Technik und Preistrend bei den Endgeräten noch unklar

09.03.1998

MÜNCHEN: Mit Set-top-Boxen und Internet-fähigen Fernsehern versuchen Hardwarehersteller das World Wide Web ins Wohnzimmer zu lenken. Leider sind die Fähigkeiten der Geräte sehr beschränkt."Das Portemonnaie des Endkunden liegt nicht im Büro, es liegt im Wohnzimmer", lautet eine gängige Parole unter Marketingspezialisten. Will sagen, während sich Familienvater Huber alle erdenkliche Mühe gibt, mit "geliehener" Software und Mobiliar vom Flohmarkt sein Soho-Budget nicht zu überfordern, haut der Rest der Familie den kargen Monatslohn durch das Ausfüllen von Bestellscheinen bei Katalogversendern raus. Hinter dieser Einsicht steckt die tiefere Erkenntnis, daß der deutsche Konsument mehr Geld für Freizeit und Hobbys investiert als für Arbeit, Ausbildung und berufliches Fortkommen. Nun ist es aber beschlossene Sache, daß ein schnell wachsender Teil dieses Budgets in Zukunft via Internet ausgegeben werden soll. Besagte Katalogversender bieten ihr gesamtes Warensortiment online feil. Spezialhändler ohne Ladengeschäft schießen wie Pilze aus dem Boden.

Eine Frage der Hardware

welches Gerät den Internet-Zugang im Wohnzimmer leisten soll. Versuche wurden angestellt, Spielekonsolen für diesen Zweck zu mißbrauchen. Das Ergebnis war ernüchternd. Die mißratenen Kinder blockierten stundenlang die Telefonleitungen bei dem Versuch, mit Gleichgesinnten online zu spielen. Philips verramscht seine Konsole inzwischen zu Spottpreisen, Apples Pipin wurde lange Zeit als technologische Innovation gefeiert, bis ihn Interims-Chef Amelio letztes Jahr mangels Nachfrage verabschiedete.

Ein neues Experiment - namentlich getragen von Alcatel, Philips und einigen anderen - versucht, dem Telefon Online-Fähigkeiten einzuhauchen. Mit der plattformneutralen Betriebssprache Java oder Mini-Betriebssystemen wie Windows CE oder Epoc 32 scheint das ein gangbarer Weg. Direktwahltasten verbinden das Terminal mit dem Provider und weiter direkt mit der angeforderten Webseite. Lästiges Rechnerbooten gehört der Vergangenheit an.

Leider kommt den Herstellern ein aktueller Trend im Telefonmarkt in die Quere. Mehr und mehr nämlich verabschieden sich die Kunden zu Hause von stationären Geräten und wandeln mobil vernetzt durch die eigenen vier Wände. Außerdem eignen sich die kleinen Displays der Internettelefone wahrlich nicht dazu, einen kollektiven Einkaufsrausch innerhalb des Familienverbunds zu entfesseln. Da gibt der Quelle-Katalog optisch allemal mehr her, auch ohne Java.

Bleibt also das Gerät, auf das sich

ohnehin die komplette Wohnzimmereinrichtung konzentriert, der Fern-

seher. Hier vereinigt sich vieles, was Online-Verkäufer wünschen. Der Bildschirm ist normalerweise ziemlich groß und zieht die Aufmerksamkeit dadurch leicht auf sich. Dazu kommt, daß der Endkunde mit der Benutzung vertraut ist, und er verbringt in der Regel jetzt schon mehrere Stunden täglich vor der Mattscheibe. Da hat auch das Internet wenig daran geändert. Schließlich bietet das System Fernseher alle Möglichkeiten der multimedialen Präsenta-

tion und ist hier dem Quelle-Katalog sogar überlegen - schade nur, daß es da diesen gravierenden Makel gibt: Die Bestell-Postkarte fehlt, mithin der Rückkanal zum Anbieter. Deshalb heißt es bislang immer noch: im Fernseher angucken, per Telefon bestellen. Das soll jetzt anders werden. Der Internet-fähige Fernseher ist das Goldene Kalb der E-commerce-Branche.

Box oder PC?

Das Gerät für die Präsentation ist also ausgewählt, was noch fehlt, das ist die Methode der Darstellung: Soll der PC so umgebaut werden, daß er sein ganz normales Anwendungsbild auch auf einem Fernseher darstellen kann? Das brächte den Vorteil, daß nicht nur Internetanwendungen auf diesem Gerät abzuspielen wären, sondern auch Konsolenspiele, Musik-CDs oder sogar DVDs. Im Extremfall wäre Vater Huber in der Lage, sogar seine Steuerklärung aus dem Schaukelstuhl heraus zu erstellen. Geräte dieser Art bieten heute bereits zwei Hersteller auf dem deutschen Markt an.

