Selbst Musterknaben fallen derzeit bei den Analysten in Ungnade

21.06.2001
Die Telekom- und Internet-Ausrüster stehen an der Börse unter Druck. Mangels ausreichender Perspektiven bleiben die Kurschancen der ehemaligen Börsenstars zunächst bescheiden.

Bis Mitte vorigen Jahres wurde den Unternehmen, welche die Infrastruktur besorgen, an der Börse eine glänzende Zukunft vorhergesagt. Die Zuwachsraten waren über Jahre hinweg so außergewöhnlich gewesen, dass ein längerer Kursknick unmöglich erschien. Inzwischen weiß man, dass manche Prognose von früher heute wie aus der Luft gegriffen wirkt. Alcatel, Ericsson, Nokia, Cisco, Lucent und Nortel notierten vor Jahresfrist im Schnitt rund 70 Prozent höher als jetzt. Die US-Investmentbank Merrill Lynch umschreibt die Situation vorsichtig mit "Übergangsjahr".

Erneute Umsatz- und Gewinnwarnungen erscheinen nicht ausgeschlossen. Die Telekommunikationsbranche und die Internet-Pro- vider verdienen schlecht, und der Mobilfunk taugt nur noch bedingt als große Wachstumsstory. Zwar soll die Konjunktur bald wieder anspringen. Aber in welchem Umfang die Ausrüster davon profitieren, bleibt vorläufig offen. Die Nachfrage in den wichtigen Bereichen der Telekommunikation und der Datenverarbeitung ist nicht gesättigt, und der Aufbau der nächs-ten Mobilfunkgeneration verlangt hohe Investitionen. Nur will und kann das gegenwärtig niemand bezahlen. Hohe Verschuldung und die notwendige finanzielle Konsolidierung haben niedrigere Investitionen zur Folge. Sicher haben die Netzwerker-Kurse nach den riesigen Verlusten Erholungspotenzial. Auf die voraussichtliche Ertragssituation umgerechnet sind die Aktien beim gegenwärtigen Niveau jedoch keineswegs billig.

Cisco will nach Bereinigung wieder alte Stärke erreichen

Selbst auf Börsenliebling Cisco sind Anleger und Analysten derzeit schlecht zu sprechen. Grund: ständig wechselnde Äußerungen zur Entwicklung. Zunächst fallen Abschreibungen von mehr als drei Milliarden Dollar an. Im dritten Geschäftsquartal ist Cisco in die roten Zahlen gerutscht. Es ist der erste Nettoverlust in der Geschichte des größten Netzwerkers. Der Gewinn pro Aktie für das laufende Jahr wurde auf 38 Cent reduziert, für das kommende auf 24 Cent. So wird das Papier zurzeit mit dem sehr stolzen 50fachen KGV bewertet, auf 2002-Basis sogar mit dem 80fachen. Positiv: Cisco Systems wird nicht nur den harten Wettbewerbs- und Margendruck überstehen, sondern aus der aktuellen Bereinigungsphase gestärkt hervor- gehen. Erfahrungsgemäß gewinnen marktdominierende Gesellschaften in schwachen Zeiten über- proportional Marktanteile hinzu. Cisco hat bei Routern und Switches einen Marktanteil von mehr als 60 Prozent. Mit seinen Geräten und Systemen sorgt es für den Betrieb von etwa 80 Prozent des Internet.

Mit verschiedenen Trümpfen aufwarten kann der französische Alcatel-Konzern. Der Geschäftsbereich Netzwerke hat um 57 Prozent auf 7,4 Milliarden Euro Umsatz zugelegt, die Sparte Optics (optische Glasfasern) um 41 Prozent auf 7,1 Milliarden Euro. Der Konzern ist führender Ausrüster für die neue UMTS-Technologie und Weltmarktführer in der DSL-Technologie für das Festnetz, das an Thomson Media verkauft werden soll. Die Handy- Produktion wird aufgegeben.

