Suns gefährlicher Balanceakt

24.01.2002

Mit Intel und IBM lässt Sun Microsystems gleich zwei alte Feindbilder wieder aufleben. So haben die Mannen um Scott McNealy letzte Woche bekannt gegeben, dass sie mit der Version 9 des eigenen Unix-Derivats Solaris die Intel-Plattform nicht mehr unterstützen werden. Gleichzeitig wollen sie IBM das Mainframe-Feld streitig machen.

Diese Verschiebung des eigenen Produktspektrums hin zum High-end-System kann für Sun gefährlich werden. Denn auf der einen Seite vergrault das Unternehmen damit alle PC-Nutzer, die nicht Windows oder Linux nutzen wollen oder können - Protestbriefe innerhalb der einschlägigen Newsgroups beweisen dies -, andererseits ist nicht damit zu rechnen, dass alle IBM-Kunden ihre S/390-Rechner wegwerfen und sich stattdessen neue "Sun Fires" anschaffen.

Was die PC-Schiene betrifft, so überlässt Sun diese großzügig dem Linux- und Windows-Lager. "Linux ist ja für Intel-Prozessoren geschrieben worden", lautet die Argumentationskette. Und IBMs Strategie, das offene Betriebssystem auf Großrechner zu portieren, wird von Sun nur müde belächelt: "Eine Herz-Lungen-Maschine für Mainframes" oder "reine Kosmetik", so die Kommentare deutscher Firmenvertreter (siehe auch "Aufgeschnappt").

Dass sich da Sun nur nicht täuscht! Tot Geglaubte leben oft länger als gedacht und überleben manchmal die "Propheten". Denn eines ist sicher, auch wenn Linux heute noch nicht die Leistungsfähigkeit von Solaris erreicht, spätestens in zwei Jahren wird es so weit sein. Das geben Mainframe-Experten zu Protokoll.

McNealys Strategie liegt ja auf der Hand, er setzt alle auf sein Pferd - den Sparc-Prozessor mit Solaris als Betriebssystem. Dass Kunden auch andere Lösungen in Betracht ziehen, mag er einfach nicht glauben. Wenn auch Solaris nach wie vor die führende Unix-Plattform darstellt, dies muss nicht immer so bleiben. Die Beschränkung auf die eigenen Risc-Prozessoren führt sie geradewegs in eine Nische.

Statt dessen sollte Sun weiterhin Intels Chip-Familie mit Solaris beliefern. Andererseits, was spricht gegen Linux-getriebene Sparc-Maschinen? Wer hier von Wildwuchs spricht, verkennt die Wünsche der Kunden. Sicherlich kann Sun nicht jede Plattform gleichermaßen intensiv betreuen, aber die Linux-Phobie ist hier fehl am Platze.

Ronald Wiltscheck

rwiltscheck@computerpartner.de

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