Schieflage in Unternehmen beseitigen

So bauen Firmen ihre Stärken aus

Frank Rebmann arbeitet als (Führungskräfte-)Trainer, Berater und Coach für Unternehmen. Er ist Experte für das Themenfeld "Ermitteln und Entwickeln der Stärken von Führungskräften und ihren Mitarbeitern". Der zertifizierte Master Trainer und systemische Coach verfügt über 16 Jahre Erfahrung als Führungskraft und 20 Jahre Erfahrung als Verkäufer in Industrie- und Handelsunternehmen.
Viele Arbeitnehmer versuchen ihr Leben lang, ihre „Schwächen“ auszumerzen. Sinnvoller wäre es, die Talente zu schleifen.

"Ich bin pedantisch." "Ich werde schnell ungeduldig." "Ich bin nicht kreativ." Solche Aussagen hören Berater und Coaches oft, wenn sie Berufstätige fragen, warum ihnen bestimmte Aufgaben Probleme bereiten. So detailliert listen sie dann ihre Schwächen auf, dass man den Eindruck gewinnen könnte: Diese Person hat keinerlei Stärken. Dabei zeigt ein Blick in den Lebenslauf meist: Die Person hat schon viele Herausforderungen gemeistert.

Viele Arbeitnehmer versuchen ihr Leben lang, ihre „Schwächen“ auszumerzen. Sinnvoller wäre es, die Talente zu schleifen.
Viele Arbeitnehmer versuchen ihr Leben lang, ihre „Schwächen“ auszumerzen. Sinnvoller wäre es, die Talente zu schleifen.
Foto: MOHD BAHIRI BIN IBRAHIM - shutterstock.com

Ähnlich verhält es sich, wenn sich Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern zu Förder- und Entwicklungs-gesprächen zusammensetzen. Auch dann spielen deren Schwächen häufig eine so große Rolle, dass man sich fragt: Warum wurde dem Mitarbeiter noch nicht gekündigt? Eine Ursache hierfür ist: Viele Führungskräfte thematisieren in den Gesprächen vor allem, was in der Vergangenheit nicht optimal verlief. Nur wenig Zeit verwenden sie hingegen darauf, mit dem Mitarbeiter zu erkunden: Was lief gut? Warum lief es gut? Und welche Fähigkeiten zeigte der Mitarbeiter dabei? Was gut war, wird im Hand-umdrehen abgehakt, um anschließend die Aufmerksamkeit ganz auf die Schwächen und Versäumnis-se zu richten.

Diese Schieflage spüren die Mitarbeiter. Deshalb erfahren sie die Förder- und Entwicklungsgespräche vor allem als Kritikgespräche. Und sie blicken ihnen mit Unbehagen entgegen. Dabei sollten sie sich hierauf freuen, weil sie wissen: In dem Gespräch suchen mein Chef und ich einen Weg, wie ich meine Fähigkeiten noch besser entfalten kann.

Lesetipp: Wenn das Mitarbeitergespräch in Streit ausartet

Stärken werden oft nicht gewertschätzt

Eine Ursache hierfür ist: Vieles, was wir - und die Menschen, mit denen wir regelmäßig Kontakt haben - gut machen, erachten wir als selbstverständlich. So erfüllt es zum Beispiel manch guten Organisator nicht mit Stolz, dass er gut organisieren kann. Und viele exzellente Zuhörer sind nicht stolz darauf, dass sie gut zuhören können.

Anders verhält es sich mit den Denk- und Verhaltensmustern, an denen wir uns regelmäßig stoßen - zum Beispiel, weil wir ein anderes Wunschbild von uns haben. Mit ihnen beschäftigen sich viele Men-schen tagein, tagaus. Und ihr Streben richtet sich vor allem darauf, ihre Schwächen ab- statt ihre Stärken auszubauen.

Ähnliches gilt für viele Führungskräfte. Auch sie erachten das, was ihre Mitarbeiter gut können und tun, als selbstverständlich - zum Beispiel, dass sie alle Termine einhalten oder viel Eigeninitiative zeigen. Also verlieren sie hierüber kaum Worte. Stattdessen wenden sie ihre Aufmerksamkeit den Ver-haltensmustern zu, bei denen ihre "Untergebenen" ihrem Wunschbild nicht entsprechen - selbst wenn diese für den Arbeitserfolg wenig Bedeutung haben.

Ein Umdenken findet meist erst statt, wenn der Mitarbeiter das Unternehmen verlässt und ein Neuer seinen Platz einnimmt. Dann wird der Alte glorifiziert. "Der Huber ließ sich zwar schwer führen, doch verkauft hat er wie ein Weltmeister." Dann ist das, was zuvor selbstverständlich war, plötzlich nicht mehr selbstverständlich.

Führungskräfte sollten, wenn sie mit einem Mitarbeiter über dessen Arbeit und künftige Entwicklung sprechen, mit ihm vor allem erörtern: Warum hat der Mitarbeiter diese und jene Aufgabe gut erledigt? Welche Fähigkeiten zeigte er dabei? Und: Wie sollte sein Arbeitsfeld aussehen, damit er diese noch stärker entfalten kann? Denn Mitarbeiter werden nur absolute Spitzenkräfte, wenn sie ihre individuellen Fähigkeiten schleifen. Verwenden sie ihre Zeit und Energie hingegen vor allem darauf, ihre Schwächen zu beseitigen, dann entrinnen sie nie der Mittelmäßigkeit. Ein Michael Schumacher wäre nie der beste Formel-1-Pilot geworden, wenn er zugleich versucht hätte, den Nobelpreis in Physik zu erringen.

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