Qualifikation 2002: die Karriere-Turbos für IT-Personal

20.06.2002
Welche Erwartungen IT-Entscheider in Deutschland für das Jahr 2002 haben und welche Trends sich ihrer Meinung nach im Markt abzeichnen, zeigt eine aktuelle Studie von Silicon.de. Dafür wurden im März mehr als 1.700 IT-Profis befragt.

Nach dem Dotcom-Boom im Jahr 2000 stürzten mehrere tausend Entlassungen im vergangenen Jahr das IT-Lager in eine tiefe Depression. Welche Auswirkungen die vergangenen Monate auf den Arbeitsmarkt haben, welche Erwartungen IT-Entscheider für das laufende Jahr haben und welche Trends sie erwarten, zeigt eine aktuelle Studie von Silicon.de. Im März wurden mehr als 1.700 IT-Profis zur derzeitigen Lage befragt, darunter etwa 170 Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer, knapp 30 CIOs und rund 500 IT-Abteilungsleiter.

Der IT-Arbeitsmarkt ist gereift

Die negative Entwicklung im Markt wirkt sich der Studie zufolge vor allem bei personellen Entscheidungen gravierend aus. Die Euphorie ist verflogen: "Eine wichtige Folge des Platzens der Dotcom-Seifenblase ist sicher, dass der IT-Arbeitsmarkt nun deutlich gereift ist", so das Ergebnis. Entscheidend ist wieder die Kompetenz: "Verbunden mit der Erkenntnis, dass die New Economy den altbekannten ökonomischen Gesetzen der Marktwirtschaft gehorcht, hat sich auch die Weisheit wieder verbreitet, dass IT-Profis nicht vom Himmel fallen."

Die Qualifikation als Schlüssel zum Erfolg funktioniert - allerdings nicht immer. So haben Quereinsteiger und Angelernte der Umfrage zufolge derzeit wenig Chancen. Aber auch ein intensives, abgeschlossenes IT-Studium mit Praktikum im Unternehmen - und, wenn möglich, auch einem Auslandsaufenthalt - reicht alleine nicht mehr aus, um eine der begehrten Schlüsselpositionen in Großunternehmen zu erlangen. Die Anforderungen an IT-Professionals haben sich laut Wolfgang Braun, Vorstand der IT-Beratungsfirma Meta Group, vor allem auf betriebswirtschaftliche Themen verlagert. Bezogen auf die Palette der Fertigkeiten stehen demnach die Soft Skills, also die "weichen" Fähigkeiten der Bewerber, heute sehr hoch im Kurs. "Mit Führungsqualitäten und Kenntnissen in verwandten Bereichen wie Budgetplanung oder auch mit Teambildungskompetenz kommen IT-Mitarbeiter heute weiter als mit reinem Technikwissen", so Braun.

Tiefes und neues Spezialwissen ist gefragt

Zwar sind die Entscheider durchaus auch wegen des besseren Angebots an Fachkräften wählerischer geworden, doch ein Mangel an Profis besteht in der Branche nach wie vor: 29 Prozent der befragten Unternehmen berichten von einem akuten Mangel an qualifiziertem IT-Personal. Auch Personalvermittler und -berater beobachten, dass der Fachkräftemangel immer noch andauert - trotz der vielen Entlassungen in Zusammenhang mit Fusionen und Insolvenzen im vergangenen Jahr. "Ein Großteil der IT-Profis, die im vorigen Jahr ihre Stelle verloren haben, kam schnell wieder unter", so Jürgen Rohmeier, Bereichsleiter New Economy/Advanced Technologies bei der Personalberatung Kienbaum. Und auch Gabriele Kernwein, Geschäftsführerin der Personalvermittlung PC-Enter, sieht trotz der etwas ausgeglicheneren Lage auf dem IT-Ar- beitsmarkt in diesem Jahr "durchaus keinen Einstellungsstopp".

