die schlechten Preise ein, nach der alten IT-Weisheit: Lieber heute mit schlechten Margen den Artikel weghauen als morgen ohne LWA Abschriftsbedarf zu haben.

Über das aggressive Pricing reden wir in der Branche, solange ich sie kenne. Regelmäßig lese ich Appelle aus allen Handelsstufen, es endlich sein zu lassen, um in die komfortablere Margensituation anderer Länder zu gelangen. Es ist aber eine betriebswirtschaftliche Binsenweisheit, dass im Handelsmodell bei allgemein "anständigen" Preisen aller Anbieter ein Anbieter, der die Spielregeln verletzt und billiger anbietet, zumindest kurzfristig die Chance hat, über mehr Volumen mit Grenzkostenvorteilen trotz niedrigerer Stückgewinne höhere Gesamtgewinne zu erzielen. Daher erscheint es ausgeschlossen, dass sich die Situation ändert, denn bei irgendeinem Artikel oder irgendwann unterliegen doch die meisten von uns pfiffigen Händlern dem Wahn, genau dieser Spielverderber sein zu können.

Michael Gerke ist im Vorstand der PrimusAvitos AG in Linden*

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