Da ist zum einen der renommierte Fernsehbauer Loewe. Das Kronacher Unternehmen genießt einen guten Ruf im Segment hochwertiger Fernseher. Die Münchner Multimedia-Tochter Loewe New Media entwickelte nicht nur einen PC-Fernseher mit erstaunlich guter optischer Darstellung, wie die Computerzeitschrift "c't" in einem Test im Juni feststellte, sondern bündelt das Ganze auch noch mit einem Internetguide, der von den Münchnern redaktionell betreut wird. Dabei handelt es sich um eine Art Portal für Internet-TV-Benutzer, also eine Eingangsseite, die die wichtigsten aktuellen Nachrichten, eine schlüssige Navigationsstruktur und die Bilder des

Tages enthält - eine Anwendung, die auf einem 100-Hz-Fernseher mit 80 cm Bilddiagonale Eindruck macht. Schlechte Noten bekam das Gerät allerdings für seine E-Mail-Funktionalität.

Der "Xelos@media", so der Name des Loewe-Geräts, ist seit kurzem im Handel erhältlich. Die preisliche Bandbreite reicht von 4.000 Mark für eine reine Online-Variante bis zu 6.500 Mark für die High-end-Version mit vollwertigem PC und DVD-Player. "Wir rechnen nicht mit allzu großen Stückzahlen, dafür ist das Gerät zu teuer", gibt Hubertus Hoffman, Managing Director in Sachen Multimedia bei Loewe, unumwunden zu. "Unser Businessplan sieht vor, daß wir mit 6.000 verkauften Geräten den Break-even erreichen können."

Eine andere, preiswertere Variante des Fernsehers mit vollwertigem PC bietet Quelle an. Schon seit Ende 1997 ist ein Gerät für rund 3.500 Mark erhältlich, das schlicht aus einem Fernseher mit Win-95-PC besteht. Hergestellt wurde das Gerät von der Pforzheimer Firma Metec. Der PC-Teil arbeitet mit einem 100-MHz-Pentium. Die dafür vorgesehenen acht MB Arbeitsspeicher sind freilich viel zu wenig.

Set-Top-Boxen

Ein anderer Ansatz ist der Verkauf eines speziellen Internetdekoders, mit dem ein bestehender Fernseher aufgerüstet werden kann. Derartige Dekoder kommen von Unternehmen wie Grundig, Philips, Sony, Daewoo, Conrad Electronics, Teknema und anderen. Mit Ausnahme von Sony und Philips, die auf dem System Web-TV aufsetzen (siehe Kasten), ähneln sich die "Aufstellschachteln" stark. Alle können mehr oder weniger mit jedem gängigen Internetprovider zusammenarbeiten. Meistens gibt es vordefinierte Grundeinstellungen für T-online. Probleme tauchen mitunter bei den Providern auf, die eine eigene Zusatzsoftware fordern wie zum Beispiel AOL.

Immer wieder wird "WB 1" von Grundig als ausgereiftestes Produkt in diesem Segment hervorgehoben. Mit einem Preis von knapp 1.000 Mark inklusive Tastatur kostet der Spaß den User allerdings auch einiges. Preiswerter sind da Conrads "TVI-336" und Daewoos "inet.box" mit ihren rund 800 Mark Endverkaufspreis inklusive Tastatur. Dennoch muß festgestellt werden, daß die Set-top-Boxen derzeit noch gewaltig an ihrer Zielgruppe vorbeischrammen. Die meisten leisten Altertümliches in puncto Darstellung von Internetseiten. Funktionen, die seit drei Jahren zum Standard gehören, wie Javascript und Frames, werden schlicht ignoriert. Damit wird die wichtigste Anwendung aus Sicht der Industrie bereits im Keime erstickt: E-commerce. Einzig die Grundig-Box kann zumindest Javascript und läßt auch Cookies zu, kann demnach mit einem Shopping-System mit Warenkorb arbeiten. Bei den anderen Boxen bleibt es bei der einfachen Informationsbeschaffung. Unverständlich, warum die Hersteller die Kooperation mit den etablierten Browserherstellern meiden.

Fazit

Wer heute Internet ins Wohnzimmer legen möchte, hat zwei passable Lösungen zur Verfügung: die WB 1 von Grundig oder die etwas billigere Inetbox von Daewoo. Wer höhere Ambitionen hegt, muß schon tiefer in die Tasche greifen und bei Loewe anlegen. Voraussetzung dafür ist allerdings eine ISDN-Leitung, da der Xelos gerne digital kommuniziert. Die PC-TV-Lösung von Quelle ist mit Vorsicht zu genießen. Hier muß der Benutzer einen Boot-Vorgang abwarten, bis das Gerät funktionsbereit ist, und das ist sicher nicht im Sinne der Internet-TV-Idee. Da kann man auch gleich einen PC mit TV-Ausgang ins Wohnzimmer stellen. Frank Puscher

Liegt die Zukunft des Internet in Grundigs Wohnzimmer?

Der Loewe Channel, die kostenlose Zugangsseite für Xelos-Besitzer,

ist für jedermann im Internet sichtbar.

Möglicherweise ereilt Web-TV ein ähnliches Schicksal wie MSN, wenn Microsoft auch hier aus dem Access-Geschäft aussteigt.

Nicht für den schmalen Geldbeutel ist das High-end-Terminal Xelos@media von Loewe.

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