Für den Rest des Jahres ist Alcatel-Chef Serge Tchuruk nach den kürzlich gemeldeten drei Milliarden Euro Sonderabschreibungen - eine Art Großreinemachen - zurückhaltend. Die Aktie ist vergleichsweise billig. Geplatzt ist die Fusion mit dem lahmenden US-Netzwerker Lucent Technologies. Der Lucent-Kurs hat trotzdem profitiert, weil der Kaufbetrag für das Unternehmen, umgerechnet auf den Aktienkurs, einen Preis von 12 bis 14 Euro bedeutet hätte. Derzeit notiert Lucent bei neun Euro je Aktie - und gilt weiter als Übernahmekandidat. Die gesamte Branche ist derzeit von Gerüchten geprägt.

Trotz umfangreicher Kostensenkungen wird Lucent bei rückläufigem Umsatz im laufenden Geschäftsjahr einen Verlust ausweisen. Die vergangenen Quartale waren die schwierigsten seit der Abtrennung von AT&T im April 1996. Infolge des unergiebigen Börsenumfeldes brachte der Börsengang der Tochter Agere (Halbleiter und optische Komponenten) nur 4 anstatt 16 Milliarden Dollar in die Kasse. Die meisten Analys-ten sind wegen "der kurzfristig hohen Unsicherheit" skeptisch gestimmt, andere raten zu spekulativen Käufen.

Vergleichsweise bescheidene Perspektiven bietet Nortel. Für das jetzige Quartal und das gesamte Geschäftsjahr möchte der führende Hersteller von Glasfaser-Equipment zurzeit keine Prognosen abgeben. Im Finanzjahr 2002 wurden zunächst ein Umsatz von 31 Milliarden (vorher 32 Milliarden) und ein unveränderter Gewinn pro Aktie von 60 Cent in Aussicht gestellt. Langfristig sei die Aktie ein Kauf, vorläufig eilte es damit jedoch nicht, heißt es allenthalben.

Auf TK-Primus Nokia kommt Wachstumsstopp zu

Handy-Primus Nokia verdiente bislang recht gut. Am Dienstag vergangener Woche brach der Kurs jedoch binnen eines Tages um fast 20 Prozent ein, nachdem die Finnen eine Gewinnwarnung veröffentlicht hatten. Der vorherige Kurs unterstellte, dass das Unternehmen bis 2006 jeweils um mehr als 20 Prozent wächst und die Marge gleich bleibt. Die Einbußen beim Handy-Geschäft dürfte der Zuwachs bei den Netzen nicht ausgleichen. Das Konsumgut Handy zu verkaufen erfordert überdies andere Strategien und Fertigkeiten als eine komplexe Infrastruktur aufzustellen.

Ericcson gibt die Handy-Sparte an Sony ab. Die Schweden konzentrieren sich auf das, "was sie am bes-ten können", so Experten, nämlich technische Lösungen austüfteln. Sony versteht die Kunden, Ericsson bringt Technologie und die Vertriebswege in Europa ein. Aber was dann, wenn die Infrastruktur zur dritten Mobilfunkgeneration fertig ist? In Anbetracht sinkender Margen werden die Aussichten des Konzerns zunehmend kritischer gesehen. Der Wettbewerb in der Netzinfrastruktur ist ohnehin bein- hart.

Siemens hat im hart umkämpften Markt der Mobilfunktechnik zur Aufholjagd angesetzt und konnte sich mit 17 abgeschlossenen Lieferverträgen für UMTS-Netze in der Spitzengruppe der großen Netzanbieter wie Nokia, Ericsson und Nortel etablieren. Der Testbetrieb des kommerziellen UMTS-Netzes auf der britischen Isle of Man verläuft aber anscheinend unbefriedigend. Der Aktienkurs leidet unter der schwachen Handy-Sparte, und auch das Chip- und Bauelemente-Geschäft (Infineon und Epcos) lässt derzeit zu wünschen übrig. (kk)

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