Tacheles: Unternehmer - Schämt Euch nicht Eurer Visionen!

17.01.1997
MÜNCHEN: Wer Visionen entwickelt, wird oft als Phantast oder Traumtänzer betrachtet. Erfolg basiert jedoch auf kühnen Überlegungen und der Forderung nach dem Maximalen, behauptet Stefan Rohr* in folgendem Beitrag. Wer die Visionen von der Utopie abzugrenzen versteht und planvoll realisiert, wird seinen Unternehmenserfolg geradlinig erzielen.Schön ist es ja, wenn auch einmal ein hiesiger Umsatzmilliardär eines IT-Unternehmens im Fernsehen, Rundfunk und in den VIP-Zeitungen vertreten ist. Schließlich hat auch Deutschland seine IT-Aufsteiger. Einen Vergleich mit einem Bill Gates allerdings - so gern dieser auch immer wieder als Superlativ ins Kalkül gezogen wird - ist unnötig und so überflüssig wie ein Kropf. Der (Mit-)Gründer der allseits vertretenen Vobis-Handelskette, Theo Lieven, immer noch immatrikulierter Student der Mathematik (im 41. Semester), hat den Profanvergleich mit Gates jedenfalls nicht nötig. Sicherlich wird an den Privat-Millionen des Herrn Lieven noch ein wenig nachzubessern sein, bis auch er dem "reichsten Mann des Abendlandes" den Geldbeutel reichen kann, doch Theo wird es wenig stören - ebensowenig wie Mr. Bill.

MÜNCHEN: Wer Visionen entwickelt, wird oft als Phantast oder Traumtänzer betrachtet. Erfolg basiert jedoch auf kühnen Überlegungen und der Forderung nach dem Maximalen, behauptet Stefan Rohr* in folgendem Beitrag. Wer die Visionen von der Utopie abzugrenzen versteht und planvoll realisiert, wird seinen Unternehmenserfolg geradlinig erzielen.Schön ist es ja, wenn auch einmal ein hiesiger Umsatzmilliardär eines IT-Unternehmens im Fernsehen, Rundfunk und in den VIP-Zeitungen vertreten ist. Schließlich hat auch Deutschland seine IT-Aufsteiger. Einen Vergleich mit einem Bill Gates allerdings - so gern dieser auch immer wieder als Superlativ ins Kalkül gezogen wird - ist unnötig und so überflüssig wie ein Kropf. Der (Mit-)Gründer der allseits vertretenen Vobis-Handelskette, Theo Lieven, immer noch immatrikulierter Student der Mathematik (im 41. Semester), hat den Profanvergleich mit Gates jedenfalls nicht nötig. Sicherlich wird an den Privat-Millionen des Herrn Lieven noch ein wenig nachzubessern sein, bis auch er dem "reichsten Mann des Abendlandes" den Geldbeutel reichen kann, doch Theo wird es wenig stören - ebensowenig wie Mr. Bill.

Interessant an dem Schaffensweg des Theo Lieven ist allerdings, daß aus einer studentischen Initiative, die allein und zunächst zur Aufbesserung der zur Verfügung stehenden Geldmenge während des Studiums gedacht war, ein Konzern entstanden ist, der zu den deutschen Milliarden-Unternehmen zählt, jedoch weder Automobile, Kaffeemaschinen, Kopfschmerzpillen noch Flugzeuge herstellt. Aus dem Nichts heraus - so scheint es jedenfalls meist gern in der Retrospektive - ist ein Koloß entstanden, der vielen Menschen Brot, der Steuer viele schöne Einnahmen und dem deutschen Bruttosozialprodukt wohltuende Volkswirtschaftszahlen liefert.

Wer ist ein Unternehmer?

Bemerkenswert daran ist, daß aus einem Versuchsballon ein gelungenes und anerkanntes Unternehmen geworden ist. Natürlich werden wieder einmal viele Mitmenschen behaupten, daß das dem Erfolgreichen wie Sterntalerchen in das Schürzchen gefallen ist, frei nach dem Motto: Glück gehabt, Beziehungen gehabt, Sonntagskind oder noch böser: das Gleichnis über die Bauern und die Dicke ihrer Kartoffeln.

