SPD-Arbeitsminister Riester macht den IT-Freiberuflern das Leben schwer

28.01.1999

MÜNCHEN: Der neue Bundesarbeitsminister sorgt für ein Gesetz für den Kampf gegen die Scheinselbständigkeit. Unter dem Mäntelchen des "sozialen Schutzes" sollen hierüber in erster Linie hunderte von Millionen in die Rentenkassen fließen. Die Auswirkungen für die Unternehmen und die Betroffenen sind allerdings enorm. Auf viele Betriebe kommen exorbitante Nachzahlungsverpflichtungen zu, auf Freiberufler horrende Steuernachzahlungen. Kaum eine Branche ist so betroffen wie die IT-Branche. Hintergründe, Ansichten und Empfehlungen von Stefan Rohr*.Die neue Bundesregierung sollte sich freuen. Konnte doch für das vergangene Jahr eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes (BIP = Summe aller erwirtschafteten Güter und Leistungen) von 2,8 Prozent verzeichnet werden, dieses, obwohl doch - bis zum Regierungswechsel - von den Vorgängern angeblich nahezu alles falsch gemacht wurde. Derlei Reden bergen jedoch den Zwang, nun alles noch richtiger zu machen als im Vorfeld schon versprochen. So wurde für das erklärte Kardinalthema - Arbeitslosigkeit - personell eine Kompetenz eingekauft, die direkt aus den Gewerkschaftsreihen stammt, einer Sphäre also, die bislang eher als arbeitsplatzbehindernd denn -fördernd verstanden wurde.

Wen wundert es denn dann noch, daß der neue Bundesarbeitsminister Walter Riester prompt ein Gesetz vorgelegt hat, das unter dem Mäntelchen "sozialer Bedürfnisse" unternehmerische Freizügigkeiten hemmen soll und zudem den angenehmen Nebeneffekt aufweist, ein paar hundert Millionen im Jahr mehr in die Rentenkasse zu bekommen. Die Rede ist von einer neuen Sportart, die jedoch ausschließlich von Mitarbeitern der Versicherungsanstalten und der Finanzbehörden ausgeübt werden kann: der Jagd nach Scheinselbständigen. Von den etwa 3,7 Millionen Selbständigen in Deutschland sind nämlich nach Ansicht von Experten 180.000 bis 1,5 Millionen in Wahrheit nur zum Schein im Reich der Unternehmer.

Spritze für die Rentenversicherung

Riester ist deshalb zu der Überzeugung gelangt, daß diese Menschen einem "sozialen Schutzbedürfnis" unterliegen müßten und nun in die Sicherheit der abhängigen Tätigkeit zurückzuführen sind (ob sie nun wollen oder nicht!). Sein Problemkind, die Rentenversicherung, wird zwar dabei im kommenden Jahr mit 200 Millionen Mark deutlich vitalisiert, allerdings wird Riester kaum zugeben wollen, daß dieses die eigentliche Triebfeder seines Tuns darstellt. Der Bundesarbeitsminister ist in dieser Frage voller Tatendrang. 3.000 Betriebsprüfer werden von den Versicherungsanstalten auf die Unternehmen losgelassen.

Die Prüfer werden die von Riester festgelegten Kriterien checken, die den Scheinselbständigen entlarven sollen. Nach diesen ist jemand scheinselbständig, der

- selbst keine Arbeitnehmer beschäftigt (630-Mark-Jobs oder Familienangehörige werden jedoch generell nicht berücksichtigt),

- überwiegend für nur einen einzigen Auftraggeber tätig ist,

- nicht als "Unternehmen" am Markt wirbt oder auftritt

- sowie im Rahmen seiner Tätigkeit wie ein abhängig Beschäftigter betrachtet wird (zum Beispiel nach Weisung arbeiten muß, eine festgelegte Arbeitszeit vorweist, an internen Meetings teilnimmt, Betriebssport- und/ oder Kantinenangebote wahrnimmt, an Feierlichkeiten der Firma teilnimmt oder im Telefonregister seines Auftraggebers aufgeführt ist).

