Stimmt die Chemie? Wie Sie fatale Fehler bei der Personalauswahl vermeiden können

13.03.2003
"Verflucht, der Neue ist doch nicht der Richtige." Dies stellen Unternehmensführer oft fest, kaum dass ein neuer Mitarbeiter, der ihr "Wunschkandidat" war, seinen Job angetreten hat. Wie Sie solche Pannen - beim Besetzen von Schlüsselpositionen - vermeiden, beschreiben Siegmar Baumann und Harald Stubbe*.

"Was sollen wir tun? Schon wieder mussten wir uns nach wenigen Monaten von einem neuen Bereichsleiter trennen." Solche Klagen vernehmen Berater oft im Gespräch mit den Personalverantwortlichen von Unternehmen. Oder: "Obwohl wir bei der Auswahl unseres Vertriebsleiters sogar einen Personalberater zurate zogen, erwies er sich als Flop." Solche Erfahrungen lassen bei vielen Personalverantwortlichen graue Haare sprießen. Schließlich entstehen einem Unternehmen schnell sechs-, wenn nicht gar siebenstellige Kosten, wenn sich der Inhaber einer Schlüsselposition als Flop erweist.

Nicht primär, weil dann alle Ausgaben für die Personalsuche und -auswahl Fehlinvestitionen waren. Entscheidender ist: Bleibt eine Schlüsselposition längere Zeit verwaist oder wird sie nicht adäquat wahrgenommen, entstehen den Unternehmen meist massive Folgekosten. Unter anderem, weil nötige Entscheidungen nicht rechtzeitig getroffen oder umgesetzt werden. Und hat ein Unternehmen erst einmal Marktanteile verloren - weil neue Produkte nicht rechtzeitig auf den Markt kamen oder die Vertriebsmannschaft ineffektiv arbeitete -, kämpft es oft jahrelang mit den Folgeproblemen. Ähnlich ist es, wenn nötige Umstrukturierungen oder Veränderungen der (Produktions-)Verfahren und Abläufe unterbleiben.

Besonders häufig kämpfen mit diesem Problem inhabergeführte Unternehmen. Sie haben meist eine sehr ausgeprägte Unternehmenskultur. In ihnen existiert eine Vielzahl von gemeinsamen (meist durch den Inhaber geprägte) Normen und Grundüberzeugungen, die sich in bestimmten Abläufen - zum Beispiel wie Entscheidungen getroffen werden oder die Alltagsarbeit strukturiert ist - niederschlagen. So zahlreich wie diese meist ungeschriebenen Regeln sind die Reibungspunkte, die sich im Alltag ergeben können, sofern der "Neue" nicht zum Unternehmen und seiner Kultur passt.

Ebenfalls häufig mit dem Prob-lem "Wie finden wir die passenden Mitarbeiter?" kämpfen Unternehmen, die sich klar am Markt positioniert haben und in denen sich aufgrund ihrer Spezialisierung oft über Jahre sehr enge Beziehungen zu den Kunden entwickelt haben. Auch hier gibt es meist sehr klare ungeschriebene Regeln, was der Einzelne zu tun oder zu lassen hat. Sei es, weil die Kundenbedürfnisse dies erfordern, sei es, dass sich bei den (Schlüssel-)Kunden im Laufe der Jahre eine bestimmte Erwartungshaltung an das Unternehmen und seine Mitarbeiter entwickelt hat. Entsprechend schwer fällt es "Fremden" oft, sich in dieses Beziehungsnetz zu integrieren.

Es nimmt deshalb nicht Wunder, dass man bei der Analyse, warum ein "Neuer" in solchen Unternehmen scheiterte, meist registriert: Es lag nicht an seiner fachlichen Qualifikation. Im Gegenteil: Häufig gestehen alle Beteiligten ein, dass er "gute" Konzepte entwickelte, die "genau die Kernprobleme trafen". Aber beim Umsetzen tauchten "unüberwindbare Hindernisse" auf.

Fragt man "Warum?", so lautet die vage Antwort meist: "Die Chemie stimmte nicht." Anschließend beginnt in der Regel eine lange Anekdotenstunde. Zahllose Situationen werden geschildert, in denen der "Neue" etwas tat, was bei den "Etablierten" - seien es Kollegen, Vorgesetzte, (Schlüssel-)Kunden oder Lieferanten - zunächst auf ein Stirnrunzeln und dann auf Widerstand stieß. Sie sollen belegen, warum der "Neue" - wider alle Erwartungen - nicht der "Richtige" war, weshalb eine Trennung im gegenseitigen Einvernehmen unumgänglich war.

