Bezug von Rente ist steuerlich ein „Dauersachverhalt“

Steuernachzahlung und Altakten



Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.
Das Finanzamt kann nicht ohne Weiteres Steuerbescheide für zurückliegende Jahre ändern und eine Nachzahlung von bisher nicht erhobenen Steuern verlangen und dabei auf nicht mehr vorhandene Altakten verweisen.

Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz (FG) hat entschieden, dass sich ein Finanzamt (u.a.) nicht darauf berufen kann, archivierte Unterlagen seien bereits vernichtet worden. Darauf verweist der Kieler Steuerberater Jörg Passau, Vizepräsident und geschäftsführendes Vorstandsmitglied des DUV Deutscher Unternehmenssteuer Verband e. V. mit Sitz in Kiel, unter Hinweis auf die Mitteilung des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz (FG) vom 24.07.2015 zu seinem Urteil vom 16. Juni 2015 (5 K 1154/13).

In bestimmten Abständen werden Akten beim Finanzamt archiviert und dann als Aktakten vernichtet.
In bestimmten Abständen werden Akten beim Finanzamt archiviert und dann als Aktakten vernichtet.
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Die Klägerin ist Rentnerin und wohnte bis 2007 in Nordrhein-Westfalen. Das dort zuständige Finanzamt hatte eine ihrer Renten (90.000 € pro Jahr) nach Prüfung der dazu vorgelegten Unterlagen alljährlich nur mit dem Ertragsanteil (17 %) der Besteuerung unterworfen. Nach dem Umzug der Klägerin nach Rheinland-Pfalz übernahm das zuständig gewordene Finanzamt Bad Neuenahr-Ahrweiler (= Beklagter) ungeprüft diese Besteuerung der Klägerin und berücksichtigte die Rente ebenfalls nur mit dem Ertragsanteil (17 %).

Kontrollmitteilung

Im Jahr 2012 erfuhr das Finanzamt Bad Neuenahr-Ahrweiler vom Finanzamt Düsseldorf (im Wege einer sog. Kontrollmitteilung), dass die Rentenzahlungen vom Sohn der Klägerin stammten, dem die Klägerin dafür im Jahr 1993 ihr Vermögen übertragen hatte. Daraufhin änderte das Finanzamt Bad Neuenahr-Ahrweiler nachträglich die bereits bestandskräftigen Steuerbescheide für die Jahre 2007, 2008, 2009 und 2010, weil es der Auffassung war, dass diese Art von Rente in voller Höhe hätte besteuert werden müssen. Die geforderte Steuernachzahlung betrug insgesamt (für alle 4 Jahre) rund 140.000 €.

Die dagegen erhobene Klage der Klägerin hatte Erfolg. Das FG ließ offen, ob die Rente tatsächlich in voller Höhe zu besteuern sei, weil es darauf nicht ankomme. Das beklagte Finanzamt sei nämlich schon nicht befugt gewesen, die bereits bestandskräftigen Steuerbescheide zu ändern. Bereits vor Erlass dieser Bescheide hätte das Finanzamt die Rechtslage prüfen und z.B. beim früher zuständigen Finanzamt in Nordrhein-Westfalen die seinerzeit dazu vorgelegten Unterlagen - vor allem den Übertragungsvertrag - anfordern müssen.

Selbst wenn dieser Vertrag dort inzwischen archiviert oder mit Altakten vernichtet worden sei, könne sich das beklagte Finanzamt nicht auf Unkenntnis berufen. Denn in diesem Fall hätte der Vertrag erneut von der Klägerin angefordert werden müssen. Die Klägerin hingegen treffe kein Versäumnis, weil sie die erhaltenen Zahlungen in gleicher Weise wie in den Vorjahren in ihren Einkommensteuererklärungen angegeben habe. Die Revision zum Bundesfinanzhof (BFH) hat das FG nicht zugelassen.

Kontext der Entscheidung

Werden - wie im vorliegenden Fall - bestandskräftige Bescheide wegen (angeblich) neuer Tatsachen vom Finanzamt geändert, ist häufig streitig, ob das Finanzamt dazu verfahrensrechtlich überhaupt befugt ist. Dies ist z.B. dann nicht der Fall, wenn das Finanzamt seiner Verpflichtung, vor Erlass eines Bescheides den Sachverhalt von Amts wegen ausreichend zu ermitteln, nicht bzw. nicht genügend nachgekommen ist. Zu dieser Ermittlungspflicht gehört es auch, archivierte Akten beizuziehen, wenn dazu Veranlassung besteht. Eine solche Veranlassung war im zu entscheidenden Fall aus folgendem Grund gegeben:

Bei dem Bezug von Rente handelt es sich um ein sog. "Dauersachverhalt", d.h. um einen Sachverhalt, der nicht nur in einem einzigen Jahr steuerlich relevant ist. Dennoch ist das Finanzamt berechtigt bzw. verpflichtet, in jedem neuen Veranlagungszeitraum den Sachverhalt erneut rechtlich zu prüfen. Stellt sich dabei heraus, dass das Finanzamt bisher eine unzutreffende Rechtsauffassung vertreten hat, darf bzw. muss das Finanzamt die neue Rechtsauffassung umsetzen und die Besteuerung für die Zukunft entsprechend ändern. Das Finanzamt Bad Neuenahr-Ahrweiler hätte daher nicht einfach die Rechtsauffassung des zuvor zuständigen Finanzamtes übernehmen dürfen, sondern hätte selbst unter Beiziehung der dafür erforderlichen Unterlagen eine rechtliche Würdigung vornehmen müssen.

Die Entscheidung des FG hat über den entschiedenen Einzelfall hinaus für alle "Dauersachverhalte" Bedeutung, d.h. auch für andere Einkunftsarten (Arbeitslohn, Vermietungseinkünfte, Kapitaleinkünfte usw.) oder andere Steuerarten (z.B. Gewerbe- oder Umsatzsteuer).

Passau empfiehlt, dies zu beachten und ggfs. steuerlichen Rat in Anspruch zu nehmen, wobei er dabei u. a. auf den DUV Deutschen Unternehmenssteuer Verband (www.duv-verband.de) verweist.

Weitere Informationen und Kontakt:

Jörg Passau, Steuerberater und Vizepräsident sowie geschäftsführendes Vorstandsmitglied des DUV, c/o Passau, Niemeyer & Collegen, Walkerdamm 1, 24103 Kiel, Tel.: 0431 9743010, E-Mail: info@duv-verband.de, Internet: www.duv-verband.de

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