Vorerst nur ein Papiertiger

Service-Joint-Venture von Microsoft und Accenture

Kommentar  14.02.2019
Peter Marwan lotet kontinuierlich aus, welche Chancen neue Technologien in den Bereichen IT-Security, Cloud, Netzwerk und Rechenzentren dem ITK-Channel bieten. Themen rund um Einhaltung von Richtlinien und Gesetzen bei der Nutzung der neuen Angebote durch Reseller oder Kunden greift er ebenfalls gerne auf. Da durch die Entwicklung der vergangenen Jahre lukrative Nischen für europäische Anbieter entstanden sind, die im IT-Channel noch wenig bekannt sind, gilt ihnen ein besonderes Augenmerk.
Anfang Februar wurde die Accenture Microsoft Business Group vorgestellt – geboren aus der Kooperation von Accenture, Microsoft und Avanade, einem im Jahr 2000 gegründeten Joint-Venture von Accenture und Microsoft. Der Schritt scheint jedoch nicht wesentlich besser geplant zu sein als der bevorstehende Brexit.

Accenture und Microsoft haben in Verbindung mit ihrem gemeinsamen Joint Venture Avanade eine Accenture Microsoft Business Group angekündigt. Sie soll die langjährige strategische Allianz auf eine neue Stufe heben, die aus der Kombination entstehenden Service-Fähigkeiten erweitern, weltweite Abdeckung bieten und die gemeinsame Lösungsentwicklung ermöglichen, um Kunden bei der digitalen Transformation in ihren jeweiligen Branchen zu helfen. Mehrheitlich im Besitz von Accenture, wurde Avanade im Jahr 2000 von Accenture und Microsoft gegründet.

Die Leitung der Accenture Microsoft Business Group obliegt Emma McGuigan, Senior Managing Director bei Accenture und über 20 Jahre in dem Beratungsunternehmen tätig.
Die Leitung der Accenture Microsoft Business Group obliegt Emma McGuigan, Senior Managing Director bei Accenture und über 20 Jahre in dem Beratungsunternehmen tätig.
Foto: Acenture

Die neue Organisation sei das "bislang umfangreichste Partner-Investment zur Nutzbarmachung von Microsoft-Technologie in Unternehmen", teilt der Konzern aus Redmond mit. Auf dem Erfolg von Avanade aufbauend, umfasse die neue Gruppe, die mehrheitlich zu Accenture gehört, über 44.000 qualifizierte Mitarbeiter. Sie sei damit die größte Gruppe von Microsoft-Experten weltweit.

Mit neuen, gemeinsamen Produkten und Services auf Grundlage der Microsoft-Cloud sollen Kunden in die Lage versetzt werden, die Beziehungen zu ihren Kunden zu gestalten, Mitarbeiter zu befähigen, Prozesse neu zu denken und neue Produkte und Services zu erfinden. Falls Sie bis hierhin immer noch nicht genügend Buzzwords und Wendungen gelesen haben, die mindesten einen Fünfer im Phrasenschwein wert sind, dann können Sie sich die Pressemeldung hier komplett im Wortlaut durchlesen.

Die einzigen beiden substanziellen Informationen, die Sie dort finden werden sind, dass sich die neue Gruppe auf die Unterstützung von Kunden bei der Migration zu Microsoft Azure, die Nutzung von Microsoft Dynamics 365 sowie die Einführung von Microsoft 365 konzentrieren wird sowie dass sie von Emma McGuigan, Senior Managing Director bei Accenture, geleitet wird. McGuigan ist seit über 20 Jahren in verschiedenen Führungspositionen in technologieorientierten Bereichen bei Accenture tätig. Sie dürfte also alle Tricks und Kniffe kennen, die man bei einer Beraterfirma kennen muss.

Viele offene Fragen zur Accenture Microsoft Business Group

Überspitzt könnten böse Zungen behaupten, die Accenture Microsoft Business Group sei eine Art Drückerkolonne für Microsoft-Produkte im Enterprise-Bereich. Und statt an alleinstehende ältere Herrschaften Kreditkartenverträge oder günstige Mobilfunk-, Strom- und Gastarife zu vermitteln, werden an verzweifelte Chef-Etagen, die sich vor der digitalen Transformation fürchten, Microsoft-Services vermittelt. Und ab und zu kommt noch ein bisschen Co-Innovation dazu - falls der verzweifelte Traditionskonzern sich gar nicht anders zu helfen weiß.

Das wären natürlich unbegründete Behauptungen missgünstiger Zeitgenossen. Aufklärung über die wahre Funktion, die regionale Aufstellung und die mittelfristigen Pläne der Accenture Microsoft Business Group bekommt man bestimmt auf Anfrage. Also haben wir bei Accenture und bei Avanade nachgefragt, wer den Bereich hierzulande leitet, wie viele Mitarbeiter er hat und wann es mit der Transformationshilfe für die deutsche Industrie losgeht. Auch ob man bereits aus der früheren, engen Kooperation von Accenture und Microsoft beziehungsweise Avanade und Microsoft einige Projekte mit Referenzkunden nennen kann, die zeigen, in welche Richtung die erweiterte und erneuerte Kooperation geht, hat uns interessiert.

Keine Auskunft ist auch eine Auskunft

Schließlich waren Accenture und Avanade in den 18 Jahren des Bestehens ihres Joint Ventures 14 Mal Microsoft Alliance Partner of the Year. In den vergangenen elf Jahren waren sie es sogar durchgängig. Da sollte man doch auch hierzulande das eine oder andere Projekt erfolgreich über die Bühne gebracht haben - selbst wenn auf der Webseite von Avanade die Rubrik zu der erfolgreichen Allianz derzeit gerade "leider nicht gefunden" werden kann. Aber Fehlanzeige: Auf Anfrage rührte sich Avanade binnen einer Woche nicht.