Allerdings konzentrieren sich die Bedürfnisse einer Unternehmens-IT immer mehr auf tiefes und neues Spezialwissen: So weisen bei besonders gefragten Fähigkeiten die Umfrageergebnisse gegenüber dem Vorjahr einen sprunghaften Anstieg bei Linux-Wissen aus. Waren 2001 erst acht Prozent der Ansicht, Linux werde dringend benötigt, so waren es im März 2002 schon 28 Prozent.

Außerdem ist die Nachfrage nach Experten für Datenbanken und betriebswirtschaftliche Anwendungen sowie nach Softwareentwicklern, Programmierern und Administratoren unvermindert groß. Anwendungen wie ERP (Enterprise Resource Planning), CRM (Customer-Relationship-Management) und SCM (Supply-Chain-Management) stehen ebenfalls so hoch im Kurs, dass Spezialisten händeringend gesucht werden.

ASP kommt über Nischenlösung nicht hinaus

Ein weiteres Ergebnis der Umfrage ist, das sich Application Service Provider offenbar nicht durchsetzen konnten und auch nicht werden: Einst als Patentrezept gegen den Fachkräftemangel gefeiert, dümpelt der ASP-Markt heute weitgehend als Nischenlösung vor sich hin. Viele Anbieter haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Der Mangel an IT-Personal ist in deutschen Abteilungen nur in den seltensten Fälle ein Grund, zu ASP- oder gehosteten Lösungen zu greifen. Lediglich acht Prozent der Befragten setzten deswegen tatsächlich auf solche Komplettangebote. Dagegen stehen 62 Prozent, die keinen Sinn darin sehen. Weitere 14 Prozent stimmen zu, dass der Personalmangel den Druck in Richtung ASP verstärkt, 16 Prozent stehen dieser Aussage eher ablehnend gegenüber.

Offenbar steckt das Thema ohnehin noch in den Kinderschuhen, denn viele Branchenkenner und Anbieter betonen: "Die meisten Anbieter verdienen das Vertrauen der Nutzer immer noch nicht." Aman Khan, Geschäftsführer des Full-Service-Providers Psinet, formuliert es so: "Die ASPs in Deutschland leben vom Namen allein und sind weit davon entfernt, auch nur zu verstehen, was ein ASP tun muss."

So wirft er vielen Anbietern vor, sie würden sich nur aus Modegründen ASP auf die Fahnen schreiben. Zu einer professionellen Lösung würden aber neben der reinen Bereitstellung einer Applikation auch sicherheitsrelevante Angebote, Kostentransparenz für den Kunden und Gewährleistung der vereinbarten Verfügbarkeit gehören: "Erst das macht einen ASP aus", so Khan.

Seine Kritik richtet sich aber nicht nur an junge Unternehmen: "Großunternehmen peppen ihr Portfolio gern durch so genannte moderne Technik auf, aber kein Unternehmen kann so nebenbei auch noch ein bisschen ASP machen - das geht nicht. ASP ist ein Full-Time-Job."

Steigende Bedeutung des E-Learning erwartet

An Bedeutung hat für die IT-Entscheider hingegen das Thema E-Learning gewonnen. So messen knapp 40 Prozent der Befragten dem E-Learning unternehmensintern eine hohe Bedeutung bei. Dagegen haben nur 17 Prozent für diese Lösung definitiv keine Verwendung. Die Aussagen decken sich mit den Prognosen von Analysten, die diesem Markt einen weltweiten Boom voraussagen. Skeptische Stimmen gibt es allerdings nach wie vor im Mittelstand und im Soho-Bereich: "Da ist jede Weiterbildung momentan zu teuer", so das Fazit.

Trotz des großen Interesses und der guten Prognosen blieb der Markterfolg bisher aber weit hinter den Erwartungen zurück. Viele Anbieter haben sich deshalb vom Markt zurückgezogen oder ihre Ambitionen vorläufig auf Eis gelegt. Dennoch habe ein marktweiter Paradigmenwechsel bei den Herstellern - "von der Technikverliebtheit hin zum Inhalt und Qualität" - zu einer höheren Akzeptanz geführt, so die Personalberater von Kienbaum: Gefragt werden demnach nur noch hochwertige digitale Lernangebote, die tatsächlich Lücken im Unternehmen schließen können.