Dabei kann es sich darum handeln, dass der Neue neue Bestellwege einführte, worüber einige Schlüsselkunden ihr Befremden beim Inhaber oder Geschäftsführer äußerten. Oder dass der Neue die wöchentlichen Bezirksleitertreffen durch monatliche ersetzte und die Teilnehmer stattdessen häufiger per E-Mail über Aktuelles informierte, weshalb die Bezirksleiter über seine "mangelnde Bereitschaft zur Zusammenarbeit" klagten. Die Liste der Beispiele könnte beliebig verlängert werden.

Doch sind solche Anekdoten Beweise dafür, dass der Neue nicht zum Unternehmen passte? Im Nachhinein kann diese Frage meist nicht eindeutig beantwortet werden, denn eine Führungskraft, die nötige Veränderungen durchsetzen möchte, erzeugt im Unternehmen (und bei Kunden) oft ähnliche Abwehrhaltungen wie eine Führungskraft, die "nicht zum Unternehmen passt".

Ähnlich ist es, wenn der Neue noch nicht seinen Schreibtisch wieder geräumt hat, sondern noch im Unternehmen aktiv ist. Auch dann bedarf es, wenn sich Widerstand regt, meist genauer Analysen, um festzustellen, ob Kunden, Kollegen oder Mitarbeiter zum Beispiel gegen den Neuen opponieren,

- weil er von ihnen zu Recht fordert, sich von lieb gewonnenen (Gewohnheits-)Rechten und Verhaltensmustern zu verabschieden, oder

- weil er tatsächlich Verhaltensmuster zeigt oder Entscheidungen trifft, die den Erfordernissen des Unternehmens unangemessen sind.

Das Verhalten des Umfelds lässt also keinen sicheren Rückschluss zu, ob der Neue

- wirklich nicht zum Unternehmen passt oder

- genau der Richtige ist, um endlich die erforderlichen Änderungen durchzusetzen.

Deshalb sollte bereits vor der Einstellung des Neuen ermittelt werden, ob die Chemie stimmt. Darauf verzichten viele Unternehmen, weil der weiche Erfolgsfaktor "Stimmt die Chemie?" schwieriger zu überprüfen ist als die fachliche Qualifikation.

Über die fachliche Qualifikation eines Bewerbers lässt sich anhand seiner (Arbeits-)Zeugnisse und der Herausforderungen, die er in seiner bisherigen beruflichen Laufbahn bewältigte, relativ leicht ein Urteil fällen. Anders ist dies bei Faktoren wie den Folgenden:

- Findet er einen Draht zu den Kollegen, Kunden oder Lieferanten, mit denen er zusammenarbeiten muss, oder den Mitarbeitern, die er führen soll?

- Kann er andere für nötige Veränderungen begeistern und sie als Mitstreiter gewinnen, ohne die Leistung seiner Vorgänger zu schmälern?

- Hat er das nötige Feeling für die "Notwendigkeiten" und "Empfindlichkeiten" im Haus, und bewahrt er trotzdem seinen eigenen Stil?

Hinzu kommt: Für die fachliche Qualifikation lassen sich einfach (Prüf-)Kriterien definieren. Viel Zeit und Energie erfordert es aber herauszuarbeiten, unter welchen Voraussetzungen Unternehmen und Bewerber zusammenpassen. Doch die Mühe lohnt sich. Das beweist ein Blick auf die (finanziellen) Schäden, die entstehen, wenn sich ein Unternehmen nach wenigen Monaten wieder von einem Neuen, der eine Schlüsselposition besetzen sollte, trennen muss. Deshalb kann der Appell an die Personalverantwortlichen nur lauten: Investieren Sie die nötige Zeit, um die erfolgskritischen Punkte zu ermitteln.

Dieser Prozess beginnt beim Formulieren der Anforderungen an den Neuen. Bereits dieser Mühe unterziehen sich viele Unternehmen nicht. Ihr Credo lautet: Ist doch klar, was ein Vertriebs- oder Produktionsleiter tun und können muss. Entsprechend vage bleiben nicht nur die in den Stellenanzeigen beschriebenen Anforderungen, entsprechend oberflächlich wird im Auswahlverfahren auch abgeklopft, ob der Bewerber "passt". Ein Check auf Herz und Nieren ist gar nicht möglich, weil das Unternehmen selbst nicht weiß, welches Wissen, Können und welche Erfahrung der künftige Stelleninhaber braucht.

Noch seltener analysieren Unternehmen:

- Welche Einstellung braucht der Neue, damit er das tun kann, was von ihm erwartet wird?

- Welche Konflikte können sich ergeben, wenn er das tut, was er tun soll?

- Mit wem können Konflikte auftreten?

Entsprechend nebulös bleiben meist die sozialen, kommunikativen sowie personalen Anforderungen, die an den Neuen gestellt werden.

Floskeln wie "team- und konfliktfähig" dominieren

In der Regel beschränken sie sich auf Floskeln wie "team- und konfliktfähig" sowie "entscheidungs- und umsetzungsstark" sein. Nicht konkretisiert wird, in welchem Verhalten sich diese Fähigkeiten zeigen. Folglich kann auch nicht gecheckt werden, ob der Bewerber über diese Fähigkeiten verfügt.

