SAP und Microsoft kämpfen um die Vormacht im ERP-Mittelstand

01.08.2002
Die ERP-Initiativen von SAP und Microsoft für den Mittelstand wirbeln den Markt durcheinander. IT-Experte Helmuth Gümbel von Strategy Partners analysiert den Status quo von Produkten und Partnerstrategien der beiden Softwarehersteller.

Microsoft und SAP verhalten sich wie zwei hochgezüchtete Formel-1-Boliden, die auf der Standspur nebeneinander herkriechen. Damit steht der Anwender vor einem Dilemma: SAP hat noch nicht die Funktionen und die Partner, die gebraucht werden, aber ein zukunftsorientiertes Kernprodukt, wenn auch mit der Architektur vom Hauptkonkurrenten in spe. Microsoft hat viele Produkte mit guten Funktionen und viele gute Partner, kann aber kein Produkt vorweisen, auf das man guten Gewissens langfristig setzen kann.

Vielleicht ist es zu früh, hier eine Wertung anzustellen. Vielleicht kann ein neues mittelstandsgerechtes ERP-Produkt derzeit nur von sehr großen Anbietern unter Aufbietung beträchtlicher Kräfte erzeugt und in den Markt gebracht werden. Immerhin ist der ERP-Markt schwieriger geworden. Die Quartalsberichte der großen Anbieter belegen das. Doch der Mittelstand darf sich freuen, zumindest was Anwendungen anbelangt. Noch nie wurde er so umworben wie heute.

Kampf der Titanen

Jetzt machen sich die zwei Titanen SAP und Microsoft über dieses Marktsegment her. SAP ist keineswegs neu in diesem Markt. Seit über einem halben Jahrzehnt versuchen die Walldorfer, mit "R/3" in verschiedenen Formen in diesem Markt Fuß zu fassen. Speziell in Deutschland konnte SAP zur Spitzengruppe der Mittelstandsanbieter aufschließen - an sich ein Erfolg, allerdings mit zwei kleinen Fehlern: Weder erreichte SAP die marktbeherrschende Stellung, die es im oberen Marktsegment seit Jahren innehat, noch realisierte es den erhofften Umsatz. Der Mittelstand blieb ein Nebenkriegsschauplatz.

Das soll nun anders werden. Nach Jahren der Anstrengungen, R/3 bis zum Laptop herunterzuskalieren, und des Rätselns, warum der Mittelstand "einfache Komplexität" verlangt (nämlich fast alle Funktionen der Großindustrie, nur viel einfacher zu handhaben, zu administrieren und zu erlernen), versuchen die Walldorfer jetzt einen neuen Ansatz: ein anderes Produkt. Dieses soll den "unteren" Mittelstand adressieren. Im oberen Bereich des Mittelstands vertreibt SAP weiterhin weltweit ein nun mit dem Namen "Mysap All-in-One" versehenes R/3-Paket über die inzwischen etablierten Partner.

Das neue Produkt, ursprünglich TopManage genannt und von der israelischen Firma Menahel entwickelt, ist leicht zu verstehen, internationalisierbar und überschaubar in jeder Beziehung. Noch vor der Akquisition durch SAP gewannen die Israelis 800 Kunden weltweit für das Produkt. SAP kaufte das Unternehmen, kündigte die Software zur Cebit 2002 an und befindet sich jetzt inmitten eines umfangreichen Programms, all jene Kleinigkeiten zu adressieren, die zum Erfolg notwendig sind. Immerhin, einen Namen hat die neue Software schon: "Business One".

SAP fehlen Branchenlösungen

SAP nimmt die Aufgabe durchaus ernst. Die Softwareschmiede gründete eine Business Unit, die international den neuen Ansatz treiben soll. Roadshows stießen bei potenziellen Vertriebspartnern auf großes Interesse. Die Internationalisierung des Produkts befindet sich in vollem Gange - bis zum Jahresende will SAP die wichtigsten Geographien inklusive der USA abdecken. Dank des verwendeten Unicode gibt es dafür eine technische Grundlage. Auch an die Zertifizierung der Buchhaltung für Deutschland und Frankreich denkt SAP - sie ist in Arbeit.

