Stuttgarter Systemhaus expandiert nach internem Umbau

20.08.1998

STUTTGART: Ein Systemhaus der etwas anderen Art ist in der schwäbischen Landeshauptstadt Stuttgart beheimatet. Ursprünglich als Rechenzentrum dreier Zeitungsverlage gegründet, offeriert die Medien System Haus GmbH (MSH) den Verlagen heute ein Full-Service-Angebot: von der kaufmännischen SAP-Branchenlösung über Redaktionssysteme, 24 Stunden IT-Services bis hin zu Online-Diensten. MSH sieht sich damit in der typischen Integratorenrolle.Für Peter Finkel ist die Sache klar.

"Wir haben ein Vierteljahrhundert im Mauseloch gesessen. Aber jetzt machen wir ernst mit dem Marktauftritt", betont der Leiter Marketing und Vertrieb Medien System Haus GmbH & Co. KG. "Wir sind auf Expansionskurs", fügt er hinzu. Zwar redet der Manager aus Rücksicht auf seine Gesellschafter nicht gern über Umsätze und läßt nur durchblicken, daß MSH die 100 Millionengrenze noch nicht erreicht habe. Doch immerhin wurde die Belegschaft seit 1997 um zehn Mitarbeiter auf 140 insgesamt aufgestockt.

Gegründet wurde MSH bereits 1971 von drei Tageszeitungsverlagen im Südwesten. Die Medienunion Ludwigshafen ("Die Rheinpfalz"), die Zeitungsgruppe Stuttgart ("Stuttgarter Zeitung", "Stuttgarter Nachrichten") und die Neue Pressegesellschaft Ulm ("Südwestpresse") hatten dabei den für damalige Verhältnisse fortschrittlichen Gedanken des Outsourcings. Man wollte EDV-Know-how in einem gemeinsamen Rechenzentrum bündeln. Bis zu 3.000 Terminals hatte das Unternehmen so verwaltet. Und: "Fast 25 Jahre haben wir auf Basis von IBM-Großrechnertechnologie Eigen- und Weiterentwicklungen betrieben und ein komplettes Angebot für Zeitungsverlage geschaffen", wie Finkel erläutert.

So wurde zunächst das "Integrierte Redaktions- und Anzeigensystem"

(IRAS), das alle Abläufe in Zeitungsredaktionen und Anzeigen-abteilungen bis hin zu Belichtungsansteuerung, Finanzrechnungswesen sowie Vertrieb managte, immer weiter entwickelt und mit der Zeit auch für den Buchdruck und die Zeitschriftenverlage angepaßt. "Damit konnten wir zunächst die Tochterunternehmen unserer Gesellschafter bedienen. Anfang der 80er Jahre begannen wir damit, regional einzelne Kunden zu gewinnen", erzählt Finkel.

R/3 als wichtiges Standbein

Einen großen Schub erfuhr MSH Anfang der 90er Jahre mit dem Stuttgarter Klett-Verlag als neuem Gesellschafter - schließlich verlangt ein Verlag mit über 20.000 Titeln und 3.000 bis 4.000 Autoren nach anspruchsvoller Software, beispielsweise für Auflagenplanung, Lagerlogistik und Autorenmanagement. Von Anfang an war für die Stuttgarter klar, daß solche Lösungen nur auf Basis von SAP-Programmen realisierbar sein würden. Handelte es sich hier zunächst um R/2, das vom Medien System Haus bei seinen Gesellschaftern und Kunden eingeführt wurde, setzen zumindest die größeren Verlage heute überwiegend auf R/3. Allein beim Klett-Verlag ist das momentan laufende Projekt auf zwei bis drei Jahre angesetzt.

"Für die Medienindustrie gibt es im Moment nichts Professionelleres als SAP. Baan konnte in Deutschland diesbezüglich keinen Fuß fassen", begründet Finkel die Strategie seines Unternehmens. So war es nur konsequent, daß MSH im Februar 1997 auch offiziell zum R/3-Systemhaus wurde. Klarer Schwerpunkt für MSH ist die Integration von Publishingsoftware in die SAP-Welt. Das Systemhaus ist für die Walldorfer Beratungs- und Entwicklungspartner bei entsprechenden Branchenlösungen. Doch sollen in Zukunft auch "normale" R/3-Auträge gewonnen werden.

