Software- und Systemhäuser auf Geldsuche: "Wir sind die Bittsteller der Nation"

24.05.1996
MÜNCHEN: Die Wachstumsfinanzierung für mittelständische Firmen der IT-Branche ist und bleibt ein heißes Eisen. Der täglich Kleinkrieg mit Banken, der Zusammenprall innovativer Unternehmer und den eher zurückhaltenden, konservativen Kreditgebern, sorgt immer wieder für Zündstoff. Das derzeitige Stimmungsbild ist düsterer denn je.Es wird immer enger. Auch für Deutschlands Software- und Systemhäuser. Noch vor zehn Jahren herrschte in der hiesigen IT-Branche Goldgräberstimmung. In den blühenden Wirtschaftslandschaften gab es ertragreiche Felder zu bestellen und die in Aussicht gestellte Ernte versprach satte Gewinne. Wen wundert es, daß immer mehr Unternehmen versucht waren, sich an diesen lukrativen Märkten beteiligten. Die nach wie vor zahlreichen Neueinstiege - allen voran in den USA - führen zu einem spürbar verschärften Wettbewerb. Der Preiskrieg tobt und die Branchenriesen setzen auf einen knallharten Verdrängungswettbewerb, um ihre Marktanteile kontinuierlich auszuweiten. Die Goldgräberzeiten für die heimischen Softwarehäuser sind vorüber. Nur die stete Suche nach verbleibenden Marktnischen und die Forcierung des Lösungsgeschäfts mit einem überproportional hohem Serviceanteil, verspricht auch für die Zukunft ein erklägliches Auskommen.

MÜNCHEN: Die Wachstumsfinanzierung für mittelständische Firmen der IT-Branche ist und bleibt ein heißes Eisen. Der täglich Kleinkrieg mit Banken, der Zusammenprall innovativer Unternehmer und den eher zurückhaltenden, konservativen Kreditgebern, sorgt immer wieder für Zündstoff. Das derzeitige Stimmungsbild ist düsterer denn je.Es wird immer enger. Auch für Deutschlands Software- und Systemhäuser. Noch vor zehn Jahren herrschte in der hiesigen IT-Branche Goldgräberstimmung. In den blühenden Wirtschaftslandschaften gab es ertragreiche Felder zu bestellen und die in Aussicht gestellte Ernte versprach satte Gewinne. Wen wundert es, daß immer mehr Unternehmen versucht waren, sich an diesen lukrativen Märkten beteiligten. Die nach wie vor zahlreichen Neueinstiege - allen voran in den USA - führen zu einem spürbar verschärften Wettbewerb. Der Preiskrieg tobt und die Branchenriesen setzen auf einen knallharten Verdrängungswettbewerb, um ihre Marktanteile kontinuierlich auszuweiten. Die Goldgräberzeiten für die heimischen Softwarehäuser sind vorüber. Nur die stete Suche nach verbleibenden Marktnischen und die Forcierung des Lösungsgeschäfts mit einem überproportional hohem Serviceanteil, verspricht auch für die Zukunft ein erklägliches Auskommen.

Doch es ist nicht nur die veränderte Wettbewerbssituation, die gerade mittelständischen Unternehmern den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist ins Gerede gekommen: Die Zahl der Arbeitssuchenden, die Höhe der Staatsverschuldung, die scharenweise Abwanderung des produzierenden Gewerbes ins Ausland - der hohen Lohnzusatzkosten wegen - verdeutlichen die derzeitige konjunkturelle Schieflage.