Hierfür ein Beispiel: Viele Führungskräfte sind durchaus entscheidungsstark, wenn es um Sachentscheidungen geht. Fix entscheiden sie zum Beispiel, ob dieser oder jener Computer gekauft werden soll und dass eine Aufgabe so und nicht anders erledigt werden soll. Schwer fallen ihnen aber alle Personalentscheidungen - insbesondere solche, die für (einzelne) Mitarbeiter negative Folgen haben. Ist hier im Vorfeld nicht klar definiert, worin sich die Entscheidungskraft zeigt und worauf sie sich bezieht, wird auch die Bewerberauswahl zum Lotteriespiel.

Nur selten überlegen sich Personalverantwortliche auch beim Formulieren der Anforderungen an künftige Stelleninhaber:

- Wodurch unterscheidet sich der ideale Stelleninhaber von demjenigen Kandidaten, den wir keinesfalls einstellen möchten?

- Was machen sie unterschiedlich?

- Welche unterschiedlichen Eigenschaften haben sie?

- Welche Anforderungen ergeben sich daraus?

Ungenutzt bleiben auch die Chancen, die sich daraus ergeben würden zu analysieren, was den vorherigen Stelleninhaber erfolgreich oder weniger erfolgreich machte. Durch Interviews mit Personen, die mit ihm zusammenarbeiteten, ließen sich zahlreiche Anforderungen an den künftigen Stelleninhaber ermitteln - unabhängig davon, ob sie mit ihm klarkamen. Sowohl aus ihren negativen als auch positiven Erfahrungen mit dem "alten" Stelleninhaber ließen sich konkrete Anforderungen an den Nachfolger ableiten.

Ist so ein Anforderungsprofil für den künftigen Stelleninhaber definiert, empfiehlt es sich, die einzelnen Anforderungen in einem Bewertungsschema (siehe Tabelle, Punkt 4) aufzulisten. Anschließend sollten Sie in dem Schema für alle Anforderungen definieren, wie stark sie beim bestmöglichen Stelleninhaber ("Star"), den Sie sich vorstellen können, und demjenigen, den Sie keinesfalls haben wollen ("Niete"), ausgeprägt sind. Dort, wo die Werte für den Besten und den Schlechtesten am weitesten auseinander klaffen, liegen die erfolgskritischen Fähigkeiten und Eigenschaften. Auf diese sollten Sie bei der Bewerberauswahl besonders achten.

So vorbereitet können Sie nicht nur das Anforderungsprofil an den künftigen Stelleninhaber viel schärfer formulieren, sie haben auch Entscheidungskriterien für dessen Auswahl zur Hand. Trotzdem sollten Sie sich bei Bewerbungsgesprächen nie ausschließlich auf Ihr Urteil verlassen. Ziehen Sie stets mindestens eine weitere Person hinzu, sodass Ihr Partner, wenn Sie beispielsweise das Gespräch führen, auf die nonverbalen Aussagen des Bewerbers achten kann. Diese sind oft aus-sagekräftiger als die verbalen. Schließlich versucht jeder Bewerber, sich im Bewerbungsgespräch im besten Licht zu präsentieren.

Bewährt hat es sich auch, den Bewerber mit Personen, mit denen er künftig zusammenarbeiten müsste, arbeitsbezogene Themen, über die man kontroverser Auffassung sein kann, debattieren zu lassen.

Zum Beispiel, wenn dies in Ihrem Unternehmen ein Thema ist, ob im Vertrieb eher freie Handelsvertreter oder fest angestellte Außendienstmitarbeiter eingesetzt werden sollten. Oder: Wie sollte die Leistungskontrolle erfolgen? Fragen sich die Gesprächspartner des Bewerbers anschließend zum Beispiel Folgendes:

- Welche neuen Erkenntnisse habe ich in dem Gespräch gewonnen?

- Wie ging der Bewerber mit anderen Meinungen um?

- Welche Schlussfolgerungen zog er aus neuen Informationen?,

dann wird den Beteiligten meist schnell deutlich, ob der Bewerber der "richtige" Mitarbeiter oder Kollege sein könnte. Ähn-lich erhellend ist die simple Fra-ge: War das Gespräch spannend? Zum Beispiel, weil es mir neue Impulse gab? Gelangen dann die Gesprächspartner zur Erkenntnis "Nein, ich konnte mir ein Gähnen kaum verkneifen", würde mit Sicherheit auch die Zusammenarbeit mit dem Bewerber zur Qual.

www.va-akademie.de

*Siegmar Baumann und Harald Stubbe sind Trainer und Berater bei der VA-Akademie für Führen und Verkaufen in Sulzbach.

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