Immerhin bei Accenture stießen wir auf ein offenes Ohr. Leider war nur das Ohr offen. Bei den Auskünften gab man sich eher zugeknöpft. Zu Mitarbeiterzahlen für einzelne Länder gebe man grundsätzlich keine Auskunft. Den Betrieb habe die Gruppe bereits aufgenommen. Sie werde von Emma McGuigan geleitet. Danke, das wussten wir schon aus der Pressemitteilung. Interessant wäre gewesen, wer hierzulande für die wichtigen Transformationsprojekte verantwortlich ist. Wer ist also der Prometheus, der dem im Dunkeln sitzenden deutschen Mittelstand von den amerikanischen Göttern das leuchtende Feuer der Microsoft-Cloud-Dienste bringt?

Der Held bleibt ungenannt. Die Gruppe habe ihren Betrieb gerade erst aufgenommen, da könne man keine weitergehenden Auskünfte geben. Im Wörterbuch "PR-Sprache-Deutsch" steht als Übersetzung für die Aussage "können keine weiteren Auskünfte geben" als Erstbedeutung: "Bei uns geht es drunter und drüber, die Verantwortlichkeiten sind völlig ungeklärt, jeder kämpft ums Überleben, respektive den Platz an der Sonne." Dafür haben wir natürlich Verständnis, wer will schon heute eine Person als Galionsfigur benennen, die morgen schon auf einem anderen Schiff segelt?

18 Jahre Arbeit für zwei Referenzkunden

Immerhin verweist man auf die langjährige gemeinsame Vergangenheit, in der man für über 4.000 Kunden auf der ganzen Welt mehr als 35.000 Microsoft-Projekte abgeschlossen habe. Leider ist davon keiner in Deutschland bereit, sich als Referenz nennen zu lassen. Von den 4.000 Kunden werden international lediglich der Brauereikonzern Carlsberg und die Canada Mortgage and Housing Corporation als "gute Beispiele für Unternehmen" genannt, "mit denen wir bei großen digitalen Transformationsprojekten zusammenarbeiten und weiterhin zusammenarbeiten werden".

Daraus zu schließen, bei mindestens 3999 anderen sei das Projekt in die Hose gegangen, wäre böswillig. Verwunderlich ist es aber schon, dass niemand bereit ist, der Öffentlichkeit mitzuteilen, wie clever er war, als er bei der digitalen Transformation frühzeitig auf die Unterstützung von Accenture und Avanade gesetzt hat. Auf der Website von Accenture finden sich immerhin noch Telefónica und die ÖBB Personenverkehr AG als Referenzen. Dabei ging es aber um die Kundenbetreuung, beziehungsweise den Aufbau von WLAN-Infrastruktur und der Website für den Fahrkartenkauf. Beide dürften daher zumindest nicht vorrangig zu den über 4.000 Kunden mit Microsoft-Bezug gehören.

"Mit digitalen Ressourcen und Expertise war Accenture ganz klar ein Katalysator für unsere digitale Strategie", lobt immerhin Mariano de Beer, Chief Commercial Digital Officer bei Telefónica. Wobei die Bezeichnung von Accenture als "Katalysator" nach einem Blick in Wikipedia auch aufhorchen lässt - bezeichnet der Begriff in der Chemie doch "einen Stoff, der die Reaktionsgeschwindigkeit durch die Senkung der Aktivierungsenergie einer chemischen Reaktion erhöht, ohne dabei selbst verbraucht zu werden." Aber sei´s drum...

Jeder tue, was er kann...

Unklar blieb nach der Anfrage auch die Aufgabenteilung zwischen der neuen Accenture Microsoft Business Group und dem im Microsoft-Geschäft etablierten Avanade. Die Pressemitteilung gibt dazu keine erhellende Auskunft. Auch auf Anfrage heißt es lediglich: "Die 35.000 Fachleute von Avanade werden weiterhin eine wesentliche Rolle spielen, wenn es innerhalb der Accenture Microsoft Business Group um Lösungsarchitekturen und Delivery geht. Im Kern konzentriert sich die Rolle von Avanade darauf, auf der Microsoft-Plattform sowohl Technologieexperte als auch führender digitaler Innovator zu sein." Wer danach beantworten kann, wie die Aufgaben verteilt sind, dem gebührt meine Hochachtung.

Als Fazit bleibt dem frustrierten Beobachter festzuhalten: Die ganze Accenture Microsoft Business Group ist derzeit nicht mehr als ein Papiertiger. Sie besteht nur auf dem Papier, sie agiert nur auf dem Papier. Die Mitarbeiter wissen offenbar nicht, was ihre eigentliche Aufgabe ist und wie die sich von ihrer bisherigen Tätigkeit unterscheidet.

Auch die Organisationsstruktur ist offenbar völlig ungeklärt. Da passt ins Bild, dass die Chefin Emma McGuigan die Gruppe aus dem Brexit-geschüttelten London leiten wird. Die Neugliederung der Accenture Microsoft Business Group scheint denselben Planungsprinzipien zu folgen wie der EU-Ausstieg der Briten. Die stützen sich offenbar auf Arbeiten von Henri Poincaré, Edward N. Lorenz, Benoît Mandelbrot und Mitchell Feigenbaum. Kenner wissen: Das sind die wesentlichen Denker, auf deren Werken die Chaosforschung basiert.

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