Taiwans Industrie ist für das Weihnachtsgeschäft wieder in Top-Form

12.09.1999
MÜNCHEN: Während im Ausland bereits Befürchtungen laut wurden, daß sich das schwere Erdbeben vom 21. September in Taiwan auf das PC-Weihnachstgeschäft auswirken könnte, gaben sich die Insulaner sehr viel gelassener. Und tatsächlich haben die wichtigsten Hersteller ihre Produktion offenbar wieder voll im Griff.

Wer jemals in Taiwan einen Taifun erlebt hat, wird sich wundern, mit welch stoischer Ruhe die Inselbewohner es offenbar hinnehmen, daß der tropische Sturm Jahr für Jahr mehrmals ganze Straßen, Häuser und Geschäfte zerstört. Aber an Naturkatastrophen sind die Inselbewohner nun mal gewöhnt. Hinzu kommt die ständige Bedrohung von seiten Festlandchinas. Ein solches Leben auf dem Pulverfaß, wenn man so will, prägt. Denn statt nach dem Erdbeben mit einer Stärke von 7,3 auf der Richterskala in lähmende Apathie zu verfallen, haben die Taiwanchinesen sich sofort daran gemacht, die größten Schäden zu beseitigen. Es galt, so schnell wie möglich wieder zu voller Leistungsfähigkeit zurückzukehren. Denn zuviel hing davon ab. Aber nicht nur für Taiwans Industrie war der schnelle Wiederaufbau wichtig, sondern auch für die internationalen Auftraggeber, darunter so bedeutende Key Player der IT-Branche wie IBM, Compaq und Philips.

OEM-MEKKA FORMOSA

Die 20 größten Hersteller werden in diesem Jahr voraussichtlich IT-Produkte im Wert von über 20 Milliarden Dollar aus Taiwan beziehen. Allein die Auftragsliste von Compaq beläuft sich schätzungsweise auf einen Warenwert von sieben Milliarden. Schließlich stellt Taiwan als das OEM-Mekka par excellence 30 bis 75 Prozent aller weltweit produzierten CD-Rom-Laufwerke, Notebooks, Monitore, Motherboards und Computergehäuse. Bei zwölf Produktgruppen sind die Taiwaner sogar weltmarktführend. Das macht die kleine Insel Formosa, wie sie auch genannt wird, nach Amerika und Japan zum drittgrößten Exporteur der Welt.

Hatte Taiwans IT-Industrie 1988 noch 5,3 Milliarden Dollar umgesetzt, waren es im letzten Jahr schon über 33,7 Milliarden. Das entspricht in diesem Zehnjahreszeitraum einem jährlichen Wachstum von 20,2 Prozent. Fast 30 Prozent des taiwanischen Umsatzes mit IT-Produkten fließen in die Kassen der Hersteller von integrierten Schaltkreisen (ICs) wie Motherboards und Grafikkarten.

BEGRENZTE SCHÄDEN FÜR DIE INDUSTRIE

Trotz des Erdbebens wird Taiwan wohl immer noch auf ein stolzes Wirtschaftswachstum von 5,5 Prozent verweisen können. Das liegt nur wenige Prozentpunkte unter dem vom Wirtschaftsministerium anvisierten Ziel von 5,9 Prozent. Zum Vergleich: Deutschland bringt es in diesem Jahr nach konservativen Schätzungen voraussichtlich nur auf ein Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent.

Da praktisch alle Produktionsstätten weit genug vom Epizentrum des Erdbebens entfernt liegen, wenn sie nicht schon nach Festlandchina ausgelagert wurden, waren die Schäden für Taiwans Industrie begrenzt. Laut Angaben des Taiwan Institute of Economic Research beliefen sich die Verluste für die besonders schwer betroffene Halbleiterindustrie auf 300 Millionen Dollar (US und nicht New Taiwan) und für den Wissenschaftspark in Hsinchu, Taiwans Silicon Valley, wo das Erdbeben immerhin noch die Stärke fünf auf der Richterskala erreichte, auf 240 Millionen Dollar. Inoffiziell liegen die Schätzungen für die Gesamtwirtschaft Taiwans weit darüber. Manche reden sogar von Verlusten im Wert von 30 Milliarden Dollar. Doch angesichts der vielen Häuser, die zusammenbrachen und Tausende von Menschen unter sich begruben, sind die relativ geringen Verluste für Taiwans Industrie geradzu ein Wunder. Laut der Taiwan Semiconductor Industry Association mußten nur zehn Prozent der Wafer im Produktionsprozeß (WIP) eingestampft werden. Diese Zahl scheint allerdings untertrieben, zumal allein der natürliche Ausschuß zum Teil deutlich darüber liegt. Aber nicht nur Wafer gingen zu Bruch, sondern auch etliche Siliziumrohlinge, die wie Säulen aussehen und in feinste Scheiben geschnitten werden, um die einzelnen Wafer zu erhalten. Darüber hinaus mußten viele feinmechanische Einrichtungen neu justiert werden.

