Sturm im Wasserglas oder Krise?

04.03.2004
Personalabbau - das bedeutet Stress für alle Beteiligten im Unternehmen. Entsprechend schnell eskalieren dann Konflikte. Wie man die Gefühlsfallen mithilfe der so genannten "Outplacement-Berater" umgeht, erklärt Managementcoach Frank Adensam.

Immer häufiger stehen Unternehmen vor der Aufgabe, Personal abzubauen. Egal aus welchen Gründen dieser Prozess notwendig ist, stets gilt: Er bedeutet für alle Beteiligten eine hohe Belastung, unabhängig davon, ob sie zu den "Endscheidern" oder den "Vollstreckern", zu den gekündigten oder den verbleibenden Mitarbeitern oder zum Betriebsrat gehören. Um eine Eskalation zu vermeiden, sollten in dieser ohnehin angespannten Situation Pannen und überflüssige Konflikte vermieden werden. Hilfreich ist dabei, sich die besonderen (psychischen) Belastungen und Aufgaben bewusst zu machen, vor denen die am Personalabbau Beteiligten stehen.

1. Die "Entscheider": Sie tragen die Verantwortung

Der Vorstand oder die Geschäftsleitung trifft die Entscheidung zum Personalabbau. Zumindest in Großunternehmen sind diese Endscheider meist nicht unmittelbar in die operative Seite des Abbaus involviert. Sie tragen jedoch die Verantwortung für den Erfolg einer Maßnahme, die zahlreiche Gefahren in sich birgt. Die negativen Folgen können sein: allgemeine Unruhe und Demotivation in der Belegschaft, Fluktuation der Leistungsträger, erhöhter Krankenstand und natürlich auch Schäden am Unternehmens- und Markenimage. Also müssen die Endscheider im Vorfeld unbedingt abwägen: Ist der "Gewinn", der durch den Personalabbau entsteht, kurz-, mittel- und langfristig wirklich größer als der "Schaden"?

Entscheiden sie sich für den Personalabbau, sollten sie folgende Maximen beachten:

- Offen kommunizieren: Der Vorstand oder die Geschäftsführung sollte den Mitarbeitern die Gründe, die Ziele und den geplanten Ablauf des Revirements darlegen.

- Schnell handeln: Nach der Information der Belegschaft existiert ein "Window of Opportunity" von etwa drei Monaten. In dieser Zeit werden Veränderungen am ehesten akzeptiert.

- Hängepartien vermeiden: Die Belegschaft durchläuft nach der Ankündigung des Personalabbaus emotional ein tiefes Tal. Diese Situation muss schnell überwunden und der Blick wieder nach vorne gerichtet werden.

- Den Personalabbau fair und sozialverträglich gestalten: Dies hilft, versteckte Kosten, beispielsweise aufgrund einer gesunkenen Arbeitsmoral und juristischer Auseinandersetzungen, zu vermeiden.

- Einzelgespräche mit Leistungsträgern führen: Ihnen sollten unter anderem ihre Perspektiven im Unternehmen verdeutlicht werden, um ein Abwandern zu verhindern.

2. Die "Vollstrecker": Sie führen die Maßnahme durch

Wenn Personal abgebaut wird, stehen meist die vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Mitarbeiter im Fokus der Aufmerksamkeit. Wenig Beachtung wird den "Vollstreckern" des Vorstands- oder Geschäftsleitungsbeschlusses geschenkt. Dabei benötigen sie oft selbst eine (emotionale) Unterstützung, da sie direkt an der Front stehen.

Die Situation der "Vollstrecker" ist während des Personalabbauprozesses unter anderem durch folgende Faktoren gekennzeichnet:

- eine hohe Arbeitsbelastung aufgrund zusätzlicher Aufgaben wie Einzelgespräche führen, Aufhebungsverträge abschließen, Arbeitszeugnisse verfassen und

- einen hohen emotionalen Stress wegen der unmittelbaren Auseinandersetzung mit den (betroffenen) Mitarbeitern, die oft ein Feindbild gegenüber den "Vollstreckern" entwickeln.

Mit dieser Situation umzugehen fällt vielen Führungskräften und Mitarbeitern von Personalabteilungen schwer, weil sie auf die Aufgabe Personalabbau schlecht vorbereitet sind und hierbei wenig mentale Unterstützung erfahren. Hinzu kommt: Sie durchleben ein Wechselbad der Gefühle. Sie empfinden Mitgefühl mit den Betroffenen; zudem befürchten sie oft selbst, mittelfristig arbeitslos zu werden. Denn wenn die Zahl der Mitarbeiter sinkt, geht auch der Bedarf des Unternehmens an Führungskräften und Personalfachleuten zurück. Folglich kann die "Vollstrecker" das loyale Umsetzen der Beschlüsse ihrer Vorgesetzten letztlich den Arbeitsplatz kosten.