Wenn wenigstens zwei dieser Punkte auf einen Selbständigen zutreffen, dann ist er nach Meinung der Rentenkasse und ihres obersten ministerialen Geldeintreibers ein Scheinunternehmer und muß deshalb zurück in die schützende und vor allem sozialversicherungspflichtige Abhängigkeit geführt werden.

Nachzahlungen in Millionenhöhe

Das hat für die Wirtschaft und die Betriebe jedoch schwere Folgen. Viele Millionen Mark an Lohnnebenkosten werden von den entlarvten Unternehmen nachzuzahlen sein, und zwar nicht nur die Arbeitgeberanteile, sondern auch die Arbeitnehmeranteile, da die betroffenen Scheinselbständigen maximal für drei Monate rückwirkend in die Pflicht genommen werden können. Diese Nachzahlungspflichten haben bereits die ersten Konkursfälle hervorgerufen und werden in der nahen Zukunft noch diverse Betriebe in die Pleite reißen.

Gerade die IT-Branche gilt als ergiebiges Jagdrevier bei der Hatz auf Scheinselbständige. Die vielen Tausend IT-Freiberufler, die in projektbezogener Weise unausweichbar alle Voraussetzungen aufweisen, als abhängig Beschäftigte "erkannt" zu werden, sind dabei die am meisten gefährdete Spezies. Aber auch der IT-Handel hat massiven Grund zur Sorge: Selbständige Handelsvertretungen und/ oder Handelsvertreter (meist mit Produktzwang, Exklusivitäts- und Gebietsreglements) erfüllen nach jüngster Auffassung die Bedingungen der Scheinselbständigkeit.

Und eine zu frühe Freude für die "andere Seite" ist an dieser Stelle auch nicht angebracht: selbst wenn in der Vergangenheit durch Finanzämter, Sozialgerichte oder Rentenkasse der einwandfreie Status des Selbständigen abgenickt (oder sogar von Gerichten oder Behörden bescheinigt) wurde, wird es in der Zukunft nicht mehr möglich sein, sich hierauf zu berufen.

Das Finanzamt bittet zur Kasse

Neben den von Riester so herbeigesehnten Nachzahlungsverpflichtungen der Unternehmen hat der reintegrierte Ex-Unternehmer allerdings ebenfalls Grund zu tiefen Sorgenfalten. Denn auch sein Geldbeutel wird kräftig geleert: Die Finanzämter werden nämlich alle gewährten Steuervorteile - aus Zeiten der dann ja als ungerechtfertigt deklarierten Selbständigkeit - zurückfordern. Dazu gehören so weit verbreitete Dinge wie das Firmenfahrzeug, das früher gewährte Arbeitszimmer, der PC, die Dienstreisen, die Büroeinrichtungen und so weiter.

Und daß es dem Bundesarbeitsminister und ehemaligen Gewerkschafts-Vize tatsächlich in erster Linie um die Aufbesserung der leider allzu leeren Rentenkasse geht, beweist die Tatsache, daß sein Gesetz die unweigerlich entstehenden Zweifelsfälle auch gleich als dennoch sichere Zahler vorsieht: Die dann als "arbeitnehmerähnliche Selbständige" (insbesondere werden das Handelsvertreter sein) bezeichneten Sozialgrenzgänger können sich zwar eines nunmehr anerkannten Unternehmer-Statusses erfreuen, müssen jedoch "freiwillig" in die Rentenversicherung einzahlen.

Riester hat jedoch nicht nur diese lockenden Einnahmen berechnet, denn wer einzahlt, hat ja auch irgendwann einmal einen Auszahlungsanspruch. Deshalb gilt dieser "freiwillige Rentenobolus" ausschließlich für diejenigen, die nicht älter als 50 Jahre sind - Riester würde es ansonsten zu teuer werden, die frisch eingekauften Opa-Anwärter bereits in Bälde schon wieder sozial versorgen zu müssen.