Viel verheerender als die direkten Schäden waren aber der Zusammenbruch praktisch der gesamten Stromversorgung und die Rationierung in den folgenden Tage und Wochen. Denn Taiwans Stromversorgung stützt sich zu über 80 Prozent auf Atomenergie und Wärmekraftwerke, deren Kapazitäten wegen Reparaturarbeiten und möglicher Nachbeben weitgehend zurückgefahren werden mußten. Davon betroffen waren auch die Hersteller von CD-Rom-Laufwerken und LCD-Modulen, was kurzzeitig zu Lieferengpässen führte.

ANERKENNUNG FÜR SCHNELLEn WIEDERAUFBAU

Da Stromausfälle in Taiwan nichts Neues sind, haben viele Produzenten vorgesorgt und für den Fall der Fälle Notstromgeneratoren angeschafft. So konnten etliche Hersteller, wenn auch nicht mit voller Kraft, gleich nach dem Erdbeben ihre Produktion wieder aufnehmen, zum Beispiel auch Quanta, Taiwans größter Notebook-Lieferant. Aber auch so bedeutende Halbleiterhersteller wie Taiwan Semiconductor (TSMC), World Wide Semiconductor (WSMC) und United Microelectronics (UMC) haben Anfang Oktober schon 80 bis 90 Prozent ihrer ursprünglichen Produktionskapazitäten erreicht (siehe auch Kasten "Status und Verlustrechnung führender Halbleiterhersteller Taiwans").

Während die meisten privaten Haushalte noch Wochen nach dem Beben mit sich wiederholenden Stromausfällen leben mußten, wurde sichergestellt, daß die wichtigsten Industrieparks schon vier Tage später wieder voll versorgt waren.

Das Erdbeben hat zwar etwa zwei Wochen Produktionsverschub gekostet. Dennoch war die Welt erstaunt, in welchem Tempo Taiwans Industrie in der Lage war, ihren Lieferaufträgen wieder nachzukommen. Eine der größten Anerkennungen in dieser Hinsicht war eine offizielle Verlautbarung Intels vom 13. Oktober. Fujitsu Siemens hat sogar schon drei Tage nach dem Erdbeben Pläne bekanntgegeben, die Kooperation mit taiwanischen Motherboard- und Systemherstellern noch weiter zu verstärken.

Rückendeckung kam auch von Michael Dell, CEO und Chairman von Direktanbieter Dell Computers. Bei einem Besuch in Taiwan am 7. Oktober gab er sich zuversichtlich, daß von den dortigen OEM-Produzenten trotz des Erdbebens keine gravierenden Lieferschwierigkeiten zu erwarten sind.

Auch viele andere internationale Markenhersteller, allen voran Compaq, IBM und NEC, haben ihre Absicht bekräftigt, wie gehabt dafür zu sorgen, daß die Auftragsbücher ihrer OEM-Partner in Taiwan voll bleiben.

Um die Wirtschaft des Landes so schnell wie möglich wieder in Gang zu bringen, hat die Regierung der Republik China, so der offizielle Name des international nur von knapp 30 Staaten anerkannten Landes, sofort einen Katalog von Maßnahmen eingeleitet. Dazu gehören Steuererleichterungen für die vom Erdbeben betroffenen Hersteller ebenso wie die Bereitstellung eines Fonds für die Halbleiterindustrie in Höhe von umgerechnet etwa drei Milliarden Mark.

Pragmatisch wie die Chinesen sind, sehen sie in der Wiederherstellung der Wirtschaft auch eine Chance, aus dem Erdbeben wie der Phoenix aus der Asche mit neuen Kräften hervorzutreten. Profitieren werden davon nicht nur die Bau-, Stahl-, Strom-, Glas- und Keramikindustrie, sondern auch viele andere Wirtschaftszweige, die Taiwan zu neuem Wachstum verhelfen werden. Auch was die Chip- und Waferproduktion angeht, wird erwartet, daß das Erdbeben den Weg für neue Investitionen ebnet, die Taiwans Industrie noch weiter nach vorne bringen werden. Taiwan Semiconductor hat zum Beispiel letzte Woche einen Investitionsplan in Höhe von knapp fünf Milliarden Mark aufgestellt, der unter anderem in die Errichtung einer modernen Zwölf-Zoll-Waferfabrik fließen soll. Darüber hinaus sollen bis Ende 2000 sechs weitere taiwanische 8-Zoll-Waferfabriken entstehen und Taiwans LCD-Produktion stark vorangetrieben werden. Mehr über die Hintergründe des Aufstiegs Taiwans zur High-Tech-Nation, zu Investitionen, Forschung und Entwicklung lesen Sie im Kasten. (kh)

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