Mit Business One haben die Walldorfer ein Produkt, das einen Kern darstellt, der Buchhaltung, Einkauf, Verkauf, Lagerhaltung und den Geldverkehr abdeckt. Es sind heute keine Funktionen für die Produktionsplanung vorhanden, und Branchenlösungen fehlen gänzlich. Diese werden gemeinsam mit Lösungspartnern erstellt. Einige von ihnen werden aus dem bisherigen Partnerumfeld von SAP kommen, andere neu dazukommen. Um aber in einigen Jahren mit dem Produkt einen zweistelligen Prozentanteil am Lizenzumsatz zu erwirtschaften, reicht dieses Partnerumfeld nicht aus. SAP braucht viele neue und gute Partner. Zur Sapphire im September in Lissabon wollen die Walldorfer weiter sein und eine erste Liste der Branchenlösungen präsentieren.

Auch andere Aufgaben sind noch zu bewälti-gen. Die Microsoft-Umgebung zu bedienen ist zwar sicher wichtig und richtig, aber andere Umgebungen müssen aus Marktgründen und der politischen Räson wegen betrachtet werden. Das geschieht auch: SAP studiert die an sich technisch mögliche Portierung auf weitere Umgebungen wie etwa Linux mit SAP-DB. Vielleicht erfahren wir auch hier mehr auf der Sapphire.

Weitere Fragen harren einer Antwort: SAP muss und will für Business-One-Benutzer eine Roadmap für den Aufstieg zu Mysap zeigen. Einen Teilaspekt bildet hier die Interoperabilität: Lassen sich die beiden Produkte verbinden? Großkonzerne mit mittelstandsorientierten Teilstrukturen sind bei diesem Thema "ganz Ohr". Sie wollen aber auch wissen, wer sie in einem solchen Falle betreut - Partner oder SAP selbst. Die Walldorfer scheinen für Business One den Weg über die Partner sehr konsequent anzupeilen, was mit Sicherheit vertriebliche Konflikte bei der Großkundenbetreuung hervorruft.

Bei der Interoperabilität mit Mysap kommt die neue SAP-Integrationsinfrastruktur zum Tragen: SAP hat zwischen den an sich grundsätzlich unterschiedlich aufgestellten Welten (Business One ist so Microsoft-orientiert, dass es auch von Microsoft sein könnte, Mysap ist J2EE-orientiert, um unabhängig von einem Middleware-Hersteller zu sein) einen Adapter geschaffen. Dieser Adapter muss noch zeigen, dass er allen Lastanforderungen gewachsen ist. Die kommenden Branchenlösungen verlangen überdies noch weitere Überlegungen: Die technische Integration ist nur eine Basis, auf Anwendungsebene wird es hier sicher noch Herausforderungen geben, die wir heute nur ahnen.

SAP hat mit Business One eine Grundlage, die im derzeitigen Zustand nur für einen kleineren Teil des anvisierten Marktes attraktiv ist. Erst die Branchenlösungen machen das Produkt wirklich interessant. Damit das Produkt aber SAP-Qualität erreicht, braucht es die volle Internationalität und die anerkannt gute weltweite Service-Infrastruktur. Auch hieran arbeiten die Walldorfer intensiv. Sie erweitern die Infrastruktur um Telefon-Call-Center und wollen eine neue Aufgabenverteilung mit den Partnern festlegen.

Microsoft vor Produktkonsolidierung

Ganz anders sieht die Situation bei Microsoft aus. Das Unternehmen ist weltweit mit seinen Produkten vertreten - im Heim und in der Industrie, legal und nicht ganz so legal. Natürlich hat auch der Mittelstand Microsoft-Produkte - und ein riesiges internationales Partnernetz gibt es auch.

Als Microsoft sich dem Thema ERP-Anwendungen näherte, war aber bald klar, dass diese Kategorie von Anwendungen einen sehr speziellen Sachverstand benötigte. Ein Hersteller von Unternehmenssoftware muss viel mehr vom Geschäft der Kunden verstehen und braucht ein Partnernetz, das Betriebswirtschaft vor Technik setzt.

