Schwerwiegende bedenken lÄhmen entwicklung

26.11.1998

München: Eigentlich ist es so wie immer - Deutschland hinkt der weltweiten Entwicklung wieder einmal hinterher. Während in Großbritannien fast jeder sechste Erwerbstätige zumindest teilweise seinen Job vom heimischen Wohn- oder Arbeitszimmer aus verrichtet, beträgt der Anteil an Telearbeitern hierzulande gerade einmal 2,4 Prozent.Betrachtet man die Gesamtzahl der eingerichteten Plätze, so liegt Deutschland mit 800.000 Telearbeitsplätzen immerhin an vierter Stelle - hinter den USA (11,1 Millionen), Großbritannien (vier Millionen) und Kanada (1,1 Millionen). Der prozentuale Anteil der Telearbeiter an der Gesamtzahl der Erwerbstätigkeiten ist jedoch äußerst gering und läßt uns auf den vorletzten Platz abrutschen, weit hinter Irland, Finnland oder Norwegen.

Wieder einmal droht eine Entwicklung an uns vorbeizugehen, wieder einmal wird in diesem unserem Lande mehr diskutiert als agiert. "In Deutschland wird lange diskutiert und theoretisiert, bevor der erste Telearbeitsplatz geschaffen wird", mußte denn auch Birgit Godehardt, Geschäftsführerin der TA Telearbeit GmbH, eingestehen.

Europäischer Markt wächst

Schenkt man den Schätzungen des Marktforschungsinstituts International Data Corporation (IDC) Glauben, so werden die Ausgaben für das Büro zu Hause in Europa bis zum Jahr 2000 auf rund 45,9 Milliarden Dollar wachsen. Dabei wird ein beträchtlicher Teil der Investitionen auch auf Telearbeitsplätze entfallen, rechneten die Analysten vor, die sich vor allem auf entsprechende Erfahrungen im amerikanischen Markt stützen.

Obwohl die Zahl der Haushalte in Europa um gleich 50 Prozent höher ist als in den Vereinigten Staaten, ist der Home-Office-Markt erst halb so groß - ausreichendes Geschäftspotential also für VARs und Händler, die Überzeugungsarbeit bei Geschäftsführern und Controllern leisten wollen.

Dabei müssen sie keineswegs befürchten, daß ihnen die Argumente ausgehen. Gründe für diese alternative Arbeitsform gibt es in Hülle und Fülle. Auch das Einsparpotential, das sich aus konsequenter Nutzung der Telearbeit ergeben kann, ist enorm. So können nach Schätzungen aller führenden Unternehmensberater je nach Branche und Struktur des Unternehmens bis zu 80 Prozent der Raumkosten, bis zu 70 Prozent der Reisekosten, bis zu 40 Prozent der Kraftfahrzeugkosten und bis zu 60 Prozent der Personalkosten eingespart werden.

Der Computergigant IBM konnte durch die Einrichtung von Telearbeitsplätzen (und Entlassungen) die Bürofläche seiner Firmenzentrale um rund 50 Prozent reduzieren und auf diese Weise enorme Kostenreduzierungen verbuchen.

Wachstum aus dem Wohnzimmer

Vor allem in ländlichen Gegenden kann Telearbeit die Beschäftigungsquote verbessern. Abseits der großen Ballungszentren tun sich viele Unternehmen schwer, geeignete und qualifizierte Mitarbeiter zu finden, die den "Umzug in die Pampa" nicht scheuen.

Die Europäische Union fand heraus, daß 97 Prozent ihrer Bürger unwillig sind, den Wohnort zu wechseln, selbst wenn ein Umzug zu einer dauerhaften Beschäftigung führen könnte. Telearbeit kann hier für Unternehmer wie Arbeitnehmer ein interessanter und auch lukrativer Weg aus diesem Dilemma sein.

Vor allem Versicherungen, Banken und Dienstleistungsunternehmen jeder Art werden nach Einschätzung der Marktforscher zukünftig auf die Telearbeit setzen. Viele Buchhalter, Konstrukteure, Sachbearbeiter und EDV-Spezialisten arbeiten bereits heute zwischen Sofa und Eßtisch und wählen sich via Remote Access in die Firmendatenbank ein.