Zwar ist die Zahl der Insolvenzen in Westeuropa nach Angaben des Verbands der Vereine Creditreform e.V. für das vergangene Jahr um 2,4 Prozent zurückgegangen, doch Deutschland bleibt hierbei die unrühmliche Ausnahme. Der Negativtrend hält weiter an (vergleiche Grafik). Von den rund 29.000 Insolvenzen 1995 in Deutschland entfielen etwa 22.000 auf Unternehmen. Die restlichen 7.000 verteilen sich auf Nachlaßkonkurse sowie Pleiten von Verbänden und Vereinen. Etwa 400.000 Arbeitnehmer - so die Schätzung - verloren dadurch ihren Job. Auch für das laufende Jahr sieht der Geschäftsführer des Verbandes, Helmut Rödl, keine Abnahme der Fälle von Zahlungsunfähigkeit. "Ich rechne mit einer Zunahme der Insolvenzen in Westdeutschland um fünf Prozent und im Osten um 35 Prozent. Damit wären in Deutschland Ende 1996 rund 32.500 Gesamtinsolvenzen zu zählen. Gefährdet sind dadurch etwa weitere 450.000 Arbeitsplätze", erklärt der Verbands-Chef.

Produktentwicklung immer rasanter

Damit wächst gerade für mittelständische IT-Unternehmer die zwingende Notwendigkeit, ihre strategischen Reserven zu erschließen. Wie auch in anderen Branchen zuvor, wird sich auch die Software- und Systemlösungsbranche stärker als bisher auf den Kunden, dessen Wünsche und Bedürfnisse konzentrieren müssen. Die Entwicklung neuer Software wird sich mehr denn je an systematischer Marktanalyse, Wettbewerberbeobachtung, Marktsegmentierung, Zielgruppenbestimmung und Produktpositionierung orientieren müssen. Auch der Aufwand für Verkaufsförderung, Werbung und Öffentlichkeitsarbeit, Vertrieb und Service werden ansteigen. Der hierfür notwendige Kapitalbedarf ist immens und nicht zu unterschätzen. Wer seine Produkte mit modernster Technologie entwickeln will, muß kräftig investieren, und das in immer kürzeren Abständen. Die stets kürzer werdenden Produktlebenszyklen machen auch bei der Entwicklungsumgebung nicht halt. Wer die von seiten der Branchenriesen in rauhen Mengen verabschiedeten Quasi-Standards nicht in seine Produkte implementiert, läuft Gefahr, auf seiner Ware sitzenzubleiben.

Sorgenkind Kapitalbeschaffung

Kein Wunder also, daß Kapitalbeschaffung neben dem Marketing und Vertrieb das größte Sorgenkind der Software- und Systemhäuser sind (vergleiche Grafik). Doch bei der Suche nach Investoren und Geldgebern finden sich viele Unternehmer der IT-Branche immer wieder vor verschlossenen Toren wieder. Vor dem Besuch der Hausbank haben Mittelständler der IT-Branche mehr Angst als vor dem eigenen Zahnarzt. "Von unseren Banken habe ich endgültige die Schnauze voll", lauten die starken Worte von Harald Lais, Chef des Systemhauses Lais & Lais Computer GmbH in Flein. Er hat mit seinem Unternehmen im letzten Jahr eine Umsatzsteigerung von einer auf zweieinhalb Millionen Mark hinter sich gebracht. "Dieses Wachstum fordert immens viel Geld und ohne Hilfe meines Bruders, der die Rolle des Finanziers übernimmt, hätte ich das sicherlich nicht geschafft", erklärt Lais. Sein Bruder, ein Kieferorthopäde, ist am Unternehmen beteiligt und kann es sich leisten, Teile seines Einkommens in das Systemhaus zu schießen - eine nicht alltägliche Konstellation. "Ich habe zwischenzeitlich einige Arbeitsplätze geschaffen, doch bei der Bank interessiert sich überhaupt niemand für den Unternehmenserfolg", schildert ein resignierter Lais seine Situation. Mit einem Seminar bei der örtlichen Industrie- und Handelskammer versuchte er sich fit für den Umgang mit Geldinstituten zu machen. "Ich bin froh, wenn ich nicht zu meiner Hausbank gehen muß, aber wenn es sich nicht vermeiden läßt, dann erinnere ich mich gerne an das Erlernte", so der Unternehmer weiter. "Am wichtigsten ist, daß man den richtigen Zeitpunkt für einen Bankenbesuch wählt. Nicht erst dann, wenn man dringend auf einen neuen Kredit angewiesen ist - beispielsweise für eine notwendige Zwischenfinanzierung, wie sie in unserer Branche häufig vorkommt - sondern bereits im Vorfeld sollten die Gespräche mit der Bank gelaufen sein. Es macht die Sache viel einfacher, wenn ich in guten Zeiten vorab das o.k. des Kundenbetreuers einhole", erläutert er seine Strategie. Auch in puncto Auftreten und Sprache müsse man sich an die Gepflogenheiten der Banker anpassen, auch wenn es nicht immer leichtfallen würde, führt Lais weiter aus.

