Selbstbedienung im Kalkwerk

14.10.2004
Das Toll-Collect-Projekt von Daimler-Chrysler und T-Systems harrt immer noch seiner Vollendung, dabei bietet der Markt bereits seit langem videogestützte Lkw-Überwachungsanlagen an. Ein Beispiel hierfür liefert das System der Mobotix AG bei der Rheinkalk GmbH. Von ComputerPartner-Redakteur Dr. Ronald Wiltscheck

Selbstbedienung kommt immer mehr in Mode, der Beruf des Tankwarts ist so gut wie ausgestorben, Geldautomaten helfen, Personal in Bankinstituten einzusparen. Auch Lkw-Fahrer werden künftig auf eine persönliche Ansprache beim Beladen ihrer Brummis wohl vergeblich hoffen.

Realität ist dies bereits bei dem Kalkwerk Flandersbach der Rheinkalk GmbH (www.rheinkalk.de). Dort werden die Lastwagen nicht nur automatisch mit Kalk beladen, sondern auch maschinell abgefertigt. Möglich macht dies die Videoüberwachung von Mobotix (www.mobotix.de) im Zusammenspiel mit der Versand-system-Software "VAS" von Fritz und Macziol (www.fum.de).

Langjährige Kundenbeziehung

Das erste Mal kontaktierte die Rheinkalk GmbH das Systemhaus 1997. Man wollte nämlich die Preise für Kalkerzeugnisse stabil halten, um im globalisierten Markt wettbewerbsfähig zu bleiben. Denn in der Grundstoff- und Schüttgutindustrie gilt genauso wie in anderen Branchen das Prinzip "mehr Leistung mit weniger Mitarbeitern". Automatisierungslösungen waren hier also gefragt.

Da traf es sich gut, dass Fritz & Macziol in der Branche als Spezialist für Logistik-Automation angesehen ist. Die Nummer 23 des ComputerPartner-Rankings (www.computerpartner.de/compact) der größten Systemhäuser Deutschlands sollte demnach der Rheinkalk GmbH bei der Reduzierung von Kosten bei der Verladung von Kalk helfen.

Am Anfang dieses Auftrags untersuchte Fritz & Macziol alle zehn Werke des Kalkherstellers auf Rationalisierungspotenzial. Diese detaillierte Studie nahm insgesamt ein Jahr in Anspruch. Der eigentliche Projektstart erfolgte dann 1998. Etwa fünf Monate dauerte es, bis die zu entwickelnde Middleware VAS fertig gestellt war. Unmittelbar darauf stattete das Systemhaus die einzelnen Kalkwerke mit der eigenen Versand-System-Software nach und nach aus. Selbstredend gingen damit auch Hardware-Anschaffungen einher. Und die Ulmer installierten nicht nur die Software, sondern sie leisten auch den Support für die Komplettsysteme. Die Basisimplementierung dauerte durchschnittlich etwa fünf Monate pro Werk.

Versandsystem von Fritz & Macziol

Entwickelt wurde die Java-basierte Software VAS mit dem Ziel, eine Standardlösung zur Automation und Absicherung aller Versand- und Anliefervorgänge in der Grundstoff- und Schüttgutindustrie zu schaffen. Aufgrund ihres modularen Charakters lässt sich VAS in die werkspezifischen Umgebungen integrieren.

Im Werk Flandersbach der Rheinkalk GmbH verknüpft das Versandsystem zum Beispiel die Waagen an den Anlieferungsrampen mit der ERP-Software, in diesem Fall ist es eine SAP-Lösung. Ferner erhält VAS Daten von der Silosteuerung und von den Terminals, wo sich die Lastwagenfahrer identifizieren müssen. All diese Informationen fließen zu einem der zwei Windows-2000-Servern, auf welchen die Software der Ulmer installiert ist.

Die Mitarbeiter in der Buchhaltung bekommen alle für den Verladevorgang relevanten Daten in einer Bildschirmmaske übersichtlich präsentiert: Name des Empfängers, Lieferscheinnummer, Gewicht der Ladung, Abfahrtszeit und so weiter. Diese Informationen wiederum wandern anschließend in das ERP-System des Kunden.

Einloggen mit ID-Karten

Die Software von Fritz & Macziol hilft den Kalkwerken Personal einzusparen. Denn nun erfolgt der Verlade- und Abwiegevorgang vollautomatisch - theoretisch auch nachts und am Wochenende. Der Lastwagenfahrer steuert einfach ein Silo an und beginnt mit dem Beladen seines Fahrzeugs. Hierzu loggt er sich an dem dort angebrachten Terminal mit seiner ID-Karte im Scheckkartenformat ein.

