"Sun Network" in Berlin: Der Sonnenkönig stellt seine neuen Kleider vor

11.12.2003
Vor mehr als 6.000 Besuchern versuchte Sun-Gründer Scott McNealy, alle Zweifel an der Zukunft des Sonnenkönigs für gegenstandslos zu erklären. Doch er konnte nicht davon ablenken, dass Sun derzeit aus der Defensive heraus agiert. Gleichwohl zeigte die Berliner Veranstaltung, dass Sun sich neue Kleider zulegen konnte. Von ComputerPartner-Redakteur Wolfgang Leierseder

Es wäre bestimmt schön, wenn man sich neu erfinden könnte. Wenigstens ein Mal. Dann könnte man auf das alte Leben zurückgreifen, ohne dessen Fehler zu wiederholen. Vor allem aber könnte man noch einmal naiv loslegen. Wie damals, Anfang der 90er-Jahre, als Sun den Mainframer mit Sparc-Prozessoren und der Berkeley-Erfindung Solaris vormachte, was Client-Server-Computing sein konnte. Oder ein paar Jahre später mit der Programmiersprache Java.

Doch heute, obwohl in 150 Millionen Handys Java-OS werkelt, obwohl die UltraSparc-Entwickler in der Lage sind, 32 SMP-Prozessoren auf einem Chip zu vereinigen, fühlt sich der Sun-Chef nicht sonderlich wohl. Das war auf der erstmals nach Europa gekommenen, in Berlin veranstalteten "SUN Network"-Konferenz allenthalben zu spüren. Und so verwunderte es nicht, dass sich die rund 6.300 Angereisten, Sun-Nutzer und rund 200 Partner an den zwei langen, mit insgesamt über 100 Vorträgen und Keynotes vollgestopften Tagen auch mit diesem Thema beschäftigten.

Suns Kundenkrise ...

Denn Sun hat ein großes und viele kleine Probleme, und es schien bisweilen in Berlin so, als wüsste die bis vor zwei Jahren von Erfolg zu Erfolg eilende Firma immer noch nicht, wie sie mit dem kontinuierlichen Umsatzrückgang und dem Entsetzen umgehen soll, das sie seit dem Dotcom-Crash und dem fast gleichzeitigen plötzlichen Investitionsstopp der Telekommunikations- und Finanzanbieter befallen hat.

Natürlich versuchte Sun-Chef Scott McNealy in Berlin, alle Zweifel über die Zukunft seiner Firma vom Tisch zu fegen. Er erzählte davon, dass die Berliner wie die kommende "Sun Network" in Shanghai Besucher abweisen musste, dass Sun die Serverpreise des einst als Logistiker geschmähten Rivalen Dell unterbieten werde und dass die anstehenden und mittelfristig kommenden Aufgaben allseits vernetzter Computer bei Sun am besten aufgehoben seien. Wer es nicht glauben wollte, der wurde belehrt, dass ein Kontostand von über fünf Milliarden Dollar alle Zukunftsfragen eindeutig zugunsten der Company beantworte.

Aber McNealy ist dünnhäutig geworden. Seine angesichts der 30 Monate dauernden Verlustserie kaum ergiebige Antwort auf die Frage, wann er damit rechne, dass Sun wieder profitabel sein wird, war: "Das überlassen wir den Analysten." Die Frage, was Sun den im Finanzbereich kräftig Kunden abziehenden Serviceabteilungen des "Monteurs" IBM und des "Druckerverkäufers" HPs, so McNealy, entgegensetzen werde, beantwortete er so: "Wir sind ein Systemanbieter. Dafür geben wir jährlich Milliarden Forschungs-Dollar aus."

... und ihre Bewältigung

Dabei konnte Sun in Berlin durchaus plausibel zeigen, dass es eine gewichtige Rolle im Markt für Netzwerk-Computing spielen kann. Nicht nur mit der Infrastruktur-Verwaltungssoftware "N1", die bereits an über 100 Kunden verkauft wurde und in Datencentern für applikations- und netzgerechtes Management sorgen soll, den Java-Paketen "Desktop System" und "Enterprise System" und "Trusted Solaris", sondern auch in den für Sun so wichtigen Hardwarebastionen Workstation, bei Blade-Servern und bei der Weiterentwicklung der UltraSparc-Prozessoren.

Rund 500 Millionen Dollar habe allein die Entwicklung der 20 neuen Produkte verschlungen, die in Berlin vorgestellt wurden. Nicht mehr als eine Hand voll IT-Unternehmen würden für Entwicklung, aber auch grundlegende Forschung noch nennenswert Geld ausgegeben, wetterte McNealy, und wer sich die Forschung der Company anschaue, müsse erkennen , dass weder IBM - eine Firma, merkte der Sun-Vorsitzende sarkastisch an, "die bei einem Kundenprojekt 400 Leute losschickt, die beim Kunden dann alles Mögliche als Lösungen zusammenstopseln" - noch HP Vergleichbares anbieten könnten.

