Schön war's: aber voll

04.01.1999

HANNOVER: Die Cebit war wie jedes Jahr - nur voller. Was eigentlich seit Jahren erprobt ist und reibungslos laufen sollte, geriet unter dem Ansturm der rund 700.000 Besucher dieses Mal bereits in die Schieflage. Rangeleien vor Standparties, schimpfende Besucher und entnervtes Ausstellerpersonal: Der Ruf nach mehr Platz wird lauter.Überstanden. Sie ist vorbei, die Cebit 99, und kaum jemand wird das bedauern. Zwar wurden gute Gespräche geführt und Geschäfte gemacht, aber Hannover ist nun mal nicht so einladend, daß man dort länger als nötig verbleiben möchte. "Raubritterstadt" nannte so manch ein Messebesucher sie gar.

Gutbetuchte Manager klagten über "harte Nächte auf der Klappliege", die Nacht 150 Mark. Doch man nahm's mit Humor, auch die Verpflegung auf der Messe gab eher Anlaß zu Witzeleien: "Für Kaffe nehmen die sechs Mark hier in Halle 1. Den sollte man einfrieren, so wertvoll ist der!", frotzelte ein Aussteller.

Noch siegt eine gewisse Sympathie zum Chaos, schließlich ist Messe - und damit Ausnahmesituation. Tatsache ist aber auch, daß sich mit zunehmender Aussteller- und Besucherzahl die Problemchen, die der Messestandort Hannover von jeher hatte, zu echten Problemen auswachsen.

Beispiel Diebstahl: "Auf der Cebit wird geklaut, was das Zeug hält", wird jeder, der einen eigenen Messestand hat, bereits im Vorfeld von Kollegen gewarnt. Doch dieses Mal trieben es die Langfinger besonders bunt: Im Messetrubel fiel es offenbar niemandem auf, daß vom Yamaha-Stand ganz locker ein Achtfachbrenner weggetragen wurde - am hellichten Tag. Ein Kopierer, Palmtops, Bonbongläser, Dekomaterial, Kulis samt Behältnis - wahllos wurde eingesackt, was nicht angebunden war. Und selten hörte man so viele Klagen über zu Bruch gegangene Exponate wie in diesem Jahr. "Eine solche Ansammlung von Raudis habe ich auf der Messe noch nie erlebt", wunderte sich ein kleinerer Aussteller, der eigentlich ein geschütztes Eckchen in Halle 12 erwischt hatte. Dort herrschte allerdings Ballermann-Stimmung. Monitore, Glaskästen, gleich ein halber Stand wurden dort demoliert.

Auch bei "Türstehern", also Messepersonal, das die Eintrittskarten bei Standparties kontrolliert, stieg der Adrenalinspiegel zusehends. Wie bei Compuserve, beispielsweise: "Mir wurde hier schon massiv mit Prügel gedroht, weil ich jemanden ohne Ticket nicht reinlassen wollte", schüttelt sich ein junger Mann am Stand des Online-Services. "Das wird alles zu viel und zu eng", beschwert sich denn auch der Geschäftsführer eines PC-Herstellers und freut sich über sein stilles Kämmerlein am Messestand.

Er hat - wie so viele andere Hersteller - aus diesem Grund sein Feten-Budget drastisch gekürzt. Die Abendveranstaltungen werden von Vertriebspartnern und Kunden gleichermaßen geschätzt, schließlich ergeben sich in feucht-fröhlicher Runde oft Geschäftsmöglichkeiten und Kontakte über die eigenen regionalen Grenzen hinaus. Aber: "Das trifft heute kaum noch zu", ärgert sich der Vertriebsmann eines PC- und Notebook-Anbieters. "Die Leute rennen erst zu der einen Veranstaltung, wenn sie da nichts mehr kriegen, zur nächsten - die wissen doch gar nicht mehr, bei wem sie da eingeladen sind." Im nächsten Jahr, so hat er sich vorgenommen, will er eine "Händlerveranstaltung im kleineren Kreise mit handverlesenen Einladungen" veranstalten - außerhalb der Messe. Denn auch Messeparties verabscheut er. "Da kommen dann die Abstauber: Keine Einladung, aber ein leeres Glas in der Hand. Und läßt man sie rein, kommen sie zwei Minuten später mit zwei Flaschen Wein wieder raus", beschreibt er die neuen Gepflogenheiten des Publikums.

Wirklich ernst wird es beim Verkehr: Nichts geht mehr

Eindeutig unspaßig aber wird die Situation, wenn es um die Verkehrsanbingung geht. Auch wenn das Radio täglich das neue Verkehrsleitsystem bejubelte - die meisten Messebesucher mit Auto schimpften über eine fast zweistündige Anfahrt - und das für zumeist nicht mehr als zehn Kilometer. Muffelige Parkplatzwächter leiteten die Anfahrenden ins Nirwana, wo sie dann Mühe hatten, einen Shuttlebus zum Messeeingang zu finden. "Ich bin niemals da gelandet, wo ich hinwollte", erboste sich ein schwerbepackter Aussteller. "Auch wenn an der Messe noch genügend Parkplatz war - ich wurde in die Pampa geschickt!".

"Nichts geht mehr!" hieß es denn auch beispielsweise an einigen Messeständen, auf denen die Mitarbeiter zum allmorgendlichen "Briefing" zu spät und ziemlich aufgelöst erschienen. "Das kann nicht nur an den Feten liegen", zeigte sich ein Aussteller in Halle 13 verständnisvoll. Und nach dem Stromausfall, der am ersten Messetag das U-Bahnsystem lahmlegte, konnte er seine Mitarbeiter noch nicht mal guten Gewissens in die öffentlichen Verkehrsmittel schicken. "Hier funktioniert doch nichts: weder das Leitsystem noch die öffentlichen Verkehrsmittel. Und haben Sie schon versucht, ohne Androhung von Mord bei Regen ein Taxi zu bekommen? Ich frage mich, wie die das zur Expo hinbekommen wollen." Sein Fazit: "Ich wage gar nicht zu hoffen, daß die nächste Cebit in Leipzig stattfindet - da will doch niemand hinterher wieder hierhin zurück." (du)

Cebit 99: Es wurde gedrängelt, gerauft und geklaut wie nie zuvor.

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