Führungskultur

Schiff ohne Kapitän?

Petra Menzel, Geschäftsführerin der Gordion Projects GmbH, verfügt über 20 Jahre Projektmanagement-Erfahrung in nationalen und internationalen Unternehmen und ist spezialisiert auf die Verzahnung von klassischem und agilem Projektmanagement.
Wie flache Hierarchien wirklich funktionieren – und wie nicht.
Flache Hierarchie können schnell zu Chaos und Unzufriedenheit führen, dann ist schnelles Handeln gefragt.
Flache Hierarchie können schnell zu Chaos und Unzufriedenheit führen, dann ist schnelles Handeln gefragt.
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Hinter dem Begriff "flache Hierarchie" verbirgt sich die Idee, Führungsebenen zu reduzieren, ein Unternehmen in seiner Entwicklung sehr frei zu belassen und Mitarbeiter nicht durch Führungsrestriktionen in ihrer Kreativität und ihrem Schaffensreichtum zu beschränken. Das ist nicht nur der Wunsch vieler Angestellter, auch für Führungskräfte ist das verlockend. Sie tragen weniger Verantwortung, da das Team gemeinsam und eigenständig Entscheidungen trifft.

Doch gerade in der heutigen Zeit, in der der Agilitätsansatz immer beliebter wird und oft als Must-have für den Erfolg betrachtet wird, kann ein gut gemeinter Strukturwandel zu einer flachen Hierarchie schnell zu Chaos und Unzufriedenheit führen. Bis zur Meuterei muss es dabei aber nicht kommen.

Anker lichten für kreatives Arbeiten

Oftmals steckt hinter flachen Hierarchien auch der moderne Führungsbegriff "Lean Management", also ein Weg zu einer schlanken Organisation. Dazu zählt auch, ungenutzte Kreativität der Mitarbeiter einzusetzen und sie durch Freiheit und Selbstorganisation zu fördern. So erhält jedes Teammitglied mehr Handlungsspielraum und alle werden in Entscheidungsprozesse eingebunden.

Unternehmen mit flachen Hierarchien profitieren hier von verkürzten, direkten Kommunikations- und Entscheidungswegen und der daraus resultierenden Möglichkeit, schneller auf kurzfristige Ereignisse reagieren zu können. Diese erhöhte Flexibilität und Unabhängigkeit bedingen zwar eine höhere Notwendigkeit für Eigenverantwortung, tragen aber zu einem ideenreicheren und effektiveren Arbeitsklima bei. Deshalb ist die Einführung flacher Strukturen auch so beliebt.

Trotz dieser positiven Effekte kann die Implementierung flacher Hierarchien auch Schwierigkeiten mit sich bringen. So können etwa Entscheidungsprozesse, die dank flacher Strukturen eigentlich schneller ablaufen sollen, durch unklare Aufgabenverteilung und das Mitwirken aller bei Entscheidungen gelähmt werden, wenn es zu schwerfälligen und langwierigen Diskussionen kommt.

Mit Kompass ans Ziel

Als eine der größten Herausforderungen in flachen Strukturen gilt deshalb das Erreichen des Unternehmensziels. Jedes Unternehmen hat den Auftrag, wirtschaftlich zu arbeiten und den Wunsch, ein bestimmtes strategisches Ziel zu erreichen - sei es Marktführer zu werden, mehr Kunden zu gewinnen oder eine neue Technologie zu entwickeln.

Hierzu ist es unumgänglich, alle Angestellten in ihrem Denken, Handeln und Wirken genau auf das Unternehmensziel hinzuführen. Trotz aller gewährten Freiheiten braucht es Leitplanken für das Handeln und die richtigen Ansätze für Kreativität, während Ressourcenverschwendung und Fehlerentwicklung minimiert werden müssen.

Auf keinen Fall dürfen Veränderungen nur auf dem Papier eingeführt werden, statt sie auch wirklich im Unternehmen zu leben. Ansonsten laufen Prozesse genauso ab wie vorher, nur weniger strukturiert bis chaotisch, weil es keine geregelte Aufgabenzuweisung mehr gibt und sich niemand verantwortlich fühlt.

Kein Seegang ohne Navigator

Teilweise herrscht fälschlicherweise die Überzeugung, dass flache Hierarchien völlig führungslos sind. Zwar bedingt die Entwicklung von Unternehmenskulturen der letzten Jahrzehnte eine Veränderung im Arbeitsalltag, bei der Mitarbeiter mehr mitgestalten wollen und auch dürfen, aber das funktioniert nur, wenn Verantwortliche die passenden Strukturen schaffen.

Das heißt allerdings nicht, dass jeder zum Chef gemacht wird. Geschäftsführungen haben in der Vergangenheit schon den Fehler begangen, Managementpositionen gänzlich aufzulösen mit der Ansicht, richtige Entscheidungen würden durch die Schwarmintelligenz der Angestellten getroffen werden. Genau genommen muss hier allerdings von Führungsverweigerung gesprochen werden, denn ohne Management treibt ein Unternehmen wie ein Geisterschiff durch die Ozeane der Märkte. Es braucht also weiterhin Menschen in Führungsstellungen, die die Fäden zusammenhalten und stellvertretend für das Team sprechen, handeln und verantwortlich sind.

In den meisten flachen Hierarchien werden Entscheidungsketten zwar nicht völlig aufgelöst, doch das Team kann sich dennoch in vielen Bereichen frei entfalten und Meinungen äußern. Hierzu zählt etwa die Ideenentwicklung. Am Ende müssen aber alle Ideen das Unternehmensziel unterstützen. Dafür braucht es Leitlinien und eine kompetente Führung.

Aufbruch zu neuen Ufern

Flache, agile Strukturen funktionieren vor allem in kleinen Firmen und Start-ups gut, doch je größer das Unternehmen wird, desto mehr muss auf Aspekte herkömmlicher Strukturen zurückgegriffen werden. Insbesondere bei Krisen bieten traditionelle Entscheidungskonzepte die besten Voraussetzungen für ein geregeltes Krisenmanagement.

Dennoch lassen sich flache Strukturen auch in größeren Unternehmen gewinnbringend einsetzen. Zentral ist dafür die Kommunikation mit Angestellten, um herauszufinden, in welchen Bereichen überhaupt mehr Freiheiten gewünscht sind und wo hingegen klare Prozesse und Vorgaben benötigt werden. Eine sinnvolle Auflösung von strikten Führungsebenen klappt meist am besten, wenn Mitarbeitern nach und nach einzelne Freiheiten gewährt werden. So verläuft der Wandel zu flachen Strukturen schrittweise, bis die gewünschte Organisationsform erreicht ist.

Es geht darum, agiles und klassisches Projektmanagement miteinander zu versöhnen, um flexibles,kreatives Arbeiten auf Augenhöhe zu ermöglichen, aber zeitgleich weisende und hilfreiche Strukturen zu schaffen.

Um eben nicht in strukturlosem Chaos zu versinken und nur agil um des Agilitätswillens zu sein, erfolgt die Wahl der Organisationsstruktur passend zum Unternehmen. Hier sind offene Kommunikation, richtige Transparenz und ehrliche Wertschätzung das A und O, um die Anzahl der Hierarchiestufen zu senken.

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