Projektbericht: Regeln für dieKreditvergabe in Software abgebildet

04.12.2003
Geschäftsprozesse ändern sich schnell, genauso rasch sollten auch die Regeln für deren Abbildung in der IT-Infrastruktur von Unternehmen modifiziert werden können. Neue Java-basierende so genannte "Rule Engines" versprechen genau dies. Von ComputerPartner-Redakteur Dr. Ronald Wiltscheck

In Zeiten wachsender Arbeitslosigkeit werden Konsumentenkredite immer häufiger nicht mehr getilgt. Hier besteht in den Kredit gewährenden Banken die Herausforderung darin, die Bonität ihrer Kunden hinsichtlich der Zukunft abzuschätzen. Da spielen natürlich Faktoren wie Beruf, Familienstand und die laufenden Lebenshaltungskosten eine Rolle. Aber auch sich langsam ändernde Randbedingungen wie das wirtschaftliche Umfeld oder die gesellschaftlichen Gegebenheiten sind bei der Überprüfung der Bonität zu berücksichtigen.

Kundendaten erfragen

Oft geschieht dies in Banken nur anhand eines auszufüllenden Fragebogens mit anschließender Schufa-Auskunft, und danach entscheidet der Sachbearbeiter oder sein Vorgesetzter mehr aus dem Bauch heraus, ob der beantragte Kredit gewährt oder abgelehnt wird. Mittlerweile hat aber auch in diesem Entscheidungsprozess die IT Einzug gehalten. Oft jedoch haben Banken lediglich selbst gestrickte Anwendungen im Einsatz, die häufig unflexibel und schwer zu warten sind. So in etwa stellte sich bis vor zwei Jahren auch die Situation bei der Hamburger Hanseatic Bank dar.

Alte Software war zu unflexibel

Die dort speziell zur Prüfung der Zahlungsfähigkeit von Kreditkunden entwickelte Software sollte durch eine moderne Architektur ersetzt werden. Hierzu statteten die IT-Verantwortlichen der Hanseatic Bank der EBTF einen Besuch ab. Diese parallel zur Linux World stattfindende Messe für Finanztechnologie feierte im November 2000 bereits ihr dreijähriges Jubiläum, dort lernten die Hamburger die Fachleute von Fernbach Software kennen. Das Eschborner Softwarehaus arbeitete schon damals daran, Geschäftsregeln bei Finanzdienstleistern in fertige Softwareprogramme umzusetzen.

Es folgten Vorgespräche über den Leistungsumfang der neu zu schaffenden Architektur, im Frühjahr 2001 hielt Fernbach hierzu einige Workshops beim Kunden ab. Nach weiteren drei Monaten, in denen die endgültigen Vertragsdetails festgelegt wurden, startete schließlich das Projekt im August 2001. Ursprünglich mit einer Dauer von 15 Monaten und einem zu erbringenden Serviceanteil von 5.000 Mannstunden angesetzt, verlängerte sich die Laufzeit um drei Monate; dementsprechend stieg auch der Arbeitsaufwand seitens des Dienstleisters. Schlussendlich ging das neue Kreditrisiko-Bewertungssystem bei der Hansetic Bank im April dieses Jahres in den Produktivbetrieb.

Die Verzögerung trat ein, weil die Migration der Daten aus dem veralteten Legacy-System der Bank in die neue Applikation sich doch etwas komplizierter erwies als erwartet. Eine weitere Herausforderung für Fernbach war ferner die Vorgabe, mehr als 1.000 Scoring-Regeln der Bank zu berücksichtigen. Hinzu kommt die Erschwernis, dass diese Regeln keinesfalls statisch sind, sondern einem ständigen Wandel unterliegen. Momentan muss immer noch Fernbach Änderungen an den Regeln manuell vornehmen. Geplant ist es jedoch, dass der Kunde selbst die Software seinen Bedürfnissen entsprechend anpassen soll. Hier arbeitet Fernbach noch an einer einfacheren Benutzerschnittstelle. "Es soll ein Editor werden, mit dem auch der Kreditsachbearbeiter zurechtkommt", so Stephan Klimmek, Projektleiter bei der Hanseatic Bank. Immerhin müssen alle 250 Angestellte des Kreditinstituts diese internen Regeln befolgen.

