Projektbericht: Abschied von Windows

28.10.2004
AS/400-Maschinen bildeten seit jeher das IT-Rückgrat von mittelständischen Unternehmen. Und sie tun es weiterhin, wenn auch unter der neuen Bezeichnung iSeries und unter dem quelloffenen Betriebssystem Linux. Von ComputerPartner-Redakteur Dr. Ronald Wiltscheck

Bisher bestand die IT-Landschaft der Spedition Diehl einzig und allein aus einer AS/400, Modell 820. Insgesamt beschäftigt die Spedition in Esslingen 320 Mitarbeiter, wovon 110 IT-Nutzer sind. Ihnen standen bisher nur 23 Einzelarbeitsplatz-PCs zur Verfügung. Die Verkabelung war überwiegend Twinax, wobei die Kabelkanäle randvoll waren und keine weiteren Kabel nachgezogen werden konnten.

Dieser Zustand war für Diehl nicht mehr haltbar. Ein neues Konzept sollte realisiert werden, mit dem alle 110 User von ihrem Arbeitsplatz aus Zugriff auf Office-Anwendungen, E-Mail, Druckerdienste und Internetzugang erhalten würden. Aufgrund ihrer bestehenden Geschäftsbeziehung zur Becom Gruppe, dem im ComputerPartner-Ranking (www.computerpartner.de/compact) siebtgrößten Systemhaus Deutschlands, beauftragte Diehl den IBM-Partner mit der Erstellung eines ersten Konzepts. Als reines Beratungsunternehmen war dabei die Becom-Tochter Advantegy mit von der Partie.

iSeries sollte auf jeden Fall bleiben

Herrmann Schnaidt, EDV-Leiter bei Diehl, wollte auf jeden Fall den iSeries-Server als das Zugpferd seiner IT-Infrastruktur behalten. Daraufhin hat Advantegy dem Speditionsunternehmen zwei Lösungsvorschläge unterbreitet. Der erste, ein Server Based Computing genanntes Konzept, würde es ermöglichen, durch den Einsatz von Citrix Metaframe am Server von zentraler Stelle aus alle benötigten Office-Funktionen an jedem Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Die Benutzer bekämen wieder ihre gewohnte Windows-Umgebung zu sehen und könnten beispielsweise weiter wie bisher Microsoft Office nutzen. Der Zugriff auf Applikationen und Dienste würde über das ICA-Protokoll von den Citrix-Clients aus erfolgen, die auf den Thin Clients installiert wären. Hierfür würde ihnen der Server eine 5250-Emulation bereitstellen.

Alternativ dazu stellte Advantegy dem Kunden eine Windows-freie Möglichkeit vor: "Linux on iSeries". Hier würde Linux auf zwei Partitionen der iSeries-Maschine ebenfalls alle gewünschten Funktionalitäten zur Verfügung stellen können. Zugriffe auf alle nativen OS/400- und Linux-Applikationen auf der iSeries wären entweder über die schon erwähnte 5250-Emulation oder das Linux-X-Protokoll erfolgen.

Warum zwei dezidierte Linux-Partitionen? Nun, eine Partition sah Advantegy für die Sicherheitslösung "iGuard" von Fbit vor. Die zweite Linux-Partition sollte als Linux-Terminalserver für die Desktops dienen. Darüber hinaus würden die Thin Clients ihre Benutzeroberfläche erhalten sowie alle weiteren Applikation. Im Falle von Linux wären das Open Office.org für die Textverarbeitung und Tabellenkalkulation sowie Mozilla als Webbrowser. Für Mail-Funktionen und Gruppen-Terminkalender sah Advantegy Opengroupware.org für iSeries vor. Weitere Werkzeuge wie PDF-Reader, aber auch Komprimierungsprogramme könnten vom Linux-Desktop-Spezialisten Natural Computing bereitgestellt werden.

Citrix-Windows-Alternative zu teuer

Trotz aller Argumente für die Linux-Lösung sprach eines dagegen: Das Citrix-Windows-Konzept könnte mit der bei Diehl vorhandenen AS/400 (Modell 820) realisiert werden, wohingegen für die Linux-Plattform extra das iSeries-Modell 810 neu angeschafft werden müsste. Dennoch entschied sich Schnaidt schlussendlich für die Open-Source-Plattform. "Bei einer rein auf Microsoft-Produkte basierenden Lösung hätte ich einen zusätzlichen Mitarbeiter einstellen müssen", argumentiert Schnaidt.