Es ist aber auch durchaus statthaft, über andere Theorien nachzudenken. Eine solche ist die mit der "Vision". Die grundlegende Aufgabe eines Unternehmers ist es - es sagt bereits das Wort - etwas zu unternehmen. Wer nichts unternimmt, kann auch nichts bewirken. Eigentlich doch ganz einfach. Daß das natürlich nicht immer klappt, ist auch klar. Viele unternehmen eben einfach nicht das Richtige. Durchaus möglich ist es zudem, daß nach einer gewissen Zeit des "Unternehmens" der irrigen Annahme gefolgt wird, daß nun doch alles in Butter, das Tal durchschritten sei und es nur noch bergauf gehen kann. Anderen wiederum geht auf der Bergfahrt einfach die Puste aus. Nicht etwa allein finanziell, nein, auch aus Sicht des Ideenreichtums oder der Fähigkeit zu selbstkritischen Erfolgsanalyse (ggf. auch Mißerfolgsanalyse).

Manche verharren dann auch schon einmal gerne in einer Art Trotz. Schließlich wurde das Produkt sowieso zehn Jahre erfolgreich verkauft. Die momentane Absatzproblematik ist auf alles andere zurückzuführen, nicht jedoch auf das Produkt selbst. Dann gibt es noch diejenigen, die es einfach nicht für nötig halten, den Markt, den Käufer, die Mitarbeiter oder den Wettbewerb zu beobachten. Sie schweben auf Wolke 7 und wähnen sich der Unantastbarkeit. Marktforschung, professionelles Marketing, Vertriebsoptimierung, Wettbewerbs- oder Potentialanalysen, Stärken-Schwächen-Betrachtung, Benchmarking. Alles Mumpitz! Wenn dann dieses auch noch mit Altersstarrsinn verknüpft ist, dann kann eine Unternehmung nur noch gerettet werden, wenn die Uhr plötzlich rückwärts ginge.

Die Visionen sind es allerdings, die Rettung bedeuten können. Über die Visionen eines Unternehmers darf nicht gelacht werden. Sie sind es, die - so unrealistisch sie zur Zeit auch noch sein mögen - dem Unternehmer das einbringen, was erfolgreich macht: Kreativität, Maximalstreben, Zielorientierung und Optimismus. Seiner Visionen darf sich deshalb nie geschämt werden. Visionen müssen lebendig sein, auch leicht über die realistischen Grenzen hinweg schweifen. Die Vision stellt die Maximalforderung auf, erzeugt Ziele und läßt nach Wegen suchen. "Wir öffnen Horizonte!" "Nichts ist unmöglich!" "Es gibt viel zu tun - packen wir's an!"

Die Werbung hat längst den Trieb der Menschheit nach neuen Herausforderungen für sich genutzt. Der Glaube daran, daß nichts so beständig ist wie der Wandel, daß die Errungenschaften der heutigen Zeit nicht gleichsam das Ende der Entwicklungskette darstellen, daß es immer wieder neue Möglichkeiten, neue Produkte oder Dienstleistungen, neue Formen der Vermarktung, neue Konzepte für den Unternehmensausbau oder neuartige Märkte geben wird, dieser Glaube wird durch Visionen erzeugt und erhält durch sie leibhaftigen Charakter.

Ob es ein Scott McNealy (Sun Microsystems), ein Bill Gates oder ein Theo Lieven ist: Eines hatten sie auf dem Weg zum Erfolg gemeinsam: Visionen, die sie zu diesen Erfolgen leiteten. Herrn Lieven wären sicherlich sein Vater oder seine Kommilitonen verächtlich und kopfschüttelnd begegnet, hätte er vor zwanzig Jahren behauptet, den größten deutschen Computerhandel aufgebaut zu haben und jährliche Umsätze in mehreren Milliarden zu erwirtschaften. Wenngleich eine derartige Vision sicherlich auch nicht spontan vor zwanzig Jahren geboren wurde, so entwickelte sie sich aber schrittweise von Vision zu Vision. Und jedesmal war es zunächst eine Zielvorstellung, für die niemand ernsthaft seine rechte Hand gegeben hätte. So benötigte sogar die Firma Siemens selbst mehrere längere Anläufe, bis sie das Patent von Prof. Dr. Konrad Zuse (Erfinder des "Computers") ankaufte und nach einigem Überlegen begriff, daß hiermit dann doch wohl Geld zu verdienen sein könnte.

Darum soll heute niemand kommen und von Glück oder den Kartoffeln reden. Jeder, der selbst als Unternehmer wirkt, weiß, daß keine Idee so gut ist, daß sie sich von allein verkauft oder zu Geld machen läßt. Zu jeder Idee/Vision gehört nun einmal auch einer, der sie umsetzt, einer, der kalkuliert, der akquiriert, der verkauft, ausliefert, Reklamationen bearbeitet, Mitarbeiter einstellt oder entläßt, der sich mit Steuerberatern und Finanzämtern herumschlägt, der manchmal betrogen und übervorteilt wird, der Marktveränderungen ausweicht, der Produkte entwickelt ... rundum also, der arbeitet.