Java-Plattform - auf drei Schichten

Bei der Umsetzung der Richtlinien zur Kreditvergabe in DV-gestützte Geschäftsprozesse kommt die "Flex Finance Kredit"-Anwendung von Fernbach zum Einsatz. Diese Software ist passend zum Projektbeginn 2001 fertig gestellt worden. Es handelt sich hierbei um eine Java-basierende Anwendung. Sie koordiniert alle Vorgänge, die mit einem Kredit einhergehen. Dies geht los bei der Bearbeitung des Antrags, dessen Genehmigung, über das Einbuchen des Kredits, die nachfolgende Zahlungsabwicklung, also Kontrolle der Rateneingänge inklusive der Reaktionen auf ausbleibende Zahlungen, bis hin zum Abschluss des Kredits nach Ablauf des Vertrages.

Speziell für das Genehmigungsverfahren suchten die Spezialisten von Fernbach jedoch noch nach einem zusätzlichen Softwarepaket. Es ging darum, Geschäftsregeln leichter in DV-gestützte Prozesse umzusetzen. Nach einer ausführlichen Prüfung der dafür in Frage kommenden Produkte entschieden sich die Spezialisten aus Eschborn schließlich für "Rule Engine" von Ilog. "Die Wahl fiel auf Ilog, weil dieser Lieferant uns als beständiges Unternehmen mit Marktpräsenz in Mitteleuropa und guter Qualität hinsichtlich Wartung und Service auffiel", erinnert sich Paul Rothenberger, Vorstand bei Fernbach, an die Entscheidung im Frühjahr 2001. "Die Funktionen und Software-architektonischen Möglichkeiten einer derartigen Rule Engine waren uns damals schon bekannt."

So wurden Ilogs "Jrules" in die Flex-Finance-Kredit-Applikation integriert. Dabei erlebten aber die Entwickler bei Fernbach einen Paradigmenwechsel. Immerhin galt es, hier das Konzept einer Dreischichten-Architektur nach dem J2EE-Standard anzuwenden: "Doch diese Problematik war grundsätzlich bekannt, sodass wir die damit einhergehenden Anstrengungen mit in das Projekt einplanen konnten", erzählt Rothenberger aus dem Abstand von einem Jahr. Immerhin ist die Flex-Finance-Kreditsoftware von Fernbach auch ohne die Jrules funktionsfähig: "Die Regeln sind in der Rule Engine eingekapselt und können ohne Einfluss auf unsere Software jederzeit modifiziert werden", so der Vorstand.

Außerdem beinhaltet die Lösung bei der Hanseatic Bank das "Oracle Workflow Cartridge", ein System zur Modellierung, Steuerung und Überwachung der bankfachlichen Arbeitsabläufe bei der Kreditvergabe. Hier geht es darum, das Vier-Augen-Prinzip einzuhalten und zum Beispiel Arbeitsplatzwechsel zu berücksichtigen. Veränderte Vorgehensweisen bei der Genehmigung von Krediten werden ebenfalls von dem Workflow-System übernommen. Daraus gehen danach die neuen Arbeitslisten für die Kreditsachbearbeiter hervor.

Folgeaufträge gesichert

Mit der Inbetriebnahme des Systems bei der Hamburger Bank ist aber die Arbeit von Fernbach keinesfalls beendet. Das Unternehmen hat mit dem Kunden einen Wartungsvertrag abgeschlossen und leistet sowohl für die eigene Flex-Finance-Kreditanwendung als auch für die Rule Engine First-Level-Support. Weitere Bestandteile des Wartungsvertrages sind der Second-Level-Support und die Bereitstellung von Weiterentwicklung seitens des Systemintegrators.

Meinung des Redakteurs

Analysten von Gartner glauben, durch den Einsatz von Regelsystemen für Geschäftsprozesse die IT-Kosten um zehn Prozent senken zu können. Nun liegt es an Softwarehäusern und Systemintegratoren, dies unter Beweis zu stellen. Kunden davon zu überzeugen, in derartige Systeme zu investieren, dürfte sich schwierig gestalten - angesichts der beträchtlichen Projektkosten.