Diese Bedenken und Ängste können und dürfen die Mitarbeiter aber nicht zeigen. Also fehlen ihnen firmenintern auch mögliche Gesprächspartner, was den inneren Druck weiter erhöht. Erleichterung können den "Vollstreckern" in dieser Situation zum Beispiel eine Vorbereitung auf das Führen der Trennungsgespräche in Seminaren und ein regelmäßiges Coaching durch externe Berater während der heißen Phase des Personalabbaus bieten.

3. Die "Gekündigten": Sie müssen gehen

Wenn ein Personalabbau angekündigt wird, verfolgen die Mitarbeiter meist zunächst die "Vogel-Strauß-Taktik". Sie gehen in Deckung und hoffen, dass das Schicksal "Kündigung" jemand anderen trifft. Steht fest, wenn Entlassungen anstehen, spaltet sich die Belegschaft meist in Betroffene und Nicht-Betroffene.

Auf die Mitteilung ihrer Kündigung reagieren die Betroffenen unterschiedlich. Es gibt

- den "Gefassten", der keine Emotion zeigt,

- den "Geschockten", der Mitleid erregt,

- den "Hysterischen", der emotional diskutiert,

- den "Verhandler", der rational das Gespräch sucht und

- den "Bettler", der mit seinen Unterhaltsverpflichtungen und seiner Loyalität argumentiert.

Nach diesen ersten Reaktionen suchen die meisten Betroffenen Hilfe beim Betriebsrat, der Gewerkschaft und/oder einem Rechtsanwalt. In dieser Phase tritt die Leistungserstellung in den Hintergrund. Quantitäts- und Qualitätsvorgaben werden nicht mehr eingehalten. Der Krankenstand steigt, Mitarbeiter stehen in Grüppchen zusammen und tauschen ihre Meinungen aus. Viele sind wütend auf das Management und die Personalabteilung. Sie haben Angst vor der Zukunft, da sie wissen: Wer heute seinen Arbeitsplatz verliert, findet oft nur schwer eine adäquate neue Stelle.

Zugleich wissen die Gekündigten aber oft nicht, wie sie diesem Problem begegnen sollen - zumindest wenn sie sich seit Jahren nicht mehr beworben haben. Denn dann haben sie meist keinen Überblick über den Arbeitsmarkt: Sie wissen nicht, wo und wie sie sich bewerben könnten, können nicht einschätzen, inwieweit ihre Qualifikation am Arbeitsmarkt gebraucht wird. Entsprechend deprimiert, mut- und perspektivlos sind viele von ihnen.

4. Die "Survivors": Sie durchleben ein Wechselbad

Die "Survivors" sind meist die am wenigsten beachtete Gruppe. Dabei verdienen sie schon deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil das Unternehmen mit ihnen die Zukunft meistern will. Beim Personalabbau tragen die "Survivors" Wasser auf beiden Schultern: Sie bedauern die Betroffenen, mit denen sie teilweise jahrelange Arbeitsbeziehungen und oft sogar Freundschaften verbinden. Sie wünschen sich, etwas gegen das Ausscheiden ihrer Kollegen tun zu können. Sie fühlen sich als "Verbleibende" mitschuldig an deren Schicksal. Andererseits wollen und müssen sie gegenüber dem Unternehmen loyal bleiben, während die Betroffenen auf die Firma und das Management schimpfen.

Dieses gefühlsmäßige Hin- und Hergerissensein endet erst, wenn die Gekündigten tatsächlich das Unternehmen verlassen haben. Es bewirkt auch Verhaltensänderungen bei den Verbleibenden. Oft sinkt während des Trennungsprozesses auch ihre Motivation und Risikobereitschaft. Sie fehlen häufiger, sind weniger produktiv, und einige verlassen sogar freiwillig das Unternehmen. Wie stark die Verhaltensänderung ist, hängt davon ab, ob die Survivors den Personalabbauprozess als fair bewerten und ob sie davon positive oder eher negative Auswirkungen auf ihre eigene Arbeitssituation erwarten. Fazit: Auch hier sind Fingerspitzengefühl und Kommunikation gefragt.

5. Der Betriebsrat: Er muss vermitteln

Ein starker Betriebsrat ist ein Gewinn für Unternehmen; das zeigt sich gerade während der unruhigen Zeiten eines Personalabbaus. Ein "guter" Betriebsrat kennt nicht nur die Kollegen, er kann auch die Betriebs- und Marktsituation einschätzen. Deshalb bringt er oft kreative und konstruktive Ideen ein, mit denen der Personalabbau sozialverträglich gestaltet und das Unternehmen wieder in ruhigeres Fahrwasser gebracht werden kann. Zudem unterhält der Betriebsrat meist engere persönliche Kontakte mit den Kollegen als die Geschäftsleistung. Deshalb kann er Stimmungen früh erkennen und so lenken, dass überflüssige Konflikte vermieden werden. Ein starker und kompetenter Betriebsrat, der nicht unter dem Einfluss von Gewerkschaftsfunktionären steht, kann ein Co-Management zum Wohle aller Beteiligten betreiben.