Die richtige Wortwahl bei Banken treffen

Karl-Heinz Ostermeier, Chef und Gründer der CompuTime GmbH in Landsberg, ist dieser Ratschlag nicht unbekannt. Er hatte jahrelang für AT&T in Augsburg OEM-Software entwickelt und nach eigener Auskunft "einige Millionen Mark" damit gemacht. Doch nach dem Rückzug des PC-Herstellers waren Neuinvestitionen für den Aufbau neuer Geschäftsfelder notwendig. "Ich habe im jahrelangen Kampf mit meiner Bank gelernt, daß die Worte "ich brauche dringend" oder "ich will sofort" nie zum gewünschten Erfolg führen", gibt er seine Erfahrungen wieder. Ostermeier schwört auf den "kleinen Dienstweg" und die persönliche Bekanntschaft mit dem zuständigen Mann bei der Bank. "Die inkompetenten Sachbearbeiter, die mit Softwaretechnologie überhaupt nichts am Hut haben, waren immer meine größten Feinde. Immer wieder haben sie Businesspläne von mir abgefordert und Zahlenmaterial in allen erdenklichen Variationen. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß mich die Bank unbedingt loshaben wollte und mich deshalb ständig drangsalierte", erinnert sich der Firmenchef, der für sein Produkt OfficeCom plus auf der diesjährigen CeBIT in Hannover einen Award der Fachzeitschrift Chip einheimsen konnte. "Irgendwann wurde es mir dann zu bunt und ich habe die Banker mit Informationen über mein Unternehmen regelrecht zugebombt. Jeden Tag habe ich ihnen schriftlich berichtet, was sich den Tag über geschäftlich bei mir ereignet hat, und irgendwann sind die tatsächlich aufgewacht. Und tatsächlich habe ich so Kontakte zum Vorstand herstellen können", erinnert sich Ostermeier. Einen der Bank-Vorsteher habe er dann auf seine Seite ziehen können und während des Urlaubs des Vorstandskollegen sei ihm dann auch eine lang ersehnter Kredit gewährt worden, berichtet er weiter.

Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs der CompuTime glaubt Ostermeier nicht an eine Verbesserung in der Zusammenarbeit mit seiner Bank. "Ich hoffe, daß ich nie wieder einen Kredit brauche", gibt er sich verärgert. "Gerade unsere Branche kann hervorragendes zu Wege bringen, aber immer wieder scheitert alles am Geld. Wenn sich unsere Banken weiterhin so technologiefeindlich zeigen, dann geht es mit uns bald endgültig bergab", beklagt sich ein verbitterter Ostermeier. "Ich bin mir jedenfalls sicher, daß es einen zweiten Fall CompuTime nicht mehr geben wird. Wenn ich jemals wieder vor so einer Entscheidung stehe, dann lasse ich gleich die Finger davon. Da sind mir meine Nerven und die Gesundheit wichtiger als der täglich Kleinkrieg mit der Bank", resümiert der Unternehmer.

"Wir finanzieren keine IT-Firmen"

Ebenfalls an der Toren der Banken gescheitert sind die beiden Jungunternehmer Frank Didzuleit und Martin Dobler. Daß sie seit Oktober letzten Jahres Geschäftsführer der Mobis Mobile Computer GmbH in München sind, verdanken sie der Beteiligung einer Risikokapitalgesellschaft. "Als wir damals mit unserem fix und fertig ausgearbeiteten Konzept bei zwei großen Banken in München vorstellig wurden, sind wir nach jeweils zwanzig Minuten wieder rausgeflogen", erinnert sich Didzuleit.