Die Telearbeit bisher nicht entdeckt haben landwirtschaftliche Betriebe oder das Baugewerbe. Aber auch private Dienstleistungsunternehmen haben erheblichen Nachholbedarf, ermittelten die Forscher des Fraunhofer Instituts.

Dabei muß Telearbeit nicht gleichbedeutend mit dem Verzicht aufs Büro sein. Die meisten Unternehmen bevorzugen die sogenannte alternierende Telearbeit. Der Mitarbeiter pendelt hierbei zwischen den Schreibtischen in Wohnung und Büro und wird sukzessive an die neue Arbeitsform herangeführt. Seine Ansprechpartner und sozialen Bindungen bleiben auf diese Weise (zunächst) erhalten. Vor allem Führungskräfte schwören auf diese Methode und ziehen sich immer häufiger in die eigenen vier Wände zurück. Fernab nervender Kollegen und Mitarbeiter, ständig schrillender Telefone und nie enden wollender Meetings können sie kreativ tätig sein. Amerikanische Studien weisen bis zu 20 Prozent höhere Produktivität bei den Heimarbeitern aus, nicht zuletzt deshalb steuern bereits 90 Prozent aller amerikanischen Manager den heimischen Schreibtisch an, wollen sie kreativ und produktiv sein.

Formen der Telearbeit

Wer über keine geeigneten Räumlichkeiten verfügt oder damit rechnen muß, durch seine Lieben permanent gestört zu werden, braucht nicht zwangsläufig auf die Telearbeit zu verzichten.

Telearbeiter und Unternehmen können zwischen vier Grundformen der Telearbeit wählen:

- Bei der Teleheimarbeit verrichtet der Mitarbeiter seine Tätigkeit grundsätzlich von zu Hause aus und sucht nur in Ausnahmefällen (Besprechungen neuer Projekte und Aufgaben, gemeinsame Abschlußarbeiten, etc.) das Büro oder die nächste Niederlassung des Unternehmens auf.

- Bei der alternierenden Telearbeit pendelt der Mitarbeiter zwischen dem heimischen Schreibtisch und seinem Arbeitsplatz im Büro. So ist er beispielsweise an zwei oder drei Tagen im Unternehmen tätig, die übrige Zeit arbeitet er in den eigenen vier Wänden.

- Die mobile Telearbeit ist heute schon sehr weit verbreitet, ohne daß sie als solche erkannt wird. Der Mitarbeiter gibt seine Daten wahlweise von zu Hause, vom Hotel, vor Ort beim Kunden oder Lieferanten oder in einer Filiale des Unternehmens ein. Diese Form der Telearbeit wird bereits intensiv von Außendienstmitarbeitern (z.B. Versicherungen, Kundenberater) und Servicetechnikern genutzt.

- Telearbeitszentren werden meist in strukturschwachen Gebieten fernab der Unternehmenszentrale eingerichtet, um auch entfernt wohnenden Mitarbeitern ohne ein Home Office Telearbeit zu ermöglichen. Wird das Zentrum ausschließlich durch eigene Mitarbeiter genutzt, so spricht man von einem Satellitenbüro. Ein Telearbeitscenter kann auch mehreren Unternehmen Dienstleistungen anbieten, die entweder von freiberuflichen Kräften oder festangestellten Mitarbeitern des Telearbeitscenters erbracht werden.

Den kaum bestrittenen Vorteilen der Telearbeit stehen aber auch eine ganze Reihe schwerwiegender Bedenken gegenüber (siehe Kasten auf Seite 37). So befürchten Rechtsanwälte und Personalchefs Probleme bei der Verrechnung der (Über-) Stunden. Die Kontrolle der Mitarbeiter und der Effizienz ist eine der zentralen Anforderungen, die an das Management des Unternehmens zu stellen sind.

Eine unter Telearbeitern durchgeführte Befragung förderte ein ganz anderes Problem zutage. So werden die Aufstiegschancen der in den eigenen vier Wänden arbeitenden Mitarbeiter sehr kritisch beurteilt. Der tägliche Kontakt zum Chef, waren sich die Teleworker einig, verbessere die Chancen auf Beförderung. Was jedoch nicht immer richtig sein muß. (uk)

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