Das System erkennt danach, ob er das richtige Silo angewählt hat und beginnt mit dem Beladen. Eingeschüttet wird nur die vom Auftraggeber vorgegebene Kalkmenge. Versuche, andere Volumina oder Produkte aufzunehmen, werden automatisch abgewiesen. Sollte der Lkw-Fahrer aus Versehen einmal das falsche Silo anwählen, wird der Ladevorgang erst gar nicht gestartet.

Videokontrolle

So ganz sicher erschien dieses Verfahren aber der Rheinkalk GmbH noch nicht. Die ID-Karte könnte missbraucht und etwa von anderen Fahrern als den beauftragten benutzt werden. Als Beweis für einen ordnungsgemäß durchgeführten Ladevorgang benötigt das Kalkwerk nämlich aussagekräftige gerichtsverwertbare Bilder des Lkws und seines Führers.

Deswegen entschloss sich der Kunde, Videokameras einzusetzen. Das Werk Flandersbach bestellte zwei netzwerkfähige Kameras der Firma Mobotix AG. Dabei handelt es sich um mit Weitwinkel- und Teleobjektiv ausgestattete Geräte des Typs "M1M-IT Dual" zum Stückpreis von 1.100 Euro netto.

Die Integration der damit geschossenen Bilder in das Versandsystem war dann nicht weiter schwierig: VAS verfügt über eine spezielle Visualisierungsfunktion. So wird nun im Werk Flandersbach jedes Fahrzeug, das auf der Waage hält, fotografiert. Das Foto wird anschließend mit Angaben wie Kfz-Kennzeichen, Datum und Uhrzeit ergänzt, mit den auf der ID-Karte enthaltenen Daten verknüpft und an das Versandsystem übermittelt. Dort landet das Foto dann automatisch in dem Ordner, der dem gewünschten Auftrag entspricht. Nun werden dem Ganzen der Kundenname, die Lieferscheinnummer und weitere Informationen zugeordnet. Gleichzeitig war damit die Überwachungslücke geschlossen: "Es lässt sich nun sehr schnell feststellen, wann welcher Lkw von welcher Spedition welche Menge von welchem Produkt aus dem Werk abtransportiert hat. Unstimmigkeiten können so direkt geklärt werden", zieht Karl-Otto Geruhn, Versandleiter im Werk Flandersbach, sein persönliches Fazit.

Wetterfeste Kameras

Die Einbindung der Überwachungskameras in die IT-Infrastruktur des Kalkwerks Flandersbach gestaltete sich ebenfalls relativ unproblematisch, da die Mobotix-Geräte standardmäßig mit einem eigenen PC ausgerüstet sind. Dieser wertet die Bilder bereits selbst aus, speichert und verwaltet sie - entweder intern oder der PC sendet die Fotos eigenständig zum Server. Um Netzwerkkapazitäten zu sparen, lassen sich die Kameras so programmieren, dass sie nur bei bestimmten Ereignissen ein Bild schießen und es weiterverschicken. Im Falle der Rheinkalk GmbH ist eben der Stopp des Lkws auf einer Waage ein solches Verschluss lösendes Ereignis.

Der Sachbearbeiter kann die Aufnahmen über jeden Standard-Browser abrufen. Auch die Administration der Geräte erfolgt via Web. Dies ist ohne weiteres möglich, da jede Kamera mit eigener IP-Adresse ausgestattet ist. Da kann sich sogar der Dienstleister aus Ulm einwählen und bei Bedarf das System neu konfigurieren. Für die Geräte der Kaiserslauterer spricht auch deren Robustheit. "Durch ihre Wetterfestigkeit sind diese Kameras gerade für die raue Umgebung eines Steinbruchbetriebes sehr gut geeignet", so Klaus Jordan, bei Fritz & Macziol für Industrieanwendungen verantwortlicher Vertriebsleiter.

Schnittstellen-Problematik

Natürlich verlief die Implementierung der VAS-Software inklusive der Einbindung der Netzwerkkameras nicht immer reibungslos. "Die größte Herausforderung bei diesem Projekt bestand darin, während der Systemumstellung und der Inbetriebnahme der Software das Tagesgeschäft des Kalkwerks nicht zu beeinträchtigen", erinnert sich Jordan.

Nicht zu unterschätzen war ferner die Problematik mit den Schnittstellen zur IT des Kunden, etwa zu seinem ERP-System. "Dort begegneten wir den meisten Hindernissen", so Jordan. Viele der Schnittstellenprobleme wurden bereits im Vorfeld im Rahmen der einjährigen Studie entdeckt, analysiert und gemeinsam mit dem Kunden gemeistert.