"Bei uns gibt es einen Vorstandsbeschluß, daß Unternehmen aus der Softwarebranche nicht finanziert werden, lautete die lapidare Mitteilung des einen Kreditsachbearbeiters", entsinnt sich der Mobis-Chef. In der Startphase im - von öffentlicher Hand geförderten - Münchener Technologiezentrum untergebracht, gab es regen Austausch mit gleichgesinnten Existenzgründern. "Uns wurde sehr schnell klar, daß wir einen Investoren brauchen, der sich in der Branche auskennt", schildert Didzuleit die weiteren Überlegungen. Der Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften mit Sitz in Berlin half weiter und vermittelte die dort ebenfalls ansässige Technologieholding Venture Capital GmbH. "Nachdem wir die Informationsunterlagen studiert und den Kurzbogen ausgefüllt hatten, kam es zu einem persönlichen Gespräch. Das war sehr wichtig, denn hier hatten wir das erste Mal den Eindruck, daß uns jemand ernst nimmt. Nur so konnte das notwendige Vertrauen geschaffen werden", berichtet Didzuleit. Nach Vorlage eines Businessplanes und Abstimmung der Feinheiten gab es ein Wiedersehen vor dem Notar - ein Vorvertrag wurde besiegelt. "Doch kaum ist die Kapital-Hürde genommen, hat uns das Finanzamt auf dem Kicker. Es ist unglaublich, mit wie vielen Formularen und Anträgen man bombardiert wird", schmälert er seine Freude über den geglückten Unternehmensstart.

Venture Capital noch im Verborgenen

Doch die Existenzgründung mit Hilfe von Investoren ist kein alltägliches Unterfangen. Zwar ist in den USA diese Form der Finanzierung seit über 40 Jahren typisch, und Firmen wie Microsoft, Apple oder Netscape wären ohne diese Investoren nicht existent, doch in Deutschland sind die Aktivitäten von Venture-Capital-Gesellschaften eher verhalten. Der promovierte Geschäftsführer der Münchener Atlas Venture GmbH Werner Schauerte kennt die Gründe. "Erstens fehlt es an Tranparenz. Nach wie vor sind diese Möglichkeiten der Finanzierung zu unbekannt. Zweitens bietet Deutschland nicht gerade rosige Rahmenbedingungen für Investoren unseren Schlages. Wir sind auf Ausstiegsmöglichkeiten angewiesen. Das bedeutet, daß wir uns nach einer bestimmten Zeit aus dem Unternehmen, an dem wir beteiligt sind, wieder ausklinken wollen oder müssen. Normalerweise geschieht das im Rahmen des Börsengangs, wie er in den USA an der Tagesordung ist, doch welche deutsche Firma wagt schon diesen Schritt? Und zum Dritten wissen wir aus Erfahrung, daß viele deutsche Unternehmer keinen Partner neben sich dulden. Sie haben Angst vor Einflußnahme und verbarrikadieren sich in ihrer Firmenburg", erklärt Schauerte. Das geistige "Umswitchen" sei aber unerläßlich für eine erfolgreiche Zusammenarbeit, fügt er hinzu.

Von den rund 150 Millionen Mark, die jährlich deutsche Risikokapitalgesellschaften in Firmen investieren, fließen gerade mal zehn Prozent in Unternehmen aus der IT-Branche.

Die Kapitalbeschaffung in Deutschland für deutsche Software- und Systemhäuser gestaltet sich alles andere als einfach. Der Mut zu mehr unternehmerischem Risiko und eine erhöhte Investitionsbereitschaft der potentiellen Geldgeber können jedoch nicht herbeigeredet werden. Nicht zuletzt muß sowohl Gesellschaft als auch Politik die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Didzuleit bringt es auf den Punkt: "In den USA gründen junge Leute eine Firma, um reich zu werden, in Deutschland, um sie irgendwann weiterzuvererben. Solange ich hierzulande gesellschaftlich dafür geächtet und wie ein Aussätziger behandelt werde, wenn ich eine Firmenpleite zu verantworten habe, wird sich nichts ändern."

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