Denn neben der bestehenden iSeries-Maschine, auf der die Speditionsanwendungen laufen, müsste Diehl zusätzlich acht weitere Intel-basierte Server ordern: Zwei Domain-Controller wären allein für das Windows-Netzwerk zuständig; gleich mit der Anschaffung von fünf zusätzlichen Servern rechnete der EDV-Leiter, um Citrix Metaframe performant genug ablaufen zu lassen. Hinzu käme noch ein Windows-Dateiserver. All diese Server hätten dann natürlich auch noch intensiv gemanagt werden müssen. Denn Windows-Systeme sind naturgemäß stärker Hacker-Attacken ausgesetzt als Linux-Maschinen. Allein die Virenproblematik macht permanentes Patchen der Systeme notwendig.

Außerdem würde der neu anzuschaffende IBM-Rechner das gesamte Speicher- und Backup-Problem beseitigen. Denn immerhin verfügt das von Diehl dann erworbene iSeries-9406-810-Modell über fast 400 GB an Festplattenkapazität und wird außerdem mit dem eigenen integrierten Bandsystem 3375 gesichert.

Neben geringeren Administrationskosten wirken sich die Lizenzgebühren für die Software von Microsoft und Citrix nur marginal aus. "Allein durch die Einsparungen an Personalressourcen erreichten wir mit Linux eine Amortisationszeit von deutlich unter einem Jahr", so Schnaidt, und das trotz der sicherlich beträchtlichen Anschaffungskosten für die IBM-Hardware.

Dafür fallen nun nach der Entscheidung für Linux keine weiteren Lizenzkosten an. Lediglich das Linux Natural Desktop schlug mit 19.000 Euro und die Opengroupware.org mit 7.000 Euro zu Buche. Letzteres Produkt ist mittlerweile frei erhältlich, nachdem Skyrix diese Software auf Open Source umgestellt hat. Alle weiteren Produkte wie die Debian-Linux-Distribution oder das OpenOffice.org-Paket liegen ohnehin quelloffen vor und sind kostenlos vom Web downzuloaden.

Ebenfalls im Quellcode liegt die Firewall-Software "iGuard" vor. Diese muss lediglich einen Server vor internen und externe Angriffen schützen.

Thin Clients von Affirmative

Client-seitig müssen nun bei Diehl ebenfalls keinerlei Lizenzgebühren mehr abgeführt werden. Ihre bisherigen 23 PCs hat die Spedition an ihre Mitarbeiter verschenkt und stattdessen 110 Thin Clients von Affirmative angeschafft. Diese sind jeweils mit einem eigenen Kernel ausgestattet, ansonsten bekommen sie ihre gesamte Software vom iSeries-Server angeliefert. Gleichzeitig hat nun bei Diehl jeder IT-Anwender seinen eigenen Desktop-Arbeitsplatz erhalten.

Das jeweilige User-Profil ist dabei zentral unter OS/400 gespeichert, sodass der Anwender seinen individuellen Desktop aufrufen kann. Er bekommt also Zugriff auf Drucker und Dienste, die für ihn frei geschaltet sind, unabhängig davon, an welchem Terminal er sich angemeldet hat.

Auch Notebook-User bei Diehl wollten von diesem Roaming Gebrauch machen, und deswegen entschloss sich die schwäbische Spedition, zusätzlich noch ein WLAN aufzubauen. Leider fiel anfangs die Wahl auf ein Produkt, dass im Heim- und SoHo-Bereich sicherlich seine Daseinsberechtigung hat, im professionellen Einsatz aber versagen musste. Für 9.000 Euro erwarb der Kunde 13 Access Points, die jedoch auch unter größten Anstrengungen der Becom-Techniker ihre Arbeit nicht ordnungsgemäß ausführten.

"Es dauerte unter Umständen bis zu zwei Minuten, bis die Übergabe von einem Access Point zum anderen geklappt hatte", erinnert sich Projektleiter Peter Fels von Advantegy. So etwas war natürlich mobilen und damit auch beweglichen Mitarbeitern nicht zuzumuten. Doch die Spezialisten fanden schließlich heraus, woran diese mangelnde Performance lag: "Es war der Algorithmus, mit dem die Access Points miteinander und mit dem WLAN-Client kommunizieren", so Fels gegenüber ComputerPartner. "Ein Netz mit drei bis vier Notebooks ließe sich damit sicherlich aufbauen, aber die Anforderungen von Diehl konnte das Fabrikat einfach nicht erfüllen."

So entschied sich der Kunde nach einer Woche vergeblicher Mühen dann doch noch für ein teureres WLAN-System - in dem Fall für das Produkt von Symbol. Seitdem arbeitet das Funknetz einwandfrei. Es ist stabil und alle Verbindungen laufen verschlüsselt ab.

