Setzt Deutschland den Vorsprung beim mobilen Internet aufs Spiel?

19.04.2001
Mobiles Internet - auf der Cebit in aller Munde gewesen - verspricht ein Wirtschaftszweig mit Zigtausenden von Arbeitsplätzen zu werden. Noch ist Europa gegenüber den USA im Vorsprung. Deutschland droht aufgrund mangelnder Flexibilität und fehlender Datenschutzgesetze jedoch, ins Hintertreffen zu geraten.

Vor dem Hintergrund mangelnder Flexibilität, fehlender Rahmenbedingungen und einer zu behäbigen Bürokratie hat Deutschland schon manchen Technologievorsprung verschlafen. So geschehen bei Faxgeräten, Siliziumtechnik und um ein Haar auch bei regenerativen Energien. Kein Wunder, dass viele Entwickler lieber nach Japan oder Amerika gehen, was sicherlich mit ein Grund dafür ist, dass es hierzulande an technischen Spitzenkräften mangelt. Der Deutsche Multimedia Verband (DMMV) sieht nun die Gefahr, dass Deutschland auch den Vorsprung beim mobilen Internet über WAP-Handy und PDA aufs Spiel setzt.

"Mit dem mobilen Internet sind wir in eine neue, revolutionäre Phase in der Entwicklung der mobilen Kommunikation eingetreten", erklärte DMMV-Präsident Rainer Wiedmann Anfang März in Berlin. "Es bietet Chancen zu einem neuen Wirtschaftszweig mit Zehntausenden von Arbeitsplätzen." Politik, Verwaltung und Teile der Wirtschaft brächten aber nicht die nötige Flexibilität und Willenskraft auf, um dieser Technologie in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen. Wiedmann zufolge ist das mobile Internet das erste Massenmedium überhaupt, das die Bezeichnung interaktiv verdiene. Wichtige Grundlage für die Entwicklung und den Betrieb von profitablen Dienstleis-tungen seien ortsbezogene Dienste (Location Based Services, kurz LBS) für Städteinformationen wie Wegbeschreibungen und Öffnungszeiten zu Lokalen, Schwimmbädern oder Kinos.

Grundvoraussetzung für den Durchbruch seien aber rechtliche Rahmenbedingungen für die Bereitstellung der Lokalisierungsdaten. Der DMMV fordert deshalb den Gesetzgeber auf, das Einwilligungsgesetz im Datenschutzrecht an die Möglichkeiten des mobilen Internets anzupassen. So sollte der Verbraucher grundsätzlich die Wahl haben, ob er entweder bis auf Widerruf generell lokalisiert werden darf oder bei jeder Nutzung nur mit seinem ausdrücklichen Einverständnis.

Auch der TÜV Rheinland/Berlin-Brandenburg beklagt einen unzureichenden Schutz von sensib-len Daten: "Erhebliche Mängel im Umgang mit persönlichen Daten und bei der Datensicherheit beeinträchtigen die Chancen der Zukunftsbranche E-Commerce", mahnt Michael Sorge von der TÜV-Akademie Rheinland. Das ASP Industry Consortium sieht sogar in ganz Europa erheblichen Nachholbarf. So fehle es in der EU an einem einheitlichen Gesetz und einer zentralen europäischen Aufsichtsbehörde für den Datenschutz.

I-Mode in Japan rüttelt an veralteten Tarifstrukturen

Neidvoll blickt die ganze Branche nach Japan, wo der GPRS-Vorläufer "I-Mode" mächtig Erfolge feiert. Mit über 20 Millionen Teilnehmern hat I-Mode in Japan innerhalb von zwei Jahren so sehr eingeschlagen, dass der Betreiber NTT Docomo den Paketdatendienst nun auch nach Europa tragen will. Einer der ersten europäischen Mobilfunkbetreiber, der bereits angebissen hat, ist E-Plus.

Wichtige Voraussetzung für die breite Akzeptanz des japanischen Internet-Paketdatendienstes war jedoch, dass dieser hoch subventioniert ist und mit der Umsatzbeteiligung der Diensteanbieter völlig neue Wege geht, um die Technologie mit Inhalten zu füllen. So geht auch die Forderung des DMMV an die Regulierungsbehörde, die Telefongesellschaften zu neuen Geschäftsmodellen zu bewegen, dergestalt etwa, dass die Diensteanbieter nach dem japanischen Vorbild an den Gesprächs-kosten beteiligt werden. Denn so Wiedemann: "Wenn die Anbieter wenig Geld verdienen, ist auch der entsprechende Dienstleistungsumfang gering. Lohnt es sich hingegen, Inhalte anzubieten, wird dieser Markt entsprechend wachsen."

Umsatzbeteiligung der Diensteanbieter darf aber nicht zu Lasten der Verbraucher gehen. Marcus Garbe, Leiter des DMMV-Arbeitskreises "Mobile Internet", sieht den neuen Mobilfunkstandard GPRS als ers-ten Schritt in die Zukunft des Mobilen Internet in Deutschland, moniert aber, dass die Preisgestaltung die breite Entwicklung von mobilen Dienstleistungen noch arg hemme. Preise von neun Pfennig pro WAP-Seite oder bis zu 69 Pfennig pro zehn Kilobyte seien schlicht und ergreifend "Summen, die der Nutzer nicht zu bezahlen bereit ist." Zum Vergleich: In Japan geben 48 Prozent der 18,8 Millionen I-Mode-Kunden nur rund drei Euro im Monat für die Nutzung von Mobile-Internet-Dienstleistungen aus. "Das sind", so Garbe, "die Bench- marks, an denen sich auch der deutsche Markt orientieren muss."

Bei aller Euphorie über die technischen Möglichkeiten der neuen mobilen Kommunikation haben Betreiber wie Hardware-Anbieter jedoch Zigmilliarden in GPRS und UMTS investiert. Damit sich diese Investitionen lohnen, ohne den Verbraucher durch zu hohe Gebühren abzuschrecken, muss - darin waren sich auf der Cebit alle einig - auch noch geklärt werden, wer was bezahlt. Denkbar wäre zum Beispiel, dass ein Online-Händler an den Gebühren für die Bestellung beteiligt wird. Ähnliche Überlegungen stellt auch IBM im Bereich Automotive an. Zeigt der Bordcomputer zum Beispiel bei Ebbe im Tank die nächste Füllstation an, wäre es denkbar, dass die jeweiligen Unternehmen eine Art Provision bezahlen müssen.

www.dmmv.de

ComputerPartner-Meinung:

Ein Grund, warum E- und M-Commerce nicht so recht vorankommen, sind sicherlich fehlende Garantien über einen wirksamen Datenschutz, aber auch der Preis. WAP, von vielen kurz als "Wait and Pay" belächelt, konnte sich bisher nicht durchsetzen, weil es zu langsam ist und kaum mit brauchbaren Inhalten gefüllt ist. Mit GPRS und UMTS eröffnen sich völlig neue Wege der mobilen Datenkommunikation. Damit sich die Milliardeninvestitionen rechnen und nicht verpuffen, müssen die Netzbetreiber und Diensteanbieter an einem Strang ziehen und sich auf neue Tarifstrukturen und Geschäftsmodelle einigen. Das darf aber nicht so weit gehen, dass alle Kosten auf den Verbraucher abgewälzt werden. Denn der ist, von einigen Yuppies abgesehen, nicht bereit, für die neuen Dienste viel mehr auszugeben als bisher. Insofern könnte sich der Abbau der Handy-Subventionen auch als kontraproduktiv erweisen. (kh)

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