Großer Lauschangriff

Silicon Valley wird zur Abhörzentrale

Kommentar  12.12.2019
Peter Marwan lotet kontinuierlich aus, welche Chancen neue Technologien in den Bereichen IT-Security, Cloud, Netzwerk und Rechenzentren dem ITK-Channel bieten. Themen rund um Einhaltung von Richtlinien und Gesetzen bei der Nutzung der neuen Angebote durch Reseller oder Kunden greift er ebenfalls gerne auf. Da durch die Entwicklung der vergangenen Jahre lukrative Nischen für europäische Anbieter entstanden sind, die im IT-Channel noch wenig bekannt sind, gilt ihnen ein besonderes Augenmerk.
Amazon, Google, Facebook und Microsoft versprechen uns allen mehr Komfort, wenn wir sie nur ein bisschen mithören lassen. Doch mit künstlicher Intelligenz und Respekt vor der Privatsphäre ist es längst nicht soweit her, wie uns die Konzerne glauben lassen wollen.

Sprachsteuerung, sprachgesteuerte digitale Assistenten und (manchmal "versehentlich" verbaute) dauerhaft aktivierte Mikrofone selbst da, wo sie nicht hingehören - alles zu unserem Besten: Damit wir passendere Werbung bekommen, einfacher Suchanfragen stellen, Bestellungen aufgeben, Musik abspielen und das Licht in einem Raum an- und ausschalten können, in dem wir gerade nicht sind.

Was zunächst nach einer netten Erleichterung im Alltag und einem erstaunlichen technischen Fortschritt aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als gigantisches, weitgehend rücksichtsloses und unmoralisches sowie allumfassendes Eindringen in unsere Privatsphäre. Denn wie Bloomberg jetzt in einem langen, lesenswerten Artikel dargelegt hat, setzt die Dienstbereitschaft der Geräte auf Zuruf ständiges Mithören unabdingbar voraus. Und selbst die größten und wertvollsten IT-Konzerne sind in Bezug auf Künstliche Intelligenz noch nicht so weit, dass sie sich ganz darauf verlassen können, sondern beschäftigen bei Subunternehmern Heerscharen von Mitarbeitern, die aufgenommene Audio-Schnipsel mithören und in Text umwandeln.

Viel wurde getan, um Nutzern Vertrauen in die mit Mikrofonen ausgestatteten Geräte zu geben, etwa eine "Aktivierung" simulierende Beleuchtung. Viel wurde aber auch getan, um zu verschleiern, wie die Geräte im Detail funktionieren.
Viel wurde getan, um Nutzern Vertrauen in die mit Mikrofonen ausgestatteten Geräte zu geben, etwa eine "Aktivierung" simulierende Beleuchtung. Viel wurde aber auch getan, um zu verschleiern, wie die Geräte im Detail funktionieren.
Foto: Zapp2Photo - shutterstock.com

Viele davon haben Gewissensbisse, nur wenige von ihnen setzen sich jedoch über die auferlegte Verpflichtung zum Stillschweigen hinweg. Den Konzernsprechern fällt das leichter: Sie wollten den Bloomberg-Journalisten Mark Bergen, Gerrit De Vynck, Natalia Drozdiak und Giles Turner weder Interviews mit den Verantwortlichen zu dem Thema vermitteln noch auf konkrete Fragen selbst antworten. Offenbar richten sie sich nach dem Motto "Reden ist Silber, Zuhören ist Gold".

Holpriger Start für smarte Sprachassistenten

Als Amazon 2014 den ersten Echo-Lautsprecher und den zugehörigen Sprachassistenten Alexa vorstellte, wurde die Kombination als AI-Meisterleistung beworben. Tatsächlich trugen jedoch Tausende Menschen dazu bei, dass die Maschine die Anweisungen verstehen und ausführen konnte. Damit wiederholte sich bei Alexa die Geschichte des Mitte des 18. Jahrhunderts vom österreichisch-ungarischen Hofbeamten Wolfgang von Kempelen konstruierten, vermeintlich ersten Schachroboters. Statt der Mechanik, die scheinbar die Züge auf dem Brett erdachte und ausführte, steckte auch dort ein Mensch dahinter.

Apple CEO Tim Cook bezeichnete Privatsphäre als "grundsätzliches Menschenrecht".
Apple CEO Tim Cook bezeichnete Privatsphäre als "grundsätzliches Menschenrecht".
Foto: Laura Hutton - shutterstock.com

2015 bezeichnete Apple CEO Tim Cook Privatsphäre als "grundsätzliches Menschenrecht". Damals verarbeitete Apple pro Woche über eine Milliarde per Siri übermittelter Sprachanfragen und bot die Möglichkeit, den Sprachassistent auf Dauerbetrieb zu schalten, statt ihn für jede Anfrage aktivieren zu müssen.