Doch selbst wenn der Betriebsrat die betrieblichen Notwendigkeiten anerkennt und konstruktiv an sozialverträglichen Lösungen mitarbeitet, geraten auch seine Mitglieder in Solidarisierungskonflikte. Einerseits möchten sie möglichst viele Mitglieder in der großen "Betriebsfamilie" halten und unterstützen die Betroffenen bei deren Kampf um ihren Arbeitsplatz. Andererseits wissen sie, dass die Zahl der Mitarbeiter, die bleiben können, meist feststeht und erst wieder Ruhe einkehrt, wenn der Personalabbau abgeschlossen ist. Entsprechend wankelmütig verhalten sie sich oft.

6. Outplacement-Berater

In der ohnehin angespannten Situation des Personalabbaus gilt es, alle überflüssigen Konflikte zu vermeiden. Sie entstehen oft dadurch, dass Mitarbeiter nicht ausreichend informiert und in den Prozess einbezogen werden. Hinzu kommt gerade bei Fusionen und Übernahmen, dass kulturelle Differenzen zwischen den Unternehmen vernachlässigt werden und fundierte Integrationskonzepte fehlen.

Um solche Pannen zu vermeiden, holen Unternehmen zuweilen Outplacement-Berater an Bord, die

- mit ihnen eine Art Drehbuch für den Personabbauprozess und die sich daran anschließende "Neuorientierung" des Unternehmens entwerfen,

- die Führungskräfte auf die anstehenden, ungewohnten und unangenehmen Aufgaben vorbereiten und

- den gekündigten Mitarbeitern helfen, für sich eine neue berufliche Perspektive zu entwickeln,

sodass der Betriebsfrieden gewahrt bleibt und das Unternehmen nicht langfristig unter dem Personalabbau leidet - zum Beispiel in Form langwieriger Kündigungsschutzprozesse oder einer geringeren Identifikation der Survivors mit ihrem Arbeitgeber.

Von allen Beteiligten profitieren die Gekündigten am unmittelbarsten von der Arbeit der Outplacement-Berater. Sie werden emotional aufgefangen und mit ihren Sorgen von professionellen Beratern angenommen. Sie werden auf die Aufgabe "Stellensuche" vorbereitet und aktiv vermittelt. Dadurch sinkt der Druck im Kessel, und das Betriebsklima bessert sich.

Meist nehmen die Betroffenen die Hilfe gerne an. Anfangs nutzen sie diese als Ventil und Blitzableiter. Sie schimpfen auf die Firma und das Management. Später kümmern sie sich intensiv um ihre Neuorientierung, sodass oft zwei Drittel von ihnen, wenn sie endgültig aus dem Unternehmen ausscheiden, bereits eine neue berufliche Perspektive haben. Dies kommunizieren sie auch den "Survivors". Insofern verschafft die Outplacement-Beratung auch ihnen Erleichterung: Die Verbleibenden können sich ohne Gewissensbisse dem Unternehmen gegenüber loyal und engagiert zeigen. Sie wissen, dass den Betroffenen Unterstützung gewährt wird.

Durch die vielen Seminar- und Beratungstermine, welche die Gekündigten während der Restlaufzeit ihres Vertrages beim Outplacement-Berater absolvieren, kommt es auch zu einer räumlichen Entzerrung. Diese ist meist sinnvoll, da auf einen Survivor nichts demotivierender wirkt als ein betroffener Kollege, der schimpfend oder depressiv am gegenüberliegenden Schreibtisch sitzt.

Auch die "Vollstrecker" erfahren eine emotionale und praktische Entlastung. Denn durch die Outplacement-Beratung sinkt das Konfliktpotenzial, werden Arbeitsgerichtsprozesse seltener und Regelungen mittels Aufhebungsvertrag erleichtert. Und der Betriebsrat? Er schafft den Spagat zwischen seiner Verpflichtung zum Vermeiden sozialer Härten und dem Beachten betrieblicher Notwendigkeiten.

Dem Vorstand oder der Geschäftsleitung hilft diese Zusammenarbeit, die schwer kalkulierbaren, verdeckten Kosten eines Personalabbaus - beispielsweise durch betriebliche und juristische Konflikte - weit gehend zu vermeiden. Außerdem beweist das Unternehmen hierdurch seine Fürsorge für die Mitarbeiter - selbst in "schlechten Zeiten". Dies verhindert Imageschäden nach innen und außen.

Frank Adensam ist Inhaber der Adensam Managementberatung in Groß-Gerau. www.adensam.de

Zur Startseite