"Unser glücklichster Kunde"

Insgesamt zwei Monate nahm das Becom-Projekt bei Diehl in Anspruch. Unerwartete Schwierigkeiten gab es lediglich bei der Installation des Funknetzes. Dennoch stellte der Dienstleister dem Kunden für die reine Implementierung des Gesamtsystems nur 120 Arbeitsstunden in Rechnung. Diese Tätigkeiten umfassten neben der eigentliche Projektleitung die Einrichtung der OS/400-nativen Dienste und die Neuimplementierung des Internetzugangs, der nun über die Firewall iGuard geschützt wird. Außerdem installierte Becom bei Diehl die Clients mit Natural Desktop und sonstigen Anwendungen (Groupware, Webbrowser und Office-Paket), passte Druckdienste entsprechend an und war für den reibungslosen Betrieb der Terminalserver verantwortlich. Zudem setzte Becom die neuen Richtlinien des Kunden in IT um. Selbstverständlich wurde dabei jeder Schritt sorgfältig dokumentiert. "Die größte Herausforderung in diesem Projekt bestand nicht in der Technik, sondern lag darin, den Kunden von den Vorteilen der quelloffenen Software gegenüber Windows zu überzeugen", zieht Fels sein persönliches Resümee. Doch nach einer fünftägigen Linux-Schulung und zwei Tagen Training an der neuen IBM-Maschine fühlt sich die gerade mal 1,5 Personen starke EDV-Abteilung der Spedition nun fit genug, dieses System selbst zu betreiben. Becom übernimmt den Support bei gravierenden Linux-Problemen, überwacht das Ganze und ist ansonsten nur noch für Upgrades zuständig. Für das Systemhaus ist Diehl derzeit der glücklichste Kunde, versichert der Projektleiter. Auf der in der vergangenen Woche abgehaltenen Messe Systems stellte der Kunde sein neues Linux-System einem breiteren Publikum vor.

Meinung des Redakteurs

Sicherlich kann nicht jeder mittelständische Kunde einen sechsstelligen Betrag für neue Hardware ausgeben. Wenn man ihm jedoch klar machen kann, dass er dadurch Personal einsparen kann, dann stehen die Chancen für ein neues Projekt schon besser. Und ganz gewiss ist Linux am Desktop für die meisten Anwender noch keine echte Alternative. Aber das könnte sich schon bald ändern. Lösungen wie die von Natural Computing drängen bereits auf den Markt.

Solution Snapshot

Kunde Wilhelm Diehl Internationale Spedition GmbH & Co. KG www.diehl-spedition.de

Problemstellung Komplette IT-Landschaft auf einer AS/400, Modell 820 nur 23 Einzelplatz-PCs für 110 User; Twinax-Verkabelung; alle Kabelschächte voll

Lösung Hardware: IBM eServer iSeries, 9406-810 mit einer OS/400-Partition Software: IBM WebSphere Application Server for iSeries, Linux-Distribution von Debian, OpenOffice.org, Evolution, Opengroupware.org, Natural Desktop, Mozilla-Webbrowser, Terminalserver via X-Protokoll, Fileroller, XPDF, iGuard Firewall

Dienstleister Advantegy GmbH, www.becom.com

Technologielieferant IBM, Natural Computing, Fbit, Debian, Mozilla, Symbol, Affirmative

Kontaktaufnahme bestehendes Kundenverhältnis

Verhandlungsdauer 6 Monate

größte Herausforderung Vorteile von Linux on iSeries gegenüber Microsoft-basierten Systemen dem Kunden zu verdeutlichen

unerwartete Schwierigkeiten bei der Installation des WLANs

Was hat länger in Anspruch genommen als vorgesehen? Installation des WLANs; das ursprünglich angeschaffte "billige" Funknetz funktionierte nicht performant genug und wurde deshalb nach vier Wochen durch ein professionelles System ersetzt

Implementierungsdauer zwei Monate

Arbeitsaufwand des Dienstleisters 120 Arbeitsstunden

Kostenumfang des Projekts 260.000 Euro

Projektaufteilung 60 Prozent für Hardware; 10 Prozent für Software; 30 Prozent für Dienstleistung

Service- und Wartungsverträge Servicevertrag des Dienstleisters über zwölf Monate für Hilfestellung bei Linux-Problemen, fürs Monitoring des Systems und Upgrade-Dienste

Schulung fünf Tage Linux-Schulung und zwei Tage iSeries-Training

Benefit für Kunden Reduktion des Administrationsaufwands, keine personelle Aufstockung der IT-Abteilung notwendig, Wegfall der Lizenzkosten für Office- und Mail-Produkte, schnellere Armortisation als beim Alternativkonzept mit Windows und Citrix Metaframe; alle 110 IT-User erhielten von ihrem eigenen Arbeitsplatz Zugang zum Internet sowie Zugriff auf Office-Anwendungen, E-Mail-Dienste, Drucker und File-Server

Benefit für den Dienstleister Folgegeschäfte stehen an; Referenzkunden gewonnen; wichtige Erfahrungen gesammelt

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