Trotz aller Beteuerungen, dass nur die für den gewünschten Dienst erforderlichen Audio-Passagen erfasst und bearbeitet würden, gibt es inzwischen genügend Belege dafür, dass auch vieles andere - wenn nicht sogar alles andere - erfasst und verarbeitet wird und Datenschutz und Privatsphäre dabei eine geringe Rolle spielen.

Sind Daten einmal erfasst, werden sie auch genutzt

Warum ist das so? Auch darauf gibt der Bloomberg-Bericht eine Antwort: Um einen halbwegs funktionierenden Dienst bereitstellen zu können, ist eine Unmenge an Sprachdaten erforderlich. Frühere Versuche, die "Künstliche Intelligenz" dahinter zu trainieren, indem Mitarbeiter ihr die Zeitung vorlasen, erwiesen sich als wenig effektiv. Das gesprochene Wort ist zu vielfältig, die Zusammenhänge sind für das Verständnis zu wichtig, als dass man sich auch nur die kleinste Aussage entgehen lassen könnte.

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Juniper Research geht davon aus, dass der weltweite Umsatz mit "smarten Lautsprechern" bei etwa 11 Milliarden Dollar liegt und bis dahin etwa 7,4 Milliarden sprachgesteuerte Geräte in Umlauf sind. Damit hat dann jeder Bewohner eines, das seine Aktivitäten aufzeichnen kann. Und man darf sicher sein, dass diese Daten nicht ungenutzt bleiben - von wem auch immer.

Apple hat sich gegen die mit der Verarbeitung von Sprachaufzeichnungen verbundenen Vorwürfe damit gewehrt, dass lediglich 0,2% aller Siri-Anfragen von Menschen bearbeitet würden. Bei derzeit rund 15 Milliarden Sprachbefehlen pro Monat sind das aber immer noch 30 Millionen Aufzeichnungen pro Monat, die sich Menschen anhören - oder 360 Millionen pro Jahr.

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"Von Mikrofonen umgeben zu sein, die jederzeit zuhören, ist bedenklich. Wir haben herausgefunden, dass Nutzer dieser Geräte einfach die Gefahren ignorieren und den dahinterstehenden Firmen vertrauen, dass nichts Böses mit ihren aufgezeichneten Daten angestellt wird", zitiert Bloomberg Florian Schaub, Professor an der University of Michigan, der unter anderem menschliches Verhalten im Zusammenhang mit Sprachsteuerungs-Software untersucht. "Dabei kommt es zu einer schleichenden Erosion der Privatsphäre, die sich immer weiter fortsetzt. Die Menschen haben keine Ahnung, wie sie sich davor schützen können."

Fachhandel als Privatsphäreberater

Wenn jetzt ausreichend viele Verbraucher noch einsehen, dass sie irgendetwas unternehmen müssen, um ihre Privatsphäre wenigstens ansatzweise zu schützen, dann bietet sich durch den umfassenden Lauschangriff aus dem Silicon Valley auch eine gute Gelegenheit für den Fachhandel. Aufklärungsangebote von diversen Organsiationen gibt es ja bereits. Allerdings vertreten die oft eine puristische, radikale und vielfach als sektiererisch empfundene Einstellung zu den Themen Datenschutz und Privatsphäre.

Das kommt beim Großteil der Verbraucher nicht gut an. Schließlich wollen sie ja vom technischen Fortschritt profitieren, fürchten aber allzu negative Auswüchse. Vom Boom bei den meisten sprachgesteuerten Geräten profuitiert der Fachhandel kaum. Sie werden zum Großteil direkt oder über einige wenige, ausgewählte Partner vertrieben. Von der Beratung rund um datenschutzfreundliche Nutzung könnten aber viele profitieren.

Die Frage ist hier nur, wie sich das wirtschaftlich machen lässt. Alleine durch den Verkauf von Zusatzprodukten und-Software wird das kaum möglich sein. Workshops oder Installationsunterstützung könnten eher zum Ziel führen - sind aber natürlich für die meisten Händler ein ganz neues Terrain. Wenn Sie weitere Ideen haben oder bereits erfolgreich umgesetzt haben, würden wir uns über eine Kontaktaufnahme freuen.

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