Solution Snapshot

Kunde: Hanseatic Bank GmbH & Co KG, Bramfelder Chaussee 101, 22177 Hamburg, www.hanseaticbank.de; Ansprechpartner: Stephan Klimmek, Projektleiter Tel.: 040 64603 307; Fax: 040 64603 297; E-Mail: info@hanseaticbank.de

Problemstellung: Die Kreditsoftware der Hanseatic Bank beruhte weitestgehend auf einer individuellen Eigenentwicklung, die durch eine modernere Softwarearchitektur abgelöst werden sollte. Es galt, die weit über 1.000 Regeln bei der Kreditvergabe in einer Standardlösung abzubilden. Da diese Richtlinienregelmäßig überarbeitet werden, sollte das Regelwerk einfach und flexibel geändert werden können.

Lösung: Flex Finance Kredit von Fernbach Software: J2EE-konformes System für die Bearbeitung von Kreditanträgen und anschließende IT-gestützte Begleitung des Kredits während seiner kompletten Laufzeit (Lifecycle-Management)

Oracle Workflow Cartridge: in der obigen Software integriertes Workflow-Management-System zur Steuerung der bankfachlichen Abläufe

Ilog Jrules: hier sind die Regeln für die Kreditvergabe enthalten

Systemintegrator: Fernbach Software AG, Mergenthalerallee 77, 65760 Eschborn, www.fernbach.com;

Ansprechpartner: Paul Rothenberger, Vorstand Tel.: 06196 50939 00, Fax: 06196 50939 31, E-Mail: info@fernbach.com

Technologielieferant: Ilog Deutschland GmbH, Ober-Eschbacher-Straße 109, 61352 Bad Homburg, www.ilog.de; Ansprechpartner: Thorsten Ripper, Account ManagerTel.: 06172 4060 0, Fax: 06172 4060 10, E-Mail: info@ilog.de

Kontaktaufnahme: Der erste Kontakt zwischen der Hanseatic Bank und Fernbach kam während der Bankenmesse EBTF im November 2000 zu Stande. Den Kontakt mit Ilog hat Fernbach nach einer Marktsondierung gezielt gesucht.

Verhandlungsdauer: drei Monate Vertragsverhandlungen im engeren Sinne

größte Herausforderungen: Datenmigration von Kunden- und Geschäftsdaten aus den bestehenden Legacy-Systemen ins Flex Finance Kredit; hier galt es, die vorhandenen bankindividuellen Anforderungen in einer flexiblen Standardsoftware abzubilden; Feinspezifikation und -abstimmung der bankfachlichen Prozesse in der Kreditapplikation (Workflow-System); Architekturkonzept der Rule Engine (Java-basierendes Drei-Schichten-Modell) - so ewas hatte Fernbach noch nie in die eigene Software integriert.

Implementierungsdauer: Gesamtprojekt: rund 18 Monate ab Vertragsabschluss

Arbeitsaufwand des Systemintegrators: Bezogen auf die Rule Engine: Inbetriebnahme und initiales Aufsetzen des Regelwerks: zirka 100 Personentage; Für das Gesamtprojekt wurden 5.000 Mannstunden angesetzt - allerdings für die geplante Laufzeit von 15 Monaten, sodass sich auch der Arbeitsaufwand des Systemintegrators um etwa ein Fünftel erhöht haben durfte.

Projektkostenaufteilung: Softwarelizenzen: etwa 60 Prozent, Dienstleistungen: rund 40 Prozent, Hardware wurde vom Kunden bereitgestellt

Service- und Wartungsverträge mit dem Systemintegrator: langfristiger Wartungsvertrag für die Gesamtanwendung: First- und Second-Level-Support für Flex Finance Kredit; First Level Support für die Rule Engine; Bereitstellung von Weiterentwicklungen

Schulung: zirka 15 Schulungstage

Benefit für Kunden: Durch den Einsatz der Rule Engine lassen sich Scoring-Regeln bei der Kreditvergabe nun flexibel und dynamisch anpassen; Änderungen von Richtlinien sind ohne Programmierung möglich; es fallen weit geringere "Unterhaltskosten" im Vergleich zum "hart kodierten" Regelwerk an.

Benefit für den Systemintegrator: Die Rule Engine von Ilog ist nun fester Bestandteil in der Softwarearchitektur von Fernbach; sie wird künftig überall dort zum Einsatz kommen, wo dynamische Geschäftsregeln gefragt sind; außerdem hat der Systemintegrator mit der Hanseatic Bank einen bedeutenden Player im Konsumentenkreditgeschäft als Referenzkunden gewonnen.

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