Auch ein komplettes Outsorcing ist denkbar

Zunächst bieten sich in der Medienbranche zahlreiche Geschäfts-möglichkeiten an, auch wenn sich MSH in einem sehr engen Markt bewegt. Im Bereich der Tageszeitungen gibt es nur etwa 300 potentielle Kunden, um die sich nach Aussage Finkels acht bis zehn Mitbewerber ernsthaft bemühten. "Viele Verlage sind technisch am Ende der Fahnenstange angelangt und mit Großrechnern oder mittlerer Datentechnik ausgestattet. Da hat jeder irgendwann einmal Umstellungsbedarf", skizziert Finkel die Perspektiven für Integratoren. Durch den Jahrtausendwechsel würden diese noch rosiger werden, da das Problem von vielen Verlagen noch gar nicht erkannt sei.

Das Medien System Haus sieht sich hier einerseits in einer komfortablen Situation, da es Verlagen ein komplettes Dienst-leistungsangebot mit allen denkbaren Branchenlösungen bis hin zum vollständigen Outsourcing unterbreiten kann. Andererseits spüren die Stuttgarter bei einigen Kunden den Wunsch, dem Dienstleister in der Client/Serverwelt nicht mehr alle Aufgaben zu übertragen und in einigen Bereichen wieder selbst Kompetenz aufzubauen.

"Doch insgesamt sind wir mit unserem Angebot in den vergangenen Monaten auf eine positive Resonanz gestoßen und haben eine sehr hohe Projektauslastung", freut sich Finkel.

Zu verdanken ist dies natürlich vor allem den Lösungen von MSH, mit denen - beispielsweise durch eine enge Verzahnung kaufmännischer und technischer Daten - die bisher etwa 20 Arbeitsschritte vom Anzeigenauftrag bis hin zur Veröffentlichung auf ein bis zwei Arbeitsgänge reduziert werden konnten. Weitere Beispiele für die Arbeit des Systemhauses sind die Integration von Archiven in Redaktionssysteme oder andere Features, die den Workflow in den Verlagen unterstützen. Dazu gehört auch die Möglichkeit, Kleinanzeigen, die für eine Zeitung aufbereitet werden, zugleich automatisch ins Internet zu stellen. Eine Lösung, die beispielsweise die Stuttgarter Zeitung für ihren virtuellen Automarkt einsetzt, wobei MSH hier außerdem als Onlineprovider auftritt.

Internationalen Marktauftritt im Visier

Beim Aufbau des Vertriebs vor eineinhalb Jahren startete Finkel auch Messeauftritte, Fachvorträge und Mailingaktionen. Aggressivere Vertriebsformen wie Direct Marketing oder Telesales sind da momentan nicht notwendig. Auch setzt der Arbeitsmarkt dem Wachstum des Unternehmens Grenzen. Besonders ein Joint-venture von SAP und Heidelberger Druckmaschinen erschwert dem MSH die Personalsuche. Betont der Marketier: "Walldorf ist in der Beziehung für uns wie ein großes schwarzes Loch, auch wenn die Kooperation der beiden Weltfirmen auf Produktebene sicher Vorteile für MSH mit sich bringt."

Unabhängig davon will der Integrator sein Geschäft in verschiedene Richtungen ausdehnen. Besonders um Kunden in Norddeutschland einfacher bedienen zu können, wird zur Zeit überlegt, welche Unterstützung Partner in Vertrieb und Projektgeschäft leisten könnten. Zusätzlich strebt das Unternehmen an, auch

im englischen und französischen Sprachraum präsent zu sein. Den Anfang machte ein Auftrag des Pariser Verlages Intra-Presse ("Le Parisien", "L'Equipe"). Doch die Suche nach Standorten und Partnern im Ausland sowie fremdsprachigen Mitarbeitern für Vertrieb und Programmierung "ist ein sehr großer Aufwand", weiß Finkel. Außerdem sollen neben Verlagskunden künftig auch Fernsehsender und Radiostationen gewonnen werden. Finkel: "Natürlich sind das ehrgeizige Ziele, aber man muß sich doch auch mit Visionen begeistern und motivieren."

Das Full-Service-Angebot der Stuttgarter umfaßt neben Beratung, Kundenmanagement und Support auch Schulungen.

Seit mehr als einem Vierteljahrhundert aktiv, probt MSH heute den Marktauftritt über die schwäbischen Landesgrenzen hinaus.

Das Full-Service-Angebot der Stuttgarter umfaßt neben Beratung, Kundenmanagement und Support auch Schulungen.

*Der Autor Thomas Pleil ist freier Journalist in Stuttgart

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