Konsequenz auf Arbeitsplatzabbau

Riester gehörte bis vor kurzem einer Kraft an, die an der Schraube der Arbeitskosten in mehr als erheblicher Weise gedreht hat. Als Gewerkschaftsfunktionär hat er über Jahrzehnte dafür gesorgt, daß Arbeit in Deutschland wettbewerbserschwerend verteuert und Stellen abgebaut wurden. Die für unsere Wirtschaft so notwendige Flexibilisierung hat dann im Gegenzuge unter anderem auch dadurch ein kleines Stück stattgefunden, indem sich mehr und mehr Angestellte in die Selbständigkeit gewagt haben.

Sicherlich gab und gibt es in diesen Zusammenhängen auch Fälle, in denen der Schritt in die Selbständigkeit weder freiwillig war noch auf der Basis echter und attraktiver Äquivalente erfolgt. Doch geben diese Fälle dem Bundesarbeitsministerium das Recht, Hunderttausende von Freiberuflern und Existenzgründern qua staatlicher Verordnung den Unternehmerstatus abzusprechen, gleichzeitig den deutschen Mittelstand durcheinanderzuschütteln, Konkurse zu verursachen und den Standort Deutschland noch unattraktiver zu machen, als er bislang schon geworden ist?

Mit der so oft zitierten Globalisierung, Europäisierung oder Harmonisierung kann das jedenfalls nicht einhergehen. Statt einer großzügigeren Denkweise werden die Unternehmer zu isolierten Betrachtungen und Reaktionen gezwungen. So ist es zum Beispiel allen IT-Beratungsunternehmen und IT-Franchise- oder Lizenzgebern und -nehmern (unter anderem im IT-Handel zu finden) dringend anzuraten, ihre Kooperationen mit Einzelunternehmern, Handelsvertretern, freiberuflichen Saison-Kräften, Franchisegebern und Franchisenehmern zu überprüfen und möglichst bei Bedarf zu verändern. Ebenso ist die jeweils andere Seite aufgefordert, umgehend Maßnahmen zu ergreifen, die das Damokles-Schwert der Scheinselbständigkeit stumpf werden lassen.

Problem Projektarbeit über Monate

Es ist eben nicht jedem Unternehmen oder Freiberufler möglich, den Standort Deutschland rechtlich und körperlich zu verlassen. Dieses wäre zwar der sicherste Weg, den Schergen der Renten- und Krankenkassen zu entfliehen, allerdings für die meisten sicher kaum realistisch. Zudem ist es zum Beispiel im Rahmen der IT-Projektarbeit für beide Parteien nahezu unmöglich, die Kriterien für die "reine" Selbständigkeit prüfungssicher einzuhalten. Auch die Gründung einer GmbH durch den bislang als Einzelunternehmer tätigen Freiberufler hat einen Pferdefuß. Zwar ist dieser Schritt eine relativ statussichernde Maßnahme, wird jedoch für eine große Zahl von Selbständigen, die bislang zu den gewerbesteuerbefreiten Katalogberufen gehörten, schmerzhafte Steuermehrbelastungen mit sich bringen. Der Freiberufler hat einige Möglichkeiten, seinen Status darüber hinaus zu manifestieren; er muß zum Beispiel:

- dafür Sorge tragen, daß er im Jahr mehrere echte, zahlende Auftraggeber vorweisen kann

- seine vertraglichen Statusabsicherungen nicht nur unterschreiben, sondern auch erfüllen oder erfüllen lassen: unter anderem keinen Weisungen unterliegen, Arbeitsort, Arbeitszeit, Arbeitsmittel selbst bestimmen und dieses auch nachweisbar gestalten, Arbeitsmittel selbst beschaffen und bezahlen, die Tätigkeit selbst und frei gestalten

- Exklusivitätsklauseln vermeiden oder aus bestehenden Verträgen streichen

- Nachweisbar Investitionskapital einsetzen

- eigene Büroräume mieten, bezahlen und unterhalten

- versicherungspflichtiges Personal einstellen

- explizite Geschäftskonten führen mit der dazugehörigen Buchhaltung

- firmenbezogene Materialien und Informationsgrundlagen wie Werbemittel, Geschäftspapiere, Visitenkarten, Internet-Homepage erstellen

- Werbemaßnahmen wie Mailings, Zeitungsanzeigen, Events, Messepräsenzen entwicklen und durchführen.