Das war aus eigener Kraft nicht so schnell zu schaffen. Also kauften die Redmonder Microsoft-orientierte Hersteller - zuerst Great Plains. Doch der Softwaregigant stellte rasch fest, dass dieses Unternehmen zwar in den USA gut aufgestellt ist, aber nicht in Europa. Die ersten Interessenten für eine Partnerschaft in Deutschland wandten sich schnell ab, als sie erkannten, dass die Buchhaltung mangels Testat nicht einmal für den eigenen Bedarf taugte.

Also schaute sich die Gates-Company weiter um und fand mit Navision wohl jenen Anbieter, der beim zentraleuropäischen Mittelstand die beste Präsenz hat. Ein großes Partnernetz sichert ein breites Portfolio an Lösungen. Von daher könnte die Situation nicht besser sein: Microsoft ist mittendrin im Markt - lediglich in Asien klafft noch eine Lücke. Die könnte der Softwareriese entweder mit der Ausweitung der Vertriebsaktivitäten und entsprechenden Produktlokalisierungen oder durch abermalige Käufe schließen.

Leider haben derlei Akquisitionen auch eine weniger angenehme Seite: Microsoft hat schon heute nicht weniger als fünf Produkte (wenn man Apertum, einst von GreatPlains gekauft, dazuzählt, sind es gar sechs). Diese Produkte benutzen zwar Microsoft-Systemplattformen und sind somit wenigstens "politisch korrekt", aber sie sind sicher nicht alle zukunftsorientiert. Damit steht eine Konsolidierung an, dann eine Migration und danach auch ein - wenigstens teilweiser - Neukauf der Lizenz.

Das muss wohl auch so von Microsoft beabsichtigt sein, denn es scheint unwahrscheinlich, dass SAP nur von der Wartung leben will. Die Redmonder wollen die installierte Basis der übernommenen Unternehmen, um den meisten dieser Kunden neue Lizenzen zu verkaufen. Wie üblich, haben diese Kunden keinen Raum für ein Votum. Bestenfalls ahnen sie diese Strategie. Wir dürfen gespannt sein, mit welchen Argumenten Microsoft dem eher funktionsorientierten Mittelstand seine künftigen Architekturen schmackhaft machen wird. Die Spannung wird noch weiter steigen, weil der Mittelstand dazu neigt, Anwendungskäufe als extrem langfristige Investitionen anzusehen.

Dabei ist heute noch nicht einmal klar, wie dieses neue Konvergenzprodukt genau aussehen soll. Am ehesten wird das an dem demnächst erscheinenden CRM-Produkt von Microsoft erkennbar. Spekuliert wird, dass Great Plains die Basis dafür liefert.

Damit bleibt auch die Lage der Navision-Partner unklar. Ihnen gehören nämlich die Branchenlösungen, die dann auf die neue Plattform zu migrieren wären. Ihnen gehört aber noch mehr: Sie haben den Draht zum Kunden. Ohne diese Partner ist der Kauf von Navision für Microsoft nicht attraktiv. Die Redmonder müssen nun diese Partner erneut mit attraktiven Konditionen an sich binden. Da sich Microsoft in diesem Bereich bisher eher weniger großzügig zeigte, ist es nicht unverständlich, wenn Branchenbeobachter bereits heute bei Wettbewerbern gelegentlich auf Navision-Partner stoßen, die dort Klimaforschung betreiben.

Microsoft plant auch, die nicht unbeträchtlichen Ressourcen von Navision zur Lokalisierung einzusetzen. Das setzt natürlich voraus, dass diese Spezialisten dem Unternehmen erhalten bleiben. Die Arbeitsplatzlage mag dies erleichtern - garantieren tut sie es nicht. Es wird wohl ein weiteres halbes Jahr vergehen müssen, bis man genau sieht, welche Partner tatsächlich auch in der neuen Mannschaft mitspielen.

SAP und Microsoft blockieren Investitionen

Es ist schon verrückt: SAP hat die Architektur des künftigen Microsoft-ERP-Produktes, Microsoft hat die Kunden- und Partnerbasis, die SAP gerne hätte. SAP und Microsoft verurteilen den Kunden zumindest im Moment zur Geduld: Bei Microsoft muss man warten, bis sich der Nebel über der Zukunft lüftet, bei SAP, bis die wichtigsten Hausaufgaben erledigt sind. Auch große Softwareanbieter erobern den Mittelstand nicht im Handstreich. (hei)

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