Für die Erläuterung seiner Behauptungen war das Top-Management Suns nach Berlin gekommen. So erklärte der Chip-Oberste Marc Tremblay, wie sich Sun seine Prozessorzukunft in Computernetzen vorstelle und wie sie in die Ultrasparc 5-Version einfließen sollen. Vor allem das zeitnahe Beherrschen vieler, unterschiedlicher Tasks mittels Multithreading, wobei dicht gepackte SMP-Prozessoren auf einem Chip werkeln, müsse erreicht werden. Hier sei Sun auch im Lowend-Bereich in der Lage, auch durch die enge Opteron-Kooperation mit AMD bis zu acht Prozessoren auf 64-Bit-Verarbeitung zu trimmen. Zudem werde 2005 ein derzeit "Niagara" genannter Single-Chip für Sun-Rechner auf dem Markt erscheinen, in dem die Sparc-Fortentwicklung realisiert sei.

Larry Singer, verantwortlich für Suns weltweite Marktstrategie, erklärte, wie wichtig Suns Vorstoß in die SMB-Gefilde seien. In diesen sei Sun zwar so gut wie unbekannt, doch mit Java, das an Universitäten verteilt werde, das über junge Programmierer unweigerlich in die Unternehmen getragen werde, werde sich das ändern.

Zudem, so erklärte Neil Knox, verantwortlich für das neue Volumengeschäft, werde Sun seinen "Hardwarevorsprung" auch dem SMB-Markt erklären: "Kunden müssen wissen, ob sie viele Daten einer Anwendung bearbeiten müssen oder ob unterschiedliche Anwendungen die Server-Anforderungen bestimmen." Stephan Huwer, in Deutschland für das Partnermarketing zuständig, erläuterte, dass Sun bei Lowend-Servern mit 50, mittelfristig mit 200 neuen Partnern rechne.

So machte Sun in Berlin klar: Es rechnet fest mit neuen Kunden, mit noch viel mehr Java in Unternehmen und Computernetzen, deren Komplexität Hard- und Software erfordern, wie sie Sun anbieten kann.

Meinung des Redakteurs

Suns Berliner Vorstellung machte deutlich, dass sich die Company weiterhin als gewichtiger Anbieter von vernetzten Computern und dafür geeigneter Software sehen kann. Allein: Der Sonnenkönig muss ab sofort überzeugendes Marketing und Partnerpflege betreiben, um den großen Konkurrenten IBM und HP Paroli zu bieten. Nur in Zusammenhang mit diesen aufzutauchen ist für die Selbstdarstellung zu wenig.

Suns Produktflut - eine Auswahl

- Neu in Berlin unter anderem: die Visualisierungs-Workstation "Sun Blade 2500" mit einem oder zwei Ultrasparc-III-Prozessoren, bis zu 8 GB Hauptspeicher, 72 GB Festplatte und eine 2D- beziehungsweise die neue 3D-Karte "XVR-600". Preis: ab 4.995 Dollar.

- Der x86-Blade-Server "Sun Fire B100x". Der mit AMDs "Athlon XP 1800" bestückte Rechner hat bis zu 2 GB Hauptspeicher und eine 30- oder 40-GB-Festplatte und kostet ab 1.795 Dollar. Er kann unter Solaris oder Linux betrieben werden. Bis zu 16 Prozessoren bringt Sun in einem neun Höheneinheiten messenden Rack unter, dazu bis zu 2,4 TB Speicher - interessant für TK-Provider.

- Das sind auch die redundant ausgelegten Zwei- und Vier-Prozessoren-Rack-Server "Sun Fire 240" und "Sun Fire 480". Beide Versionen laufen mit Sparc-Prozessoren und Solaris; sie haben bis zu 8 beziehungsweise 32 GB Hauptspeicher und kosten ab 6.995 Dollar.

- Die Intel-Server "V60x" und "V65x" sind mit zwei je 3,2 GHz taktenden Xeon-CPUs bestückt und haben bis zu 12 GB Hauptspeicher. Sun stapelt bis zu 32 CPUs in einer Grid-Rack-Version.

- An Software gab es vor allem das "Java Desktop System". Es wird als Desktop-Lösung für vorerst 25 Dollar pro Mitarbeiter angeboten; ab 3. Juni 2004 kostet es ab 50 Dollar pro Mitarbeiter.

- Die Serversoftware "Java Enterprise System" soll 100 Dollar pro Mitarbeiter und Jahr kosten. Firmen bis 99 Mitarbeiter erhalten sie - ohne Support - kostenlos.

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