Fraglich bleibe allerdings, ob im Unternehmensalltag außer Basiskenntnissen auch geldwertes Wissen an die Mitarbeiter vermittelt werde. Der bekannte Vorwurf an die IT-Abteilung, zu technikorientiert zu sein, werde meist mit "zu großer Überlastung durch Servicearbeiten, die wiederum durch Unmündigkeit der User hervorgerufen werden", beantwortet. Dies lasse tief blicken: Hier fehle es vor allem an Kommunikationsfähigkeit, Personalführung, Teamfähigkeit und anderen Manager-Disziplinen, also an den Soft Skills.

So sind die deutschen DV-Leiter nach Ansicht der Befragten zu technokratisch und verfügen nur über mangelnde Personalführungskenntnisse. Als wichtigstes Manko im Alltag betrachten 73,1 Prozent der Befragten das Thema "Projektmanagement-Fähigkeiten". "Personalführung" folgt mit 42 Prozent auf Platz zwei. Damit haben sich auch die Anforderungen an IT-Berufe deutlich verändert: Neuerdings werden Teamfähigkeit, Personalführungsqualitäten, vernetztes Denken, emotionale Intelligent und nicht zuletzt auch Fremdsprachenkenntnisse gefordert. So zeichnet Birgit Tenhofen, Director Recruting bei Siemens Business Services, das Bild eines idealen Bewerbers für eine gehobene IT-Stelle folgendermaßen: "Wir brauchen heute fundierte, berufserfahrene Spezialisten, die ihr Sachgebiet schon eine Weile verstehen."

IT-Profis fordern mehr Mitspracherecht

Gegenüber der Geschäftsführung soll der IT-Manager den technischen und organisatorischen Status quo sowie Hindernisse klar benennen können und dabei durchaus auch unkonventionelle, kreative Lösungswege suchen. Das sind keine klassischen IT-Fähigkeiten, sie werden derzeit aber gefordert. Die Umsetzung scheitert dennoch oft am Vorstand: Knapp 26 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Führungsetage die Vorschläge aus der IT-Abteilung nicht gebührend berücksichtigt. Viele CIOs in Großunternehmen, darunter Michael Neff vom Druckmaschinenhersteller Heidelberger, raten deshalb zu einer gemeinsamen Verhandlungsbasis: zu einer fest im Vorstand verankerten IT-Leitung.

Als weiteres Manko für professionelle IT-Arbeit erkennen die Befragten, dass die deutschen Unternehmen offenbar zu wenig Wert auf interne Schulungen und Weiterbildung im IT-Bereich legen. Hier fordern 81 Prozent mehr Engagement. Warum die Weiterbildung im Beruf aber gerade in der IT-Abteilung oft zu kurz kommt, erklärt Kienbaum-Fachmann Jürgen Rohrmeier so: "Zum einen kommen Kosten auf die Unternehmen zu, und zum anderen müssen die Mitarbeiter vom Tagesgeschäft freigestellt sein - das ergibt in der projektbezogenen und ohnehin zeitkritischen IT-Arbeit natürlich noch zusätzliche Probleme".

www.silicon.de,

www.kienbaum.de,

www.metagroup.de

ComputerPartner-Meinung:

Welch eine Überraschung: Fundierte Qualifikation ist bei der Suche nach dem Traumjob also unabdingbar. Offenbar ist auch die IT-Branche erwachsen geworden - und ist dabei vor lauter Entsetzen über die eigene Krise gleich ins erzkonservative Lager gewechselt: Wurden 2000 die "IT-Profis" praktisch von der Schulbank weg in die Manageretagen engagiert, kommen den Befragten heute nur noch seriöse Vollprofis mit langjähriger Berufserfahrung über die Schwelle. Vielleicht sollte man endlich den goldenen Mittelweg beschreiten: die Erfahrenen auf die verantwortungsvollen Posten setzen und gleichzeitig den Newcomern eine Chance geben, ihr Können unter Beweis zu stellen. (mf)

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