Der Kunde steht im Mittelpunkt

So entwickeln Systemhäuser ihre Bestandskunden weiter



Seit dem 1. April 2024 agiert Christian Mehrtens als Geschäftsführer von Sage Zentraleuropa. Bis Ende März 2024 war er Leiter des Geschäftsbereichs Mittelstand und Partner bei der SAP Deutschland SE & Co. KG. Davor arbeitete er unter anderem bei HP, Compaq, Microsoft und Oracle.
Sind Systemhäuser im digitalen Zeitalter noch zeitgemäß? Unbedingt, sofern es ihnen nicht mehr nur um die Zahl ihrer Neuabschlüsse, sondern vor allem um die permanente digitale Betreuung ihrer Kunden geht.
Systemhäuser sollten sich permanente um ihre Bestandskunden kümmern.
Systemhäuser sollten sich permanente um ihre Bestandskunden kümmern.
Foto: sebra - shutterstock.com

Mit der Digitalisierung und Technologien wie Big Data, IoT oder KI wachsen die Anforderungen und Erwartungen an IT-Dienstleister - und natürlich auch ihre Expertise. Kunden brauchen Durchblick in ihren hybriden Cloud-Szenarien oder wollen gemeinsam mit ihren IT-Dienstleistern neue Technologien gewinnbringend implementieren. In den Unternehmen tauchen neue Stellschrauben und Themen auf wie zum Beispiel Skalierbarkeit, Flexibilisierung, Agilität und New Work. Systemhäuser wissen daher, dass sie sich als Managed-Service-Provider künftig mehr und mehr zu Beratungsunternehmen entwickeln müssen. Das gelingt ihnen allerdings nur, wenn sie sich der (IT-) Situation ihrer Kunden stets bewusst sind.

Schlüsselwort Customer Centricity

Was ich damit meine? Die Messgröße für den betrieblichen Erfolg sollte nicht mehr länger die Zahl der Neukunden-Abschlüsse sein. Das ist zu kurz gedacht. Im Zentrum der Überlegungen der Vertriebsexperten sollte künftig folgende Frage stehen: "Wie kann ich meine Bestandskunden permanent weiterentwickeln?" IT-Systemhäuser dürfen nicht nur dann beim Kunden aufkreuzen, wenn es dort gerade brennt. Die zentralen Fragen sind vielmehr: Wie kann ich meinen Kunden ganzheitlich und individuell begleiten? Wie verbessere ich Kundenbindung und Kundenzufriedenheit? Welche Software steigert dessen Zukunftsfähigkeit? Welche digitalen Werkzeuge passen? Genauso gilt es zu prüfen, ob es digitale Lösungen beim Kunden gibt, die sich inzwischen überlebt haben oder sich für ihn nicht mehr lohnen.

Wer solche Fragen zufriedenstellend beantworten möchte, muss erstens die Geschäftsprozesse seiner Kunden genau verstehen. Ich weiß, dass viele IT-Dienstleister hier unglaublich stark sind. Sie bringen nicht nur fundiertes Branchenwissen mit, sondern auch eine große Nähe zu ihren Kunden. Gut so - aber in digitalen Zeiten reicht das nicht mehr: Systemhäuser müssen eben auch wissen, wie sich diese Prozesse ihrer Kunden digital abbilden lassen. Sie benötigen also zweitens das dafür notwendige technische Know-how. Und drittens müssen IT-Systemhäuser antizipieren können, in welche Richtung sich Unternehmen und ihre Branche entwickeln werden.

Die Messgröße für den betrieblichen Erfolg sollte nicht mehr länger die Zahl der Neukunden-Abschlüsse sein. Im Zentrum der Überlegungen sollte künftig die Frage stehen, wie Bestandskunden permanent weiterentwickelt werden können.
Die Messgröße für den betrieblichen Erfolg sollte nicht mehr länger die Zahl der Neukunden-Abschlüsse sein. Im Zentrum der Überlegungen sollte künftig die Frage stehen, wie Bestandskunden permanent weiterentwickelt werden können.
Foto: Vitalii Vodolazskyi - shutterstock.com

Mit welchen digitalen Geschäftsmodellen sich ihre Kunden künftig im Wettbewerb besser behaupten können - und wie die digitale Unterstützung aussieht, die diese neuen Services ermöglicht. Daraus ergibt sich der vierte Punkt: Gute Beratung setzt immer einen engen Dialog und eine permanente Abstimmung mit den Kunden voraus. Auch in digitalen Zeiten bleibt die Kommunikationsfähigkeit ihrer Mitarbeiter* für Systemhäuser entscheidend.