Durch die verschiedenen Geschäftsmodelle der zehn Werke ergaben sich vor Ort jedes Mal andere Voraussetzungen für die Integration der VAS-Software und der Netzwerkkameras. Verschickt ein Werk seine Güter ausschließlich mit Lkws, tut dies ein anderes nur per Bahn. Die unterschiedliche Ausstattung der Werke mit Waagen und Silos, aber auch mit IT-Infrastruktur, erforderte jedes Mal eine Anpassung des Versandsystems. Der Arbeitsaufwand variierte deshalb von Werk zu Werk recht stark.

"Durch die partnerschaftliche Beziehung zur Rheinkalk GmbH konnten wir aber diese Probleme gemeinsam meistern", verrät der Fritz-&-Macziol-Manager sein Erfolgsrezept beim Umgang mit Kunden.

Derzeit jedenfalls kommuniziert das Versandsystem einwandfrei mit der SAP-Software der Rheinkalk GmbH. "Manuelle Eingriffe sind nicht notwendig", so Jordan. Auch die Anzahl der Bedienfehler soll sich mittlerweile reduziert haben. Hier trägt wohl die fünftägige Schulung der Mitarbeiter im Werk Flandersbach durch Fritz & Macziol ihre Früchte. Aber auch die Lastwagenfahrer haben sich offenbar mit der neuen Technik und der Selbstbedienung angefreundet. Nur noch ganz wenige von ihnen benötigen Hilfe bei der Beladung seitens des Kalkherstellers.

Folgeprojekte in Sicht

Doch auch für das Systemhaus hat sich das Projekt gelohnt. So setzt Fritz & Macziol die Mobotix-Kameras inzwischen auch in den anderen neun Werken der Rheinkalk GmbH sowie bei weiteren Kunden aus der Grundstoff- und Schüttgutindustrie ein, aber auch innerhalb von Anwendungen fernab davon, zum Beispiel in der Baufortschritts-Dokumentation. Die langjährige Geschäftsbeziehung zu Rheinkalk konnte gefestigt und sogar ausgebaut werden. "Der Kunde selbst liefert uns Ideen, wie wir unser Versandsystem weiterentwickeln sollen, um es auf dem neuesten Stand der Technik zu halten," so Jordan gegenüber ComputerPartner. Dies könnte unter Umständen sogar dazu führen, dass VAS irgendwann auch branchenübergreifend eingesetzt wird.

Meinung des Redakteurs

Mit ungewöhnlichen Kombinationen oder in Nischenmärkten lassen sich auch in der derzeit schwierigen wirtschaftlichen Situation lukrative Projekte an Land ziehen, wie der vorliegende Bericht beweist. Wenn man auch dem Kunden hilft, seine internen Kosten in den Griff zu bekommen oder gar zu reduzieren, ist er eher für Nachfolgeprojekte zu begeistern.

Solution Snapshot

Kunde Rheinkalk GmbH; www.rheinkalk.de

Problemstellung Kalk soll mit weniger Personal verladen und per Lkw versandt werden

Lösung Software: Versandsystem VAS von Fritz & Macziol, Webbrowser Hardware: zwei M1M-IT-Dualkameras von Mobotix; Netzwerk: 100-MBit-Ethernet; Betriebssystem: zwei Windows-2000-Server, zehn Windows-2000- Clients; Terminals: vier Selbstbedienungseinheiten

Dienstleister Fritz & Macziol; www.fum.de

Hardware-Lieferant Mobotix AG; www.mobotix.de

Kontaktaufnahme Kundenbeziehung seit 1997

Projektablauf 1) Untersuchung der Gegebenheiten in den zehn Werken des Kunden, Dauer: ein Jahr; 2) Entwicklung der VAS-Middleware: fünf Monate; 3) Erstimplementierung: rund fünf Monate; 4) Erweiterungen um Zusatzmodule und Netzwerkkameras: zirka ein Monat

größte Herausforderung Aufrechterhaltung des Tagesgeschäfts während der Umstellung

unerwartete Schwierigkeiten Schnittstellen zur ERP-Software (SAP)

Projektaufteilung je ein Drittel für Hardware, Software und Dienstleistungen

Service- und Wartungsverträge Softwarepflege und Systemgarantie durch Fritz & Macziol für alle Werke

Schulung fünf Tage VAS-Schulung im Werk Flandersbach

Benefit für Kunden Kalkversand erfolgt weit gehend in Selbstbedienung; Abtransport auch außerhalb der Öffnungszeiten möglich; Reduktion der manuellen Fahrzeugabwicklung; automatischer Datenaustausch mit SAP ohne manuelle Eingriffe; weniger Fehlbedienungen; rechtliche Absicherung durch Kameraeinsatz

Benefit für den Dienstleister Ausbau der Geschäftsbeziehungen zum Kunden; VAS ist bei weiteren Kunden im Einsatz

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