Daneben muß sich jedoch auch noch um die eigenen Visionen gekümmert werden. Denn auch Visionen sind nur dann gesund, wenn sie in Planung und Konzeption umgesetzt werden, wenn die Realisierung vorangetrieben wird. Viele der Visionen verkümmern deswegen und bleiben in Schubladen oder in traurigen Gehirnen vor der Allgemeinheit verborgen. Die Vision zu entwickeln, kostet schon viel Kraft. Sie gleichfalls gegen die Zweifler und Lächler umzusetzen, zu realisieren, zu bewerten und anzupassen, ist allerdings nur mit einem um ein Vielfaches potentierten Kraftaufwand des Unternehmers zu erreichen.

Niemand darf deshalb über die Visionen des anderen lachen. Es bleibt zu akzeptieren, daß die Erfolge der Menschheit, ob in Medizin, Technik, Physik oder der Wirtschaft selbst, allein durch Visionen entstehen konnten. Visionen müssen in unserer Gesellschaft und in unserem Unternehmertum allerdings noch kultiviert werden. Viele gute Unternehmer scheuen sich vor ihren eigen Visionen und Zielvorstellungen, haben Angst zu versagen oder belächelt zu werden. Die oftmals nur durch sehr feine Differenzierung der Visionen von den Utopien läßt den Visionär in den Augen seiner Mitmenschen oft als Phantast, Traumtänzer oder Höhenflieger erscheinen und diesen in die Ecke der Spinner stellen. Die Kultivierung von Visionen beginnt deshalb mit der Einnahme einer natürlichen Einstellung zum eigenen Schaffen, zu unternehmerischen Selbstverantwortung und zur bewußten Umsetzung der eigenen Kreativitäten. Hieran knüpft sich das Abwägen der Maximalforderung (Vision) mit dem extremen Machbaren. Am Anfang steht immer das Ziel. Wer diesem Leitsatz folgt, hat seine Visionen nur noch zu organisieren und planvoll, ggf. schrittweise, umzusetzen.

Vision als Teil des Marketings

Der Vergleich mit den Jahrhundertfällen ist deshalb besonders falsch, da hierüber die Visionen zu leicht in die Richtung der Utopie verstanden werden, sowohl vom Erzeuger, als auch von den im Umfeld befindlichen Mitmenschen. Die Superlativen sind es nicht, die den Maßstab und die Maximalforderungen ausmachen. Die Vision kann zunächst an den eigenen (vermuteten) Grenzen ausgerichtet werden, am unmittelbaren Wettbewerb oder an vergleichbaren Größen. Somit stellt die Vision einen Teil des Marketings dar, indem sie zu Überlegungen, Kalkulationen, Planungen und Abgrenzungen auffordert. Ohne diese Visionen sind die Unternehmer und deren Management deshalb wie zahnlose Tiger. Erfolg zu haben setzt das Quentchen Biß voraus, das andere nicht mehr aufbringen. Die Visionen zu formulieren, heißt somit auch, den Kampf zu suchen und die Kraft bereitzustellen, das scheinbar Unmögliche möglich zu machen.

Gerade die IT-Welt hat besonders viele gute Beispiele hierzu aufzuzeigen. Nicht nur im Großen. Noch ist das IT-Metier längst nicht ausgeschöpft. Es birgt nach wie vor Tausende von Chancen des Erfolges und der Superlative. Unternehmen wie z.B. SAP, Software AG, Transtec, KHK oder eben Vobis haben das in der Vergangenheit eindrucksvoll beweisen können. Die "Neuzugänge" Mannesmann Mobilfunk oder E-Plus sind weitere Perlen auf dieser Kette. Nicht aber der Markt macht den Erfolg. Es sind die Unternehmer, die Manager, die mit ihren Visionen vorauslaufen und das Maximale fordern. Dessen braucht sich niemand zu schämen. Dagegen sollten diejenigen lieber ihren Mund halten, die selbst keinen Mut zum Risiko aufbringen, aber in Hohn und Spott diejenigen diffamieren wollen, die sich dem Erfolg verschrieben haben.

*) Stefan Rohr ist geschäftsführender Gesellschafter der r&p management consulting Hamburg/Düsseldorf/Frankfurt/Karlsruhe

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