Woran eine Vertrieblerin merkt, dass sie mit ihrer IT-Beratung auf dem richtigen Weg ist? Wenn sich ihre Kunden zuerst an sie wenden, falls sie ein digitales Projekt vor der Brust haben. Heißt: Vertriebler sind immer dann richtig gut, wenn sie als Berater (im Sinne eines Trusted Advisors) akzeptiert und eingebunden werden.

Dirigent im Partnernetzwerk

Bevor sie einen Veränderungsprozess einläuten, müssen sich IT-Systemhäuser fragen, auf welche Kunden sie sich konzentrieren und auf welche Wertschöpfungstiefe und -breite sie sich künftig einlassen möchten, welche Branchen sie beraten wollen und welche technologische Expertise sie tatsächlich abdecken können. Kein Hersteller erwartet von seinen Netzwerkpartnern Allround-Fähigkeiten. Gerade kleinere IT-Dienstleister können nicht mehr Rundum-Spezialist sein und Big Data genauso abdecken wie KI oder Unified Communications, Analytics, die Blockchain und das Internet der Dinge. Die meisten Kunden dürften skeptisch werden, wenn dies ein Systemhaus oder ein anderer Dienstleister von sich behauptete. Man kann aber sehr wohl erwarten, dass ein Service-Provider mit der Dynamik seines Spezialgebiets locker mithält und dass seine Industrieexpertise auch perspektivisches Wissen einschließt und er weiß, wohin sich die Branche seines Kunden entwickeln wird.

Dienstleister sind nur so gut wie ihr Netzwerk

Vor allem aber will sich der Kunde darauf verlassen dürfen, dass das Systemhaus über ein tragfähiges Netzwerk verfügt, mit dessen Hilfe er jede seiner Anforderung abdecken kann. Ein Beispiel: Ein Unternehmen setzt für sein Warehouse-Management ein gutes Dutzend Firmen ein. Gibt es eine Anfrage oder ein Problem, möchte es aber nur einen zentralen Ansprechpartner haben. Sprich: Ein Vertreter aus dem Kreis der Dienstleister muss Lead-Partner sein. Ein zeitgemäßes IT-Systemhaus sollte daher eine Vielzahl von Partnern und Herstellern orchestrieren können und das gesamte Kundenbild im Auge behalten. Systemhäuser, die eine solche Aufgabe übernehmen und auf eigene Fachkräfte und Netzwerkpartner zugreifen können, sind nicht nur Wunschpartner von Kunden wie Herstellern. Sie machen auch ihre eigene Wertschöpfungskette resilienter.

Information ist alles

Wer seine Kunden digital transformieren möchte, muss sich vermutlich auch selbst intern verändern. Das heißt beispielsweise: auf Talentsuche gehen und die vorhandenen Mitarbeiter* weiterbilden. 2019 nannten 85 Prozent der Systemhäuser den Fachkräftemangel als größte Sorge. Genau deshalb werden viele unserer Systemhaus-Partner gerade sehr aktiv: Sie arbeiten eng mit Hochschulen zusammen, bieten Stipendien oder Uni-Abschlussarbeiten, um künftige Talente früh an sich zu binden. Heißt: Sie klagen nicht nur, sondern handeln.

Weil der Markt für IT-Experten* so eng ist, sehe ich aber auch die Softwarehersteller in der Pflicht: Sie müssen ihren Partnern Werkzeuge, Dokumentationen und Beratungsangebote zur Verfügung stellen, damit die das Know-how ihrer Beschäftigten gezielt auf- und ausbauen können. Und viel stärker als bislang auf Trainings und Wissenstransfer setzen. Denn die Digitalisierung der deutschen Wirtschaft bleibt eine Gemeinschaftsaufgabe.

* Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text nur die männliche Form verwendet. Gemeint ist stets sowohl die weibliche als auch die männliche Form.

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