Allerdings wird bei diesem Katalog schnell klar, daß sich die meisten der tätigen und klassischen Freiberufler - also der wirklich gefährdeten Gruppe der angeblich Scheinselbständigen - derlei Aktivitäten kaum leisten können. Zudem stoßen einige der aufgeführten Gegenmaßnahmen zu erheblichen Problemen oder sind schlichtweg nicht realisierbar, selbst wenn sie gewollt wären. Zum Beispiel das Gebot der Auftraggebervielfalt. Ein IT-Projekt macht es nun einmal notwendig, gegebenenfalls über einen längeren Zeitraum die volle Arbeitskraft eines Freiberuflers zu verlangen. Der Kunde wird sich in Zukunft sicher bedanken, wenn das IT-Dienstleistungsunternehmen freiberufliche Kapazitäten nur noch für kurze Zeit anbieten kann, weil nach spätestens 5,9 Monaten der zwischenzeitlich eingearbeitete Freelancer das Projekt wieder verlassen muß, weil ihn sonst Riesters Fänger zwanghaft zum sozialversicherungspflichtigen Angestellten umfunktionieren und dem Auftraggeber die vorsorglich schon einmal vorbereitete Nachzahlungsquittung präsentieren.

Klemme zwischen Konkurs und Illegalität

Wir merken also: Es ist eine gefährliche Falle, in der wir sitzen. Und es bleibt für die meisten Betroffenen wohl einzig und allein zu hoffen, daß der Kelch an ihnen oder ihrem Unternehmen vorübergehen wird, man sie nicht erwischt oder sie bei einer der kommenden Betriebsprüfungen durch die BfA-Helferlein als "sauber" herausgehen. Kaum eine Branche ist von dieser gesetzlichen "Schöpfung" so betroffen wie die IT-Welt mit ihren Handelsketten, Lizenz-Gepflogenheiten, Freiberuflern, Vertretern, Beratern, Netzwerken und Ingenieurbüros. Es ist auch eine Frage der Zeit, wann die Konsequenzen dieser höchst aberwitzigen Gesetzesinitiative des ehemaligen IG-Metall-Mannes wirtschaftlich zu spüren sein wird.

Vielleicht gründen ja IBM, Siemens, Digital/Compaq oder entsprechende Unternehmen für die Kooperation mit Freiberuflern jeweils für sich so an die 100 Beschäftigungs-Gesellschaften (mit jeweils 50.000 Mark Stammkapital, zu 50 Prozent liberiert). Über diese werden dann die ganzen "Scheinselbständigen" turnusmäßig wechselnd (vielleicht sogar durch automatisiert hergestellte und versendete Wechsel-Vertäge) rechtlich gebunden und buchmäßig bezahlt. Mit jedem Monat ändert sich dann zwar der Vertragspartner, der eigentliche Auftraggeber und das jeweilige Projekt bleiben jedoch tatsächlich stets dieselben. Sollte dann doch einmal ein Riesterscher Spion die Sache aufdecken, so geht dann eben eine dieser Klein-GmbHs kaputt - frei nach dem Motto: so what!

So oder ähnlich werden sicher Wege in der Zukunft zu finden sein. Der Effekt ist wieder einmal der, daß politische Blindheit und Inkompetenz den Rechtschaffenen zu dieser ja schon so oft besungenen "Kreativität" zwingt. Vergessen darf man dabei jedoch nicht, daß aus einst rechtlich einwandfreien Gegebenheiten eine Situation geschaffen wurde, die einen großen Teil der mittelständischen Steuerzahler in unserem Land in die Klemme zwischen Konkurs oder Illegalität zwingen.

* Stefan Rohr ist geschäftsführender Gesellschafter der r&p management consulting Hamburg/Düsseldorf/Frankfurt/Speyer/Hannover/München/Stuttgart/ Zug (CH).

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