Studie: Deutsche Firmen vergeuden ein Drittel der Arbeitszeit

17.08.2006
Missmanagement beginnt in der Chefetage
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Die alljährliche weltweite Produktivitätsstudie der amerikanischen Unternehmensberatung Proudfoot Consulting kommt zum folgenden Ergebnis: "Die Manager haben zu wenig Zeit, sich um die eigentlichen Führungsaufgaben zu kümmern. Sie erledigen zu viele Arbeiten selbst, anstatt sie zu delegieren." Außerdem gingen sie zu selten in den Betrieb, um mit ihren Mitarbeitern zu sprechen.

Besser wissen könnte nicht nur das deutsche Management inzwischen, dass viel zu viel Zeit in den Unternehmen unproduktiv genutzt werde. Zwar bescheinige die Proudfoot-Expertise vom Juli 2006 leichte Zeichen der Besserung gegenüber den Vorjahren, aber nach wie vor werden durch zu viel Verwaltung, Doppelarbeit und endlose Konferenzen Milliarden verschwendet. Nach Analysen von Proudfoot sei es allerdings verwunderlich, dass sich fast ein Viertel der Führungskräfte für 2006 kein Ziel hinsichtlich der Steigerung der Arbeitsproduktivität gesetzt habe. Am mangelnden Bedarf für Veränderungen kann es nicht liegen. Danach werden weltweit 30 Prozent der geleisteten Arbeitzeit unproduktiv verwendet, in deutschen Betrieben verplempert jeder Mitarbeiter im Schnitt 32,5 Tage pro Jahr mit Tätigkeiten, die der Firma absolut nichts bringen.

Daraus lasse sich ein Gesamtschaden von mehr als 170 Milliarden Euro pro Jahr für die deutsche Wirtschaft ableiten - was knapp acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspreche. Die Eindämmung unproduktiver Arbeit sei aber nicht nur das Problem einer bestimmten Nation oder Branche, sondern eine Herausforderung für alle. "Eines ist gewiss: die Unternehmensführung hat bei diesen Initiativen die Rolle der treibenden Kraft zu übernehmen", fordert Proudfoot-Chef Luiz Carvalho. Investitionen, die zur Effizienzsteigerung beitragen könnten, seien Investitionen in der Informations- und Kommunikationstechnik, sofern solche Programme mit geeigneten Mitarbeitern sowie den gebotenen Verhaltens- und Organisationsveränderungen umgesetzt werden.

"Die Ergebnisse des Conference Boards bestätigen dies, aber aus unserer Umfrage wissen wir, dass viele Unternehmen diese Tatsache erst noch akzeptieren müssen. Ironischerweise steht in den Unternehmen mehr Kommunikationstechnik als je zuvor zur Verfügung, während interne Kommunikationsprobleme immer noch als größte aller Produktivitätsbarrieren eingestuft werden. Vielleicht ist es an der Zeit, die Technik zuweilen zu Gunsten persönlicher Gespräch zu vernachlässigen", empfiehlt Carvalho. Das wäre nach Erfahrungen von Mehdi Schröder, Mehdi Schröder, Vice President Enterprise bei Ericsson Deutschland, höchst fahrlässig. "Das eine darf das andere nicht ausschließen. Die Investition in moderne Kommunikationstechnik muss allerdings als Aufgabe des kompletten Managements gesehen werden. Da sollte man die IT-Abteilung nicht alleine im Regen stehen lassen", so Schröder. Vor allem wegen der wachsenden Mobilitäts-Anforderungen für Unternehmen, führe kein Weg an der Einführung von leistungsfähigen ortsunabhängigen Kommunikationssystemen vorbei. "Die Integration von Sprache und Daten, die Migration von Kommunikationssystemen über das Internet Protokoll, die Verschmelzung von Nebenstellen der klassischen TK-Anlage und IP-Telefonie mit mobiler Kommunikation muss zur Chefsache erklärt werden", so Schröder.

Bernhard Steimel, Sprecher der Brancheninitiative Voice Business und Geschäftsführer der Düsseldorfer Firma Mind Business Consultants, ist von den Ergebnissen der Studie nicht überrascht. "Der Befund von Proudfoot legt den Finger in die Wunde: Es fehlt im Top-Management am Bewusstsein, dass nicht nur in der industriellen Fertigung, sondern auch für die Erbringung von Dienstleistungen die Arbeitsproduktivität wichtig ist. Ein Beispiel: Zwar werden heute die Abläufe in vielen Call Centern nach Effizienzkriterien organisiert, in den dahinterliegenden Verwaltungseinheit wird jedoch oftmals noch gefertigt wie in den altehrwürdigen Manufakturbetrieben. Produktivitätszuwächse lassen sich durch die Neugestaltung der Service-Prozesse erreichen. Erst allmählich beginnen Unternehmen ihre Call Center in die Gesamtstruktur des restlichen Unternehmens zu integrieren. Diese Eingliederung kann eine Revolution in der Bearbeitung von Kundenabläufen bewirken", sagt Steimel. Auch für die Dienstleister der Call Center-Branche stelle das eine neue Herausforderungen dar, denn sie müssten ihre Prozesskompetenz erhöhen und die Integration der Back Office-Systeme ihrer Auftraggeber in ihre eigenen Kundenprozesse vorantreiben und auf die richtige Mischung setzen: "Anrufvorqualifizierung so früh wie möglich und bereits im intelligenten Netz, Automatisierung einfacher, rekurrierender Dienste und hochwertige Beratungs- und Verkaufsgespräche mit spezialisierten Agenten für werthaltige Kunden", führt Steimel weiter aus.

Moderne Technik alleine könne Unternehmen nicht produktiver machen, glaubt Michael Sander von der Lindauer Unternehmensberatung Terra Consulting Partners: "Salopp ausgedrückt, E-Mails machen Kommunikation nur schneller, nicht notwendigerweise besser oder richtiger. Gerade Grossunternehmen haben aber mit Strategie, Umsetzung und Führung enorme Probleme, die sich gerade nicht mit Technik lösen lassen, da diese Probleme meist in den handelnden Personen liegen. Falsche Markteinschätzungen und unternehmerische Fehleinschätzungen liegen nicht an der eingesetzten ERP-Software oder der Architektur des Intranet". Informationstechnik und Telekommunikation sei ein "kommunikatives Schmiermittel" in Unternehmen - nicht mehr und nicht weniger. "In einer globalen Welt ist das technische Niveau allerdings so hoch, dass man leicht in Versuchung gerät, die hohe Komplexität und den hohen technologischen Anspruch gleichbedeutend mit Einfluss auf die Produktivität zu setzen. Dem ist aber ganz und gar nicht so. Jedes Unternehmen braucht im modernen Wettbewerb die möglichst modernste Technologie, um gegen die besten Wettbewerber mithalten zu können. Allerdings sind die besten Wettbewerber nicht die besten, weil sie die beste Technologie haben, sondern die besten Köpfe - im Sinne von Stratege, Umsetzern und Unternehmensführern", resümiert Sander. (www.ne-na.de/mf)

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