Taiwan: der kleine Tiger erstmals in tiefer Wirtschaftskrise

07.06.2001
Diese Woche startet die Computex. Im Gastgeberland Taiwan herrscht allerdings düstere Stimmung. Die Angst vor einer bedrohlichen Wirtschaftskrise geht um: Besonders betroffen sind die einheimischen IT-Unternehmen. Die Regierung des asiatischen Tigerstaats hat bereits ihre Wachstumsprognosen radikal nach unten korrigiert.

Die Asienkrise hat Taiwan noch relativ unbeschadet überstanden. Doch seit sich die Meldungen über Gewinnwarnungen und desaströse PC-Marktzahlen häufen, geht auch auf der stark IT-exportabhängigen Insel die Angst vor einer Wirtschaftskrise um. Überall hört man "Taiwan Jingji bu jingqi" (Taiwans Wirtschaft geht schlecht). Auch der Motorradhändler in der Nähe des Taiwan World Trade Center (TWTC), in dem diese Woche die Computex stattfindet, klagt über schlechte Geschäfte.

Immobilien und Wohnungen waren schon lange nicht mehr so billig wie jetzt, was nicht zuletzt auch ein Zeichen ist, dass immer mehr Taiwaner auswandern oder sich an der Börse verspekuliert haben und dringend verkaufen müssen.

Gerade erst hat die Regierung ihre Prognosen für die taiwanische IT-Wirtschaft in diesem Jahr von über 13 auf Null nach unten korrigiert. Offiziell heißt es, die Zahl der Arbeitslosen habe mit knapp vier Prozent ein noch nie da gewesenes Rekordhoch erreicht.

Doch die offiziellen Zahlen werden von den meisten Taiwanern für pure Untertreibung oder für einen Versprecher gehalten. "Si", vier, klingt der viel wahrscheinlicheren Zahl "shi", zehn, sehr ähnlich. Denn viele, die ihren Job verlieren, tauchen in den Arbeitslosenzahlen gar nicht auf, sei es, weil sie eine Auszeit nehmen, weil es ihnen einfach zu peinlich ist, stempeln zu gehen oder weil sie kein Anrecht auf Arbeitslosenhilfe haben.

Produktion zieht in Billigländer um

In welch tiefer Krise die taiwanische Wirtschaft und vor allem die IT-Unternehmen sind, zeigen allein die Aprilzahlen. Innerhalb eines Monats sind die Verkaufszahlen und Umsätze der meisten IT-Zugmaschinen stark eingebrochen (siehe Grafik).

Ein Grund für die Wirtschaftskrise in Taiwan ist sicherlich die schlechte Auftragslage, und das nicht nur vonseiten der großen OEMs. Hinzu kommt, dass immer mehr Hersteller ihre Produktion nach Festland-China oder in andere Billiglohnländer Ostasiens verlegen. Dem Vernehmen nach sollen rund 50 Prozent der taiwanischen Motherboards bis Jahresende in China gefertigt werden. Und wenn die Industrie nach China abzieht, heißt das, dass auch enorm viel Kapital abwandert. Das hat zur Folge, dass die börsennotier-ten Unternehmen immer mehr Schwierigkeiten haben dürften, auf dem einheimischen Aktienmarkt ausreichend Mittel für Forschung und Entwicklung sowie für weiteres Wachstum aufzutreiben.

Nicht wenige Unternehmen haben bereits das Land verlassen. Beliebtes Ziel der Kapitalflüchtigen ist Kanada, das wohlhabende Chinesen mit offenen Armen empfängt. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könnte es sogar zum Zusammenbruch des ganzen taiwanischen Finanzmarktes kommen, warnt Cyberlink-President und -Gründer Jau Huang und erwägt für diesen Fall, sein Lager ebenfalls im Ausland aufzuschlagen.

ComputerPartner-Meinung:

Eine langanhaltende Wirtschaftskrise in Taiwan wird nicht nur Auswirkungen auf den Inselstaat haben, sondern könnte die gesamte asiatische Region und das Weltwirtschaftssystem negativ beeinflussen: ähnlich wie die Asienkrise von 1998, die damals von Thailand ausging. (kh)

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