Senioren entdecken das Internet

26.08.1999

MÜNCHEN: Das Bild von den alten Leuten, die mit sich und dem Leben abgeschlossen haben, gilt schon längst nicht mehr. Die Senioren werden immer aktiver. Jetzt haben sie auch noch eine Domäne entdeckt, die bis vor wenigen Jahren vornehmlich von Computerfreaks und Technikbegeisterten beherrscht wurde: das Internet. Industrie und Handel müssen sich darauf einstellen.Vor wenigen Wochen in Freiburg stieg eine 90jähige in einen doppelstöckigen Bus ein. Nicht aber etwa, um zu verreisen, sondern um an einem der sieben Plätze im Internet zu surfen. Seit Juni 1998 fährt das "Senior-Info-Mobil" durch die ganze Bundesrepublik, um Mitbürgern ab 50 das Internet und Rechnertechnologien nahezubringen. Auffällig ist, daß mindestens die Hälfte der Interessenten Frauen sind. Hauptveranstalter dieses wandelnden Internet-Cafés ist der Verein "Seniorinnen und Senioren in der Wissenschaftsgesellschaft" (VSIW) (www. iid.de/vsiw/index.html). Unterstützt wird die Initiative vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie sowie von der Deutschen Telekom, Microsoft, IBM und einer Reihe anderer Unternehmen. Bis März 2000 soll die Städtetour noch laufen.

In vielen Städten Deutschlands haben sich schon Ortsgruppen und Vereine gebildet, in denen Seniorinnen und Senioren einander helfen, sich mit den neuen Technologien vertraut zu machen. Der frühere Arzt Richard Dammann, Mitbegründer des Freiburger Seniorentreff.de, hält es für richtig, zunächst "einen lokalen Grundstock zu bilden", bevor ein überregionales Angebot geschaffen wird. Gerade ältere Leute suchen und brauchen die Nähe zu ihrem sozialen Umfeld. Die Vereinsatmosphäre sei für sie sehr wichtig. Treffpunkt der Freiburger Gruppe ist ein Internet-Café. Ideal findet Dammann das nicht. Denn viele Senioren müssen sich schon überwinden, in ein Lokal zu gehen, das vom Stil, der Musik und der Einrichtung her junge Leute anzieht. Ein Angebot nur für ältere Surfer gibt es aber noch nicht. So bleibt den weniger Betuchten nur, sich unters Jungvolk zu mischen.

Vorbild vieler Senioren-Internet-Gemeinden hierzulande sind die "Silversurfer", wie nordamerikanischen Webfans über 50 ihrer Haarfarbe wegen liebevoll genannt werden. In manchen Regionen erreicht ihre Zahl schon 10 bis 15 Prozent aller Bürger, die vor 1950 geboren sind. In Deutschland belaufen sich die Schätzungen auf zwischen weniger als ein und fünf Prozent. Auf die Frage, ob es an den höheren Gebühren und an dem vom Nachkriegssyndrom geprägten Sparsinn vieler älterer Mitbürger liegt, gerät der 71jährige Dammann in Fahrt: "Sprechen wir es doch aus. Viele Senioren sind aus falschem Erbzwang heraus einfach zu geizig, um sich etwas zu gönnen. Menschenskind, verjubeln sollen sie's, was sie sich so mühsam erarbeitet haben!"

"Silversurfer" und Seniorennet.de

Nach dem Muster des 30.000 Mitglieder zählenden amerikanischen Seniornet (.com) ist in deutschen Städten das Seniorennet.de entstanden. Es veranstaltet Computerkurse, die von Senioren betreut werden und hilft älteren Mitbürgern bei der Kaufentscheidung.

Ein beliebter Seniorentreff ist auch Feierabend.com, der verschiedene themenbezogene und freie Chaträume bietet. "Ab 18 Uhr geht es da richtig zur Sache", freut sich Andreas Risch von Initiator Wild Internet Solutions. Die Scheu vor der Anonymität des Internets verliere sich schnell. Befragt, was die Industrie tun könne, um den älteren Mitbürgern den Umgang mit dem Computer zu erleichtern, weist Risch auf den Alterssimulator der Saarbrückener Firma Meyer-Hentschel hin. Der vermittelt durch Bleigewichte sowie durch eine künstliche Einschränkung der Hör- und Sehfähigkeit jüngeren Leuten den Eindruck, wie sie sich mit 70 fühlen werden. Verschiedene Hard- und Softwarehersteller haben bereits Interesse bekundet, um gezielt Anwendungen für Senioren entwickeln zu können. (kh)

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