Taiwan in Angst vor dem Crash

12.06.2001
Bis vor einem Jahr war Taiwans Industrie noch atemberaubende Wachstumszahlen gewöhnt, doch seit Ausbruch der PC-Krise hat sich das Blatt gewendet.

Anfang der fünfziger Jahre war Taiwan noch bitterarm. Dank amerikanischer Unterstützung und einer Bodenreform, bei der die Großgrundbesitzer mit Fabriken oder Investitionshilfen abgefunden wurden, entwickelte sich die Insel im Laufe der folgenden Jahrzehnte zu einer der wichtigsten Industrienationen Asiens. Produkte "Made in Taiwan" überschwemmten bald den Weltmarkt. Zuerst war es vor allem Kleidung und Plastikspielzeug, seit den siebziger Jahren auch mehr und mehr Elektronik, bis Taiwan im Laufe der achtziger und neunziger Jahre immer größere Teile der globalen IT-Produktion dominierte.

Denn billige Löhne und ein stabiles politisches System lockten bald alles an, was Rang und Namen hat. Compaq, Fujitsu Siemens, Dell, IBM - sie alle lassen in Taiwan oder über ihre OEM-Partner in China produzieren. Heute gibt es kaum einen PC, ein Notebook oder Peripheriegerät, bei dem die geschäftstüchtigen Taiwanchinesen nicht die Finger im Spiel haben. Selbstbewusstsein zur Schau tragend, sehen sie sich als die eigentlichen Macher, während sich die OEM-Kunden nur noch auf Marketing und Vertrieb beschränken müssten. Aber selbst Acer, das bekannteste IT-Unternehmen der Insel, wurde der Boden unter den eigenen Fließbändern zu heiß. Die Firma beginnt, sich zunehmend aus der Produktion zurückzuziehen.

Mit dem wachsenden Wohlstand stiegen auch die Gehälter. Und so wuchs der Druck, immer größere Teile der Produktion nach China zu verlagern. Damit begann sich das Blatt zu wenden - damit und mit der allgemeinen Weltwirtschaftsflaute, die sich seit Ende des vergangenen Jahres besonders in der IT-Industrie bemerkbar macht.

Ein Ausweg aus der Krise ist nicht in Sicht

Wuchs Taiwans Bruttoinlandsprodukt (BIP), das zu 50 Prozent vom Export abhängt, im vergangenen Jahr noch um fast 5,9 Prozent, geht DB Research für die Insel in diesem Jahr von einem Minuswachstum von 2,5 Prozent aus. Und eine Erholung ist nicht in Sicht. Allein im dritten Quartal sackte das BIP um 4,2 Prozent ein, das schlechteste Ergebnis seit 1975. Der IT-Crash führte dazu, dass die Exporte in die USA als Taiwans wichtigstem Absatzmarkt um bislang 40 Prozent einbrachen. Erste Erholungstendenzen wurden durch die Ereignisse vom 11. September und durch den schweren Taifun im gleichen Monat zunichte gemacht.

Insgesamt gehen die Ökonomen nach einem Plus von 20 Prozent davon aus, dass die Exporte in diesem Jahr um 20 Prozent wegbrechen werden. Taiwans Chipfabriken sind nur noch zu 40 Prozent ausgelastet. Japan als zweitwichtigster Absatzmarkt leidet unter einer schweren Depression - vom Binnenmarkt ganz zu schweigen. Die Börsenkurse stürzten rapide ab, die privaten Investitionen und der Konsum fielen auf ein Rekordtief. Erstmals macht sich Angst vor Jobverlust breit. Lag die Arbeitslosenrate bis Mitte der neunziger Jahre konstant bei unter drei Prozent, hat sie mit über fünf Prozent ein Rekordhoch erreicht. "Es wird 2002 sehr ernst werden", zitiert das "Handelsblatt" Vizepräsidentin Annette Lu. "Entweder wir gewinnen, oder wir verlieren."

Die desolate Wirtschaftslage und der politische Stillstand drängen immer mehr Industrieunternehmen nach China. Seit der Wahl von Präsident Chen Shui-bian hat Taiwans Wirtschaft 35 Milliarden Dollar in dem kommunistischen Mutterland investiert - etwa halb so viel wie in den Jahren seit 1980 davor. Auch unterstreicht die Krise kurz vor dem Beitritt in die Welthandelsorganisation (WTO) einige Strukturprobleme. Dazu gehören abgeschirmte Märkte, zu viel Bürokratie, ein schwacher Bankensektor und eine fehlende Deregulierung in wichtigen Märkten.

Ein 30-Milliarden-Dollar-Ausgaben-programm soll die Wirtschaft wieder ankurbeln, doch wenn das versagt, dann ist das schon schwer angeknackste Vertrauen in die eigene Stärke im Volk wohl völlig dahin.

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ComputerPartner-Meinung:

Taiwans heutige Krise ist eine Krise der gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen der einheimischen Industrie und den IT-Weltmärkten sowie eine Folge des wachsenden Drucks, immer weitere Teile der Produktion nach China zu verlagern, was wieder neue Abhängigkeiten schafft. Die Globalisierung, von der die Insel jahrzehn-telang profitierte, fordert nun ihre Opfer. Dies ist die bittere Wahrheit, und daran wird sich so bald auch nichts ändern - nicht solange der Transport über die sieben Weltmeere billiger ist als Waren vor